Donnerstag, 22. Juni 2006

PULP FICTION

Liebe Leser!

Es überrascht ja kaum noch, dass in der heutigen Zeit jeder halbgebildete Sprachvergewaltiger einen Verlag findet, der das hilflose Gestammel eines an den Massenmedien zu Grunde gegangen Geistes zu publizieren bereit ist. Das Erschütternde ist nur, dass Dan Brown mit SAKRILEG (THE DA VINCI CODE) Millionen von Lesern anspricht, die diesen billigen Banalitätenzirkus für einen hervorragenden Thriller halten. Dieser Fehleinschätzung erliegt man aber nur, wenn man auf Barbara Karlich, Vera Russwurm und Bügelfernsehen im Allgemeinen abfährt und THE DA VINCI CODE das erste Buch seit Zusendung des letzten Quellekatalogs ist.
Eigentlich bin ich ja ganz froh, dass es den guten Dan gibt. Als Literaturwissenschaftler kommt man ja manchmal in die Verlegenheit für Bekannte in drei Sätzen erklären zu müssen, worin der Unterschied zwischen Schundliteratur (pulp fiction) und Literatur im engeren Sinn besteht. Nun, am Beispiel von Dan Brown als Inbegriff des modernen Analphabetismus lässt sich wunderbar zeigen, wie ein Fäkalienalchemist zuerst Scheiße in Worte und dann Worte in Gold verwandeln kann. Ich möchte aber die Argumente nicht schuldig bleiben und präsentiere nun die Ergebnisse meiner qualvollen Leseerfahrung. Immerhin musste ich 600 Seiten Sprachverrohung bewältigen. Womit wir auch schon beim ersten Thema wären:

1) Sprache
Während sich der Ausdruck "pulp" in "pulp fiction" auf die Qualität des Papiers bezieht, ist er bestens als Beschreibung für Dan Browns Prosa geeignet: ein form- und farbloser Brei von Platitüden und Verbaldiarrhöe - halbverdautes und sofort wieder ausgekotztes Sprachfastfood aus Film und Fernsehen. Diese verbale Inkontinenz hat auch zur Folge, dass die äußerst dünne Geschichte über 600 Seiten zähflüssig dahinläuft. Alles wird dreimal wiederholt, damit auch der letzte Hugo noch kapiert, was gerade los ist.
"The fond memory caused Sophie a pang of sadness as the harsh reality of the murder gripped her again." Diese Trivialkollokationen überziehen den ganzen Roman wie eine Pilzerkrankung: fond memory, horrible death, deadly enemy, ancient secret, secret message, wide shoulders, broad chin, loyal servant, orgiastic rituals, a deep sense of loss, a roaring gunshot, a narrow crawl space, the nighttime breeze, the very foundation of, etc.

2) Superlative
In der Welt des THE DA VINCI CODE gibt es nur Superlative. Wie in Superheldencomics hat jede(r) genau eine Eigenschaft, in der er / sie am besten ist. Diese fast übermenschