Mittwoch, 30. November 2011

Somewhere (2010)

Liebe Cineasten,

am Montag habe ich endlich Sofia Coppolas vierten Spielfilm Somewhere (2010) gesehen. Dafür gab es 2010 den Goldenen Löwen bei den Filmfestpielen von Venedig und das völlig zu Recht. Da es sich hierbei um einen Film handelt, der von Anfang an und erstaunlich kompromisslos künstlerischen Anspruch signalisiert, sind die Meinungen der werten Kritiker sehr geteilt: auf Metacritic schafft Somewhere nur 67%, auf Rotten Tomatoes 71%. Es lässt sich an den extrem negativen Rezensionen aber ablesen, dass die Kritiker den Film nicht verstanden oder etwas völlig anderes erwartet haben. Da finde ich es viel entscheidender, dass es von Roger Ebert (Chicago Sun-Times) und A.O. Scott (New York Times) jeweils 100% gab.
Somewhere besteht fast ausschließlich aus Szenen, die man in anderen Filmen rausschneiden würde, weil sie die Handlung nicht voranbringen. Das ist in diesem Film nicht nötig, da es keine Handlung gibt, die man vorantreiben müsste. Im Vergleich zu Somewhere wirkt so mancher europäischer Arthouse Film wie eine Achterbahnfahrt. Coppola besinnt sich hier ihrer italienischen Wurzeln und Michelangelo Antonioni wird immer wieder als Vorbild für diesen Film genannt.
Die erste Einstellung dauert nicht nur unerträglich lange sondern ist noch dazu völlig statisch. Hier bereits entscheidet es sich, ob man gleich abschaltet oder sich darauf einlässt, vom Film an eine veränderte Wahrnehmung herangeführt zu werden. Die Ruhe der Bilder wirkt fast hypnotisch. Bei einer Gesamtlänge von gerade einmal etwas mehr als 90 Minuten ist die Wirkung dieser langen Einstellungen sehr sehr ungewöhnlich und man merkt sehr schnell, wie sehr die eigenen Sehgewohnheiten von anderen Hollywood Filmen geprägt sind.
Auf den ersten Blick scheint Coppola alles falsch zu machen, was jeder in der Filmschule eingebläut bekommt: continuity, cause and effect, plot. In Somewhere beginnt man erst nach einer Viertelstunde zu ahnen, wer überhaupt die Hauptfigur ist. Andere Charaktere tauchen plötzlich aus dem Nichts auf und verhalten sich, als ob sie bereits vorgestellt worden wären. Alle Schlüsselszenen, die in anderen Filmen die Beziehungen zwischen Figuren klarmachen, fehlen hier fast vollständig. Somewhere hat viele Ähnlichkeiten mit Lost in Translation, ist aber noch viel radikaler.
Gerade weil Coppola scheinbar alle Regeln bricht ist der Film unglaublich spannend, obwohl nichts passiert. Man ist geradezu fasziniert von diesem eigenartigen Rätsel, das sich da vor einem ausbreitet. Hinzu kommt noch, dass der Film über weite Strecken fast ohne Sprache auskommt. Dadurch ist man geradezu gezwungen auf die Bilder zu starren und diese zu lesen. Man beginnt über mehrere Szenen hinweg Muster zu erkennen. Der Tanz der Stripperinnen an der Stange wird mit dem Tanz der Tochter auf dem Eis in Bezug gebracht. In beiden Fällen ist die Hauptfigur in der passiven Rolle des Betrachters, aber unter völlig konträren Voraussetzungen. Man müsste sich den Film wahrscheinlich noch ein paar Mal ansehen, um mehr davon zu verstehen. Man ist irgendwie an ein Gedicht erinnert, das auch auf den ersten Blick seine Komplexität nicht gleich preisgibt.
Wie man unschwer erkennen kann, war ich sehr beeindruckt und werde mir bei Gelegenheit den Film noch einmal ansehen. Wenn man weiß, was kommt, kann man sich noch besser auf das konzentrieren, was in den Bildern noch alles miterzählt wird.       
             

Dienstag, 29. November 2011

Quo vadis, Konsole?

Liebe mobile gamers,

früher gab es auf dem Computerspielemarkt die beiden Erzrivalen Konsole und PC, wobei sich erstere mit besserer Grafik (im Vergleich zum Durchschnitts-PC), speziellen Eingabegeräten (z.B. mit Bewegungssteuerung), sowie kurzweiligerem und actionlastigerem Leveldesign vom Allrounder PC erfolgreich abzuheben vermochte. Seit das iPhone das Zeitalter der Smartphones eingeläutet hat und das iPad das Zeitalter der Tablets, ist den beiden Rivalen eine neue Konkurrenz erwachsen, die speziell die Konsolenbranche hart trifft. Das hat vor allem mit vier Faktoren zu tun: Wer Infinity Blade auf dem iPad 2 gespielt hat weiß, dass es sehr bald schon hochauflösende Grafik auf den Tablets geben wird, die der Konkurenz in nichts mehr nachsteht. Im Bereich casual gaming setzen Smartphones und Tablets den Konsolen am meisten zu: Wer schnell einmal einen Level spielen möchte schaltet nicht mehr die Konsole ein. Das hat auch mit dem dritten Faktor zu tun: das Smartphone oder Tablet habe ich immer dabei, die Konsole steht zu Hause im Wohnzimmer. Der vierte Faktor wird oft übersehen, ist aber ebenso entscheidend: für Infinity Blade zahle ich im Moment € 3, für den Nachfolger, der übermorgen erscheint, € 5. Wenn ich mir aber Nintendo's The Legend of Zelda: Skyward Sword or Xenoblade Chronicles zulegen möchte, dann zahle ich € 40 für sehr gute, aber grafisch völlig veralterte Titel. An der veralteten Hardware der Nintendo Wii und am Spiel selbst ändert sich nichts mehr. Beim iPad 2 ist es anders: das Potential ist noch lange nicht ausgereizt und die Spiele verändern sich durch kostenlose Updates laufend. Weiters bin ich, wenn ich will, direkt in den Produktionsprozess eingebunden. Spiele werden oft Monate vor Erscheinungstermin in Foren vorgestellt und ich kann als Fan Wünsche und Änderungsvorschläge direkt an die Entwickler übermitteln. Fast alle Titel werden laufend überarbeitet, perfektioniert und erweitert, wenn sie gut laufen. Und selbst wenn ich mir ein teures Spiel völlig umsonst gekauft habe, dann bin ich nur € 5 los und nicht € 50. Kleine unabhängige Entwickler (oft nur eine Person) legen ein Spiel um € 0,79 vor, das ich mir zum Spaß mal herunterlade, auch wenn ich es nur zwei Stunden spiele. Wenn das ein paar hunderttausend Spieler machen, kann der Developer super davon leben.
Kurz gesagt: den Konsolenproduzenten steht der kalte Schweiß auf der Stirn. Sony und Nintendo haben ziemlich deutliche Gewinneinbrüche und Marktumfragen haben ergeben, dass ihre Kunden auf Smartphones und Tablets umgestiegen sind. Wenn Nintendos Wii U floppt, womit ich stark rechne, könnte die nächste Generation von Konsolen die letzte sein. Bei der Wii U steuert man mit einem Tablet eine Spielkonsole. Wer auf seinem iPad Real Racing HD über Airplay (seit IOS 5.0) und Apple TV auf seinem Fernseher gespielt hat, kann jetzt schon sehen, was Nintendos Wii U nächstes Jahr bringen wird. Das ist kein gutes Zeichen.
Interessant ist nur, dass der PC Spielemarkt noch nicht so darunter leidet. Der ist zwar durch die Konsolen um ein Drittel eingebrochen, aber durch grandiose Spiele (Elder Scrolls V, Arkham Asylum, Starcraft II etc.) und Online Games relativ stabil.
Ich persönlich glaube, dass der Konsolenmarkt erheblich einbrechen wird. Wenn es die ersten Tablets im Preissegment der Konsolen gibt (€ 300), werden noch viel mehr umsteigen, weil die Auswahl an Software 10 x größer und die Preise 10 x niedriger sind. Und wenn mein Tablet nach ein paar Jahren als Gamingplattform nichts mehr taugt, kann ich immer noch Filme anschauen, Musik hören, im Internet surfen und dutzende andere Sachen. Die Konsole kann ich nur wegwerfen.   
Am ehesten sehe ich eine Chance über die Bewegungssteuerung zu punkten, weil das das Tablet nicht im selben Ausmaß kann. Warum jetzt Nintendo gerade ein Tablet als Eingabegerät plant kann ich nicht ganz nachvollziehen. Aber wir werden sehen. Vielleicht wird die Wii U ganz toll und das iPad 3 völliger Schrott.  

Dienstag, 25. Oktober 2011

Sprachlos

Liebe Leser,

irgendwie habe ich mich mit meinen politischen Kommentaren selbst in eine Sackgasse manövriert, nicht etwa, weil es nichts zu berichten gibt, sondern ganz im Gegenteil, weil der Wahnsinn in diesem Jahr schon ein solches Ausmaß erreicht hat, dass man sprachlos davorsteht und gar nicht mehr weiß, wie man darauf reagieren soll. Im Mai stieß es mir schon ziemlich sauer auf, als Obama als Held gefeiert wurde, weil er Osama bin Laden erschießen ließ. Da ging dann dieses Bild um die Welt:

Alle westlichen Medien berichteten dann, wie dramatisch es für den Präsidenten und sein Team war, ob die Mission auch erfolgreich abgeschlossen werden könnte. Obama wurde als Humanist gefeiert, weil er das Anwesen der bin Ladens nicht einfach bombardieren ließ. Somit wurden nicht alle Verwandten, Frauen und Kinder platt gemacht, sondern nur ein paar. Kaum jemand äußerte Bedenken darüber, dass es anscheinend für eine Demokratie jetzt vertretbar ist, mit Killerkommandos im Ausland gezielt Feinde töten zu lassen. Unerwünschte Widersacher einfach abzuknallen kannte man bis dahin von der Mafia oder mexikanischen Drogenbanden, aber dass jetzt Staaten dazu übergehen außerhalb gesetzlicher Rahmenbedingungen zu operieren, ist schon ein starkes Stück. Im Wahlkampf hatte Obama noch gegen Bush und Guantánamo gewettert, aber jetzt fliegen seine Drohnen überall auf der Welt herum und schießen auf alles, was sich bewegt. Seitdem sind schon ein paar hundert Zivilisten unschuldig ums Leben gekommen, aber da muss man Opfer bringen (solange es nicht die eigenen Leute sind). Zuletzt haben sie sogar Anwar al-Awlaki, einen amerikanischen Staatsbürger, mit einer Drohne getötet. Das hätte es früher nicht gegeben, denn als Amerikaner hatte man zumindest gewisse Grundrechte.
Und natürlich müssen alle bösen Diktatoren und Terroristen sofort erschossen werden, wenn sie davor mit dem Westen zusammengearbeitet haben. Wenn man, wie Milosevic, nie ein Lakai des Westens war, darf man auch weiterleben und in Den Haag vor dem internationalen Gerichtshof aussagen. Könnte man jedoch gewisse westliche Staaten in große Bedrängnis bringen, kommt man unter mysteriösen Umständen ums Leben. Saddam Hussein, Osama bin Laden, und Gadafi - keiner hat seine Zusammenarbeit mit dem Westen überlebt. Natürlich haben diese alle Widerstand geleistet und mussten in Notwehr erschossen werden - keine Frage.
Libyen ist ja auch so ein Fall. Da macht man jahrzehntelang super Geschäfte mit einem Diktator und arrangiert sich mit ihm, solange er potenzielle Immigranten von Europa fernhält. Dann rebelliert die eigene Bevölkerung gegen die Diktatur und kurz darauf bombardiert die NATO Gadafis Stellungen. Was ist da denn schon wieder passiert? Sind wir jetzt auf den Geschmack gekommen und mischen uns, wie die Amerikaner, überall ein- heute so, morgen so?
Und während ich mich noch über diese komplette Aufweichung aller rechtsstaatlichen Grundprinzipien wundere, sprengen unsere geliebten Politiker die EU fast in die Luft. Diese versuchen nun schon seit Monaten eine Krise mit Instrumentarien zu lösen, die ihrerseits die Krise verursacht haben. Erstaunlicherweise funktioniert das aber nicht. Das hängt vor allem aber damit zusammen, dass es gar nicht um die Griechen geht, sondern nur darum, wie die Banken wieder ihr Geld zurückbekommen:


Zur selben Zeit muss ich dieser unsäglichen österreichischen Bundesregierung dabei zusehen, wie sie jede Reform im Keim erstickt und die eigenen erbärmlichen Ideen als großen Wurf verkauft. Die Neue Mittelschule ist wieder so eine ideologische Schnappsidee der Sozialisten, die Unmengen kostet und nichts bringt.

Deshalb werde ich mich wieder großteils aus der Politik zurückziehen, zumindest, was diesen Blog anbelangt. Dann macht es auch wieder mehr Spaß zu schreiben.   

Freitag, 29. April 2011

Integration

Liebe Menschenfreunde,

also, ich finde Sebastian Kurz als Staatssekretär für Immigration eine perfekte Wahl. Die Regierung auf österreichischer und europäischer Ebene hat absolut kein Konzept für eine sinnvolle Zuwanderungspolitik, dafür aber sehr viele schöne Absichtserklärungen und Lippenbekenntnisse, die die häßliche Fratze unserer Kleinkariertheit und Ausländerfeindlichkeit verdecken sollen. Kurz ist dieser fleischgewordene Widerspruch aus kosmetischer Oberfläche und innerer Leere und somit ideal für seine neue Aufgabe geeignet. Als Staatssekretär muss er auch nicht wie die anderen präpotenten Bankenschnösel, Notare und Scheidungsanwälte sein Geld als Kleinkrimineller verdienen, sondern kann gleich Kontakte zu den Schwergewichtern in der Branche knüpfen.
Interessanterweise regen sich genau die am meisten auf, denen er am ehesten ähnelt: Laura Rudas und HJ Strache. Jetzt ist der Kampf um die hirnbefreite Jungwählerschaft endgültig ausgebrochen. Dummheit muss bedient werden und das fällt umso leichter, je weniger man intellektuell vorbelastet ist.
Spindelegger halte ich für den besten ÖVP-Chef seit Schüssel, wenn auch seine wertkonservative Haltung nicht gerade zu einer Öffnung unserer Gesellschaft führen wird. Als Fekter das Innenministerium abgab, dachte ich kurz, sie würde sich freistellen lassen, um persönlich im Mittelmeer Patrouille zu fahren, aber jetzt hat sie sich doch dem Geld zugewendet. Bei den Immigranten ist auch nichts zu holen und das Sheriff-Spielen wird auch schnell langweilig.
Auf jeden Fall wird alles besser. Die Regierung hat schon großartige Absichtserklärungen in Planung. 
        

Donnerstag, 28. April 2011

Alles Wissen für alle umsonst jetzt sofort auf Knopfdruck

Liebe Utopisten,

in den alten STAR TREK Serien war es noch eine Utopie: man sagte einfach laut "Computer", stellte eine Frage, und schon bekam man alle Antworten frei auf das eigene PADD (personal access display device) gezaubert. Mit Wikipedia und einem iPad sind wir diesem Zukunftsszenario schon sehr nahe gerückt und es wird nicht mehr lange dauern bis wir mit unseren kleinen Helfern auch sprechen können.
Für Gene Roddenberry (STAR TREK) und Jimmy Wales (WIKIPEDIA) wird damit ein Traum wahr, nämlich dass jedem jede Information sofort und kostenlos zur Verfügung steht. Als Humanist und Bildungsutopist müssen da einem die Augen leuchten bzw. glänzen vor zurückgehaltenen Tränen, denn was will man mehr? Hosanna, ich sage euch, eine neue Zeit ist angebrochen: endlich gibt es Aufklärung für alle und nicht mehr nur für ein paar immer weniger werdende Bildungsbürger vom alten Schlag, die noch unabhängig von den Massenmedien selbständig denken können.

Doch leider hat die Sache einen gewaltigen Haken, oder, um genauer zu sein, drei gewaltige Haken:

1) Es gibt kein freies und objektives Wissen.
2) Diejenigen, die die Maschinen mit 'Informationen' füttern, stellen durch ihre Auswahl und ihre Formulierungen ständig die Informationen her, die sie eigentlich nur vermitteln wollen.
3) Deshalb ist eine kritische Hinterfragung von Inhalten noch viel wichtiger als jemals zuvor (gerade weil so viel Wissen kostenlos von irgendwelchen dubiosen Individuen ins Internet gestellt wird), wodurch höhere Bildung unumgänglich wird, um sich überhaupt in einer komplett medialisierten Umwelt zurechtzufinden.

Zuerst zu Punkt 1: Es gibt kein freies und objektives Wissen.
Ich möchte dafür ein einfaches Beispiel wählen: "1492 entdeckte Kolumbus Amerika." Was auf den ersten Blick als unumstößliche Tatsache erscheint, ist in Wirklichkeit sehr problematisch. Erstens stimmt es nicht, dass Kolumbus der erste Europäer auf dem amerikanischen Kontinent war. Zweitens spiegelt es eine Haltung wider, die Europa als Mittelpunkt der Menschheitsgeschichte definiert. Amerika wurde aus unserer Sicht 'entdeckt', nicht aber aus Sicht der Indianer, die schon seit Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden den Kontinent bewohnt hatten. Drittens ist 'entdeckt' eine problematische, da verniedlichende Wortwahl, weil sie Abenteuerlust und Unternehmergeist suggeriert. De facto haben mit Kolumbus zwei der größten Verbrechen der Europäer ihren Anfang genommen: der Genozid an der Urbevölkerung Amerikas und, zeitlich etwas versetzt, der Sklavenhandel. Unsere Vorfahren haben es fast geschafft einen ganzen Kontinent mit seinen verschiedenen Kulturen auszurotten und dann noch die Bewohner eines anderen Kontinents im großen Stil zu versklaven, um sich die Reichtümer der Neuen Welt anzueignen. Für viele nicht-europäische Amerikaner ist Kolumbus der Anfang vom Ende.
Und genau so verhält es sich mit allem Wissen. Wenn es nicht schlichtweg falsch ist, so ist es zumindest nur unter gewissen Vorbedingungen wahr, so wie die Heisenbergsche Unschärferelation für den Welle-Teilchen-Dualismus zeigt. Und selbst wenn es wahr sein sollte, dass Kolumbus 1492 Amerika entdeckte, warum ist diese Information so wichtig, dass es fast jeder weiß. Wer reiht diese Wissensbissen nach Prioritäten und nach welchen Prinzipien? Das führt uns zum nächsten Punkt.

2) Wissen wird nicht vermittelt, sondern kontinuierlich erzeugt.
Jeder, der an einer Schule unterrichtet, weiß, dass er gar nicht 'den Stoff' vermitteln kann, sondern nur eine kleine Auswahl seiner eigenen Version der Realität. Selbst wenn es eine Wahrheit gebe, würden die vielen Filter, die zwischen Wahrheit und Unterrichtsstunde stehen, für einen Stille-Post-Effekt sorgen. Die Wahrheit wird so lange von Widersprüchen bereinigt und auf simple Dualismen runtergebrochen, bis nur mehr ein Schatten der 'Wirklichkeit' übrigbleibt. Wissen wird nicht vermittelt, sondern ständig neu erzeugt.

3) Sekundärer Analphabetismus
Dieser Masse an dubiosem Wissen steht eine immer größere Schar von sekundären Analphabeten gegenüber, die zwar lesen, aber nicht verstehen können. Laut PISA-Studie sind wir Österreicher Vorreiter in diesem Bereich. Das liegt vor allem daran, dass das Anforderungsprofil für eine ausreichende Lesefähigkeit sich rasant verändert. International denkt man bereits über einen stark erweiterten Lesefähigkeitsbegriff nach, da man bald mit sinnerfassendem Lesen alleine kein Auslangen mehr finden wird. Visuelles bzw. multi-modales Lesen wird zum herkömmlichen textuellen Lesen hinzukommen müssen. Das erfordert nicht nur eine andere Form des Wahrnehmens, sondern auch eine erweiterte kritische Auseinandersetzung mit der frage, wie diese Medientexte zusammengebaut sind und wie bzw. von wem sie vermittelt werden.

Das alles führt zu der paradoxen Situation, dass das Wissen immer mehr wird, die Menschen aber immer unfähiger werden auf sinnvolle Weise damit umzugehen.                  

 
       

Donnerstag, 7. April 2011

Wörter, die vom Aussterben betroffen sind - Folge 1: Korruption

Liebe Interessensvertreter,

die jüngste Debatte über das Kavaliersdelikt Korruption kreist in Österreich wieder einmal um die völlig falschen Fragen. Unsere Politiker streiten darüber, ob die legalisierte Form der Korruption - die man Lobbyismus oder Klientelpolitik nennt - meldepflichtig sein soll oder nicht. Oder in anderen Worten: Wenn ein Großkonzern an einen Abgeordneten herantritt und ihm viel Geld verspricht, zum Beispiel einen Aufsichtsratsposten, wenn er dafür die Interessen des Konzerns vertritt - muss das der Politiker dann melden oder nicht?
Meine Frage: Ist es nicht prinzipiell problematisch, wenn ein gewählter und mit Steuergeldern finanzierter Volksvertreter fremde und eigene wirtschaftliche Interessen über seine Verpflichtungen als Politiker stellt? Ich weiß, ich bin schrecklich naiv, aber könnten da nicht Gewissenskonflikte entstehen? Warum wird Korruption nicht generell bekämpft? Wer ist auf die wahnsinnige Idee gekommen legale Formen der Korruption zuzulassen?
Eine viel transparentere Lösung wäre es, wenn man eine gewisse Anzahl von Parlamentssitzen einfach an den Höchstbietenden versteigern würde. Fangen wir einfach mit einem Drittel an, also 60 Mandate. Da würde dann die OMV mehrere Vertreter entsenden, ebenso der Verbund, SPAR, die VOEST, mehrere Banken usw. Jetzt sind wir in der verrückten Situation, dass wir irgendwelche korrupten Kasperln ins Parlament wählen und diese dann alle bestochen werden müssen. Warum sollen die Konzerne nicht gleich ihre Vertreter direkt schicken? Das nächste Drittel geht an die Berufsverbände und Gewerkschaften, denn Österreich ist schließlich ein Ständestaat. Und für das letzte Drittel wählen wir ein paar Idealisten rein, die den Großen und Mächtigen ab und zu die Suppe versalzen.
Was hat das noch mit Demokratie zu tun, werden sich jetzt ein paar Leser fragen. Gegenfrage: Was hat der momentane Parlamentarismus mit Demokratie zu tun? Es gibt, zum Beispiel, auch keine unabhängige Justiz in Österreich. Deshalb bin ich dafür, dass man den Tatsachen ins Auge sieht und das ganze Pseudogehabe aufgibt. Ich würde die Korruption einfach damit bekämpfen, dass man sie komplett legalisiert. "Manus manum lavat" soll endlich vom inoffiziellen Spruch zum Motto des Parlamentarismus werden. Die Pallas Athene hat vor dem Parlament sowieso nichts verloren. Da gehören riesige Statuen von Grasser und Strasser hin, die sich die rechte Hand schütteln und mit der linken jeweils ein Kuvert in der Tasche des anderen verschwinden lassen.  
       

Mittwoch, 16. März 2011

Strahlende Zukunft

Liebe Tschernobyl-Veteranen,

manche von uns werden sich noch erinnern, dass wir im Herbst 1986 und in den darauffolgenden Jahren keine Steinpilze aus dem Wald essen durften, weil diese die atomare Strahlung, die auf Österreich niederging, besonders gut speicherten. Damals war ich 14 und dank meiner sehr engagierten Biologielehrer schon so etwas ähnliches wie Grün. Vier Jahre später konnte ich dann auch aktiv Grün wählen und fing ein Jahr später mit einem Biologie-'Studium' an der Pädagogischen 'Hochschule' an. (Die Anführungszeichen drücken meine Skepsis aus, ob es sich bei der PädAk um eine Hochschule handelt. Müsste ich mich auf eine klare Antwort festlegen, wäre sie NEIN.) Ich überlegte sogar 1998, ob ich nicht Biologie als Erstfach in Salzburg studieren sollte, entschied mich dann aber für Sprachen, weil ich da mehr potenzielle Berufsfelder sah.
Als Biologielehrer, Grüner, Greenpeace-, WWF-, Attac- und Avaaz-Mitglied (meine Leser habe ich nie im Unklaren darüber gelassen, mit wem sie es hier zu tun haben) fällt mir zu Japan nicht viel ein, außer dass die soeben genannten Gruppierungen immer schon recht hatten, jahrzehntelang aber als weltfremde Ökospinner belächelt worden sind. Als die Grünen vor Jahrzehnten verlangten den Spritpreis auf € 1,50 pro Liter raufzusetzen, um dafür erneuerbare Energien und den öffentlichen Verkehr zu fördern, hielten uns die anderen Parteien für Volltrottel. Jetzt kostet der Benzin auch so € 1,50 und wir wären heilfroh, wenn wir vor 20 Jahren schon angefangen hätten unseren Energieverbrauch zurückzufahren und auf andere Technologien zu setzen. Ich habe jetzt wenig Freude daran mich als Klugscheißer hinzustellen und wieder einmal zu behaupten, dass ich es schon immer wusste, aber es trifft leider eben zu - die ökologischen Fakten, aber auch meine natürliche Neigung zur Klugscheißerei.
Die Fakten: Das Erdbeben in Japan hat nicht das Atomkraftwerk Fukushima zerstört, sondern nur die Stromversorgung unterbrochen. Dadurch fiel die Wasserpumpe aus. Und ohne Wasserkühlung schmilzt der Kern. So einfach ist das. Wie Fukushima eindrucksvoll bewiesen hat, geschah dies nicht zufällig bei gerade einmal einem Reaktor, sondern bei vier Kernen mit wunderbarer Verlässlichkeit. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Strahlenschutz, der Physiker Sebastian Pflugbeil, setzte sich schon am ersten Tag nach der Katatrophe bei n-tv ins Studio und sagte voraus, was passieren wird: kein Strom, kein Wasser, Kern schmilzt. Ganz einfach.
Jetzt ist natürlich die ganze Welt bestürzt. Warum hat uns keiner gesagt, dass Atomkraftwerke scheißgefährlich sind? Das konnte doch niemand wissen. Die sind doch sicher und sauber. Jetzt sitzen die ersten Österreicher schon mit Geigerzählern in ihren Atombunkern und fressen Jodtabletten. Darf ich noch Fisch aus der Dose essen, wenn dieser aus dem Pazifik kommt? Oder leuchte ich dann im Dunkeln?
Kanzlerin Merkel ist sowieso die Beste. Gerade noch ist die Brown-Nosing-Weltmeisterin der Atomlobby so tief in den Arsch gekrochen, dass sich selbst ihr Pokemon-Kostüm verfärbte, und jetzt ist sie persönlich um die Sicherheit ihrer Untertanen besorgt. Mitten im Wahlkampf werden plötzlich mit sofortiger Wirkung Reaktoren abgeschaltet - möglicherweise nur bis nach der Wahl, wird gemerkelt ..äh.. gemunkelt. Hallo?! Also noch einmal langsam: Merkel lässt Atomreaktoren abschalten, damit sich die Chancen der CDU erhöhen bei den kommenden Wahlen besser abzuschneiden. Geht's noch ein bisschen zynischer? Ich glaube nicht. Und am Sonntag setzt sich Niki Berlakovich (ÖVP), unser Lebensminister, in der Pressestunde hin und verkauft die ÖVP als Ökopartei und sich selbst als Headhunter für Green Jobs. Schwarz ist offensichtlich das neue Grün. Wo bleibt da noch ein bisschen Restanstand? Warum sind die Fürsprecher der Wirtschaft nicht einfach ehrlich und sagen: Solange wir mächtig Kohle schäffeln ist uns jedes Mittel recht.
Und als Schlussbemerkung: Die Aktienspekulanten, denen wir gerade den Arsch mit unseren Steuergeldern gerettet haben, ziehen ihr Kapital aus Japan ab, weil man es dort gerade nicht gewinnbringend anlegen kann. Anstatt ordenlich zu arbeiten, machen sich die Japaner nämlich Sorgen um ihr Leben. Das hätte es früher unter den Samurais nicht gegeben.           
         

Dienstag, 15. März 2011

Putzen

Liebe Putzteufel,
heute möchte ich mich einem Thema widmen, über das man normalerweise ebensowenig spricht wie über Hautausschläge oder die regelmäßigen Besuche am stillen Örtchen: das Putzen. Jede saubere Wohnung setzt natürlich voraus, dass deren Besitzer bzw. Mieter in regelmäßigen Abständen die Gummihandschuhe überstreifen und diversen unerwünschten Sedimenten und Substanzen den Kampf ansagen. Hat man Kinder oder Tiere im Haus, erhöht sich die Häufigkeit von breiigen Substanzen auf diversen Oberflächen. Hat man Glück, waren es nur die Fliesen und nicht der Teppich. Doch auch ohne die lieben Kleinen sorgen wir selbst für genügend DNA-Proben auf unseren Möbelstücken und vor allem im Bad.
Wie es in vielen Beziehungen üblich ist, so bin auch ich für die besonders grauslichen Dinge zuständig: Haare aus dem Abfluss entfernen, das Katzenkistl nach andersfärbigen Materiekonzentrationen zu durchkämmen, den Biomüll von Tellern kratzen, in den Kübel spachteln und entsorgen, den Staubsaugerbeutel entleeren, Katzenkotze und -bremsspuren wegwischen, das Klo innen und außen putzen etc. Das mache ich aber gerne, weil wir den Dreck ja auch selbst verursacht haben und meine Frau ohnehin mehr im Haushalt macht als ich.
Jetzt regt sich natürlich schnell der Wunsch, diese unangenehmen Tätigkeiten auszusourcen, wie man auf Neudeutsch sagt. Wer es sich leisten kann, holt sich ausländische Hilfskräfte illegal in die Wohnung, damit diese dann den eigenen Dreck wegmachen. Man sagt aber: da kommt jemand putzen. Während die ÖVP als Wirtschaftspartei offiziell illegale Einwanderung und die Schattenwirtschaft verteufelt, haben ihre Wähler, von denen es sich auch viele leisten können, schwarz eine 'fremdsprachige Zugehdame' eingestellt. (Daher kommt auch die Farbe der Partei.) Das gilt natürlich auch für die Altenbetreuung, die ebenfalls mit Igitt-Aktivitäten einhergeht. Deshalb wird die Schwarzarbeit auf Baustellen bekämpft, nicht aber bei den Schwarzen zu Hause. Deshalb muss die ÖVP für die Wehrpflicht sein, damit die links-liberalen Zivildiener auch weiterhin den Alten und Behinderten den Arsch abwischen und die Schwerverwundeten aus den Autos ziehen können. Solche Dinge sind unter der Würde von Rechtsanwälten und Bankmanagern, aber für Ausländer und Idealisten passt das schon. Wer es wirklich geschafft hat, stellt sogar richtiges Personal ein. Das ist in der heutigen Zeit, in der sich jeder schon fast alles leisten kann, der beeindruckendste Beweis für beruflichen Erfolg und kapitalistisches Gespür - das 19. Jahrhundert als Modell für das 21.
Aber die Kleinspurarbeitgeber, die sich stundenweise eine Putze ins Haus holen, sehen das nicht so schwarz. Ganz im Gegenteil: da werden aus reinster Menschenfreundlichkeit schon einmal € 10 Stundenlohn ausgemacht. Eigentlich müsste man das als Spendengelder absetzen können.                        

Donnerstag, 3. März 2011

Solidarität mit Gaddafi!!

Liebe Sympathisanten,

ich bin schon ein wenig erstaunt, dass Österreich unserem wunderbaren Verbündeten Muammar al-Gaddafi plötzlich nicht mehr zur Seite stehen will. Wir hatten doch immer die allerbesten Beziehungen zu seinem Clan: sein Sohn hat in Österreich studiert und war ein guter Freund von unserem Erlöser Jörg Haider. Gaddafi selbst war seinerzeit schon ein Spezi von Bruno Kreiski. Unsere Banken haben jahrzehntelang sein Geld gewaschen und gewinnbringend investiert, und Frau Gaddafi war im 1. Bezirk in Wien ganz oft auf Shoppingtour. Und jetzt plötzlich, ohne dass unser Freund Gaddafi irgendetwas anders gemacht hätte als die Jahrzehnte davor - also sich selbst bereichert, sein Volk unterdrückt, und den internationalen Terrorismus unterstützt - fallen plötzlich alle über ihn her und Österreich schließt sich diesem Wahnsinn an. Was ist das für eine Freundschaft, wenn wir sie bei den ersten Unannehmlicheiten gleich aufkündigen? Wo bleibt die Solidarität mit unserem Blutsbruder? Warum stellt die FPÖ nicht endlich einen Antrag im Parlament, dass unser Heer in Libyen den Gaddafi-Clan vor dem Schlimmsten bewahren darf? Das wäre doch reine Selbstverteidigung. Warum ist H.J. Strache nicht schon längst mit seinem Wehrsportverein nach Afrika rüber, um als Wüstenfuchs die Interessen Österreichs dort zu verteidigen? Die Privatkäserei Woerle würde weiter gerne Schimmelkäse an unsere autokratischen Freunde in Nordafrika exportieren, aber jetzt geht das nicht mehr (Käse im Container für Libyen). Da muss das Bundesheer ran. Das machen die Amerikaner auch so beim Erdöl, also dürfen wir doch unser Käseimperium schützen! Wir müssen ein Exempel an diesen Demonstranten statuieren, sonst schlägt die Protestwelle noch auf unser geliebtes Heimatland über. Dann fordern sie auch bei uns Demokratie, gleiche Chancen für alle, und ein Ende der Korrpution! Das wäre der Untergang des Proporzsystems. Also, an die Waffen Kameraden! Wir müssen unsere Grenze nicht im Burgenland, sondern in Tripolis schützen!    
 

Donnerstag, 27. Jänner 2011

AVATAR

Liebe Freunde des Animationsfilms,

gleich vorweg gesagt: Ich gehöre zu der Gruppe von Fans, die AVATAR ohne Einschränkungen verteidigen.
Deshalb halte ich auch die Kritik an dem einfachen Erzählmuster und den stereotypen Figuren für völlig unangebracht. Im Misch-Genre Science Fiction/Fantasy/Märchen/Parabel/Mythos, das vor allem von George Lucas' STAR WARS geprägt wurde, gelten völlig andere Kriterien für Charakterzeichnung und Handlungsentwicklung. Da muss man sich Tzvetan Todorov, Wladimir Jakowlewitsch Propp, Joseph Campbell, Victor Turner, und andere Narratologen ansehen, die aus der Ethnologie/Folkloristik-Ecke kommen. Dass AVATAR große Ähnlichkeiten mit POCAHONTAS oder DER MIT DEM WOLF TANZT aufweist ist ein ebenso sinnloses Argument wie Goethe vorzuwerfen, dass sein FAUST große Ähnlichkeiten mit Christopher Marlowes FAUST aufweist, oder Shakespeares ROMEO UND JULIA mit Ovids PYRAMUS UND THISBE. Viel wichtiger als die Frage, welche Bausteine ein Künstler verwendet, ist die Frage, was er daraus macht. Erst vor kurzem hat der Chef des Hamburger Balletts, John Neumeier, im
Hamburger Abendblatt (20. Jänner 2010) gemeint, BLACK SWAN sei ein ganz schrecklicher Film, weil er die Welt des Balletts völlig falsch zeichne. Niemand hat behauptet, dass BLACK SWAN eine Dokumentation über die zeitgenössische Ballettszene sei, genauso wenig, wie Cameron ein realistisches Sozialdrama verfilmen wollte. Man sollte Werke immer nach dem beurteilen, was sie sind, und nicht, was sie sein hätten können.  
Es stört mich auch nicht im Geringsten, dass Cameron ein Egomane und Perfektionist ist. Erstens hat die Persönlichkeit des Regisseurs nur bedingt mit dem Film als eigenständigem Werk zu tun, und, zweitens, kriegt man ein Projekt dieser Größenordnung nicht zustande, wenn man nicht einen eisernen Willen und fast unmenschliches Durchsetzungsvermögen hat. Ich halte James Cameron für einen der großartigsten Regisseure unserer Zeit, besonders was das visuelle Erzählen in (massentauglichen) Kinofilmen angeht.
Worauf ich aber eigentlich hinaus will ist, wie der Film gemacht wurde. Ich habe mir alle Featurettes auf der Bluray angesehen und dann noch das MAKING OF AVATAR Buch reingezogen. Obwohl ich seit einigen Jahren Film für Anfänger unterrichte und mich privat sehr für das Filmemachen interessiere, hatte ich größere Schwierigkeiten mir vorzustellen, wie das genau ging. Jedenfalls ist der Prozess nicht mehr mit Filmemachen im klassischen Sinn zu vergleichen.
Der wichtigste Unterschied ist zuerst einmal der, dass Cameron für die Pandora-Szenen, also den Hauptteil des Films, keine Filmszenen im klassischen Sinn drehte. Bei STAR WARS: EPISODE III gab es auch kaum noch Sets und viele animierte Charaktere, aber die Szenen mit menschlichen Schauspielern erscheinen im Film so, wie sie am Set gedreht wurden. Da gab es noch richtige Kameras, Einstellungen, Beleuchtung, Kostüme, Make-Up, Darsteller, etc. Cameron hingegen drehte eine elaborierte Previz Version seines Films, die erst dann in einen Animationsfilm von WETA DIGITAL umgewandelt wurde. Das Entstehen dieser Previz Fassung hat aber nichts damit zu tun, wie sonst Previz eingesetzt wird.
Bei früheren Produktionen arbeitete man sich von Konzeptillustrationen über Storyboards und Animatics schließlich zu Previz vor, einer simplen 3D Version des Films, die für komplexe Szenen vorweg klärte, wie sie im fertigen Film funktionieren sollten. Diese Veranschaulichung des Films vor Drehbeginn wurde vom Art Department bzw. dem CGI Department erstellt. Diese Previz Version hatte der Regisseur, etwa Peter Jackson bei LORD OF THE RINGS oder KING KONG, als fertige Animation am Set mit dabei.
Cameron hingegen hatte eine interaktive Previz Version auf einem Display, auf dem zunächst nur ein simpler Hintergrund zu sehen war. Diese Hintergrundelemente konnten während der Dreharbeiten sofort angepasst werden, meistens um den Bedingungen am Set zu entsprechen. Die Schauspieler trugen Mocap-Anzüge, wobei ihre Bewegungen in Echtzeit auf eine animierte Version ihrer Figur übertragen wurde, die dann Cameron, wiederum in Echtzeit, in den bereits existierenden Hintergrund integriert sehen konnte. Dafür wurden nur die wichtigsten Bewegungsdaten aus der Aufzeichnung verwendet. Das komplette Datenset, zusammen mit herkömmlichen HD-Video Aufzeichnungen, wurden dann an WETA DIGITAL, zusammen mit Camerons Previz geschickt. In diesem Mocap Studio gab es natürlich keine Filmbeleuchtung, keine Kostüme, etc. aber auch noch keine fertigen Shots - und das ist das wirklich Revolutionäre. Da eine 3D Umgebung aufgenommen wurde, konnte sich Cameron Monate später die low res 3D Szenen auf die Kamera laden und dann erst die Shots aufzeichnen. Er lief also mit einem kameraähnlichen Gerät in einem völlig leeren Raum herum und drehte die Einstellungen. Da man in einer 3D Umgebung die Kamera überall positionieren kann, konnte er sich da die besten Einstellungen raussuchen. Das ist natürlich kein Schnitt wie im üblichen Sinn, weil es ja noch nicht einmal fertige Szenen gibt. Es geht hier um völlig virtuelles Filmemachen. Während Cameron diese Einstellungen filmte, schnitten die beiden Cutter die Performances der Schauspieler, das Material der zahllosen HD Kameras. Da ging es aber nicht um Einstellungen, sondern um reine schauspielerische Leistungen. Am Schluss landeten dann drei unterschiedliche Datensätze bei WETA DIGITAL: Camerons Previz, das geschnittene Material von den HD Kameras und die kompletten Datensätze aus dem MoCap Prozess. Diese Elemente führten die Animateure zu einer fertigen Szene zusammen, wobei hier noch kräftig nachjustiert und nachkorrigiert werden musste. Die schauspielerische Leistung wurde möglichst genau umgesetzt (HD Referenz/MoCap), aber es konnte auch noch korrigiert werden.
Cameron hat diese Vorgehensweise erst beim Filmen von AVATAR erfunden. In gewisser Weise befreit es den Filmemacher von den meisten Schwierigkeiten, weil er sich, zum Beispiel bei der Arbeit mit den Schauspielern, nur auf die Performance konzentrieren muss und mit einem kleinen Team auskommt. Andererseits müssen die Darsteller ein enormes Vorstellungsvermögen haben. Sie können sich zwar ihre Darstellung als live aufgenommene Previz sofort ansehen, aber das verlangt ein nicht minder großes Vorstellungsvermögen.
Es ist noch ganz schwer abzuschätzen, ob AVATAR in dieser Hinsicht eine extreme Ausnahme bleibt. Menschen sehen als Animationen immer noch ziemlich unglaubwürdig aus. In TRON: LEGACY spielt Jeff Bridges sein jüngeres Selbst mittels MoCap, aber das ist auch im Film eine computergenerierte Version seiner selbst, also passt das ganz gut. Den einzigen Schluss, den ich im Moment ziehen kann ist der, dass Camerons visuelles Vorstellungsvermögen ungeheuerlich sein muss. Man weiß zwar, dass Regisseure oft in fertigen Filmszenen denken, noch lange bevor das Projekt angefangen hat, aber Cameron hatte während der ganzen Dreharbeiten kein einziges fertiges Element in seinen Szenen. Alles war nur vorläufig, Previz eben. Jedenfalls bin ich schon gespannt, wie sich das in den nächsten Jahren weiterentwicklen wird. George Lucas möchte wahrscheinlich auch noch ein Wörtchen mitreden und dreht, Gerüchten zur Folge, nun doch noch eine weitere Trilogie. Da werden wir noch viel zu lachen haben.                               

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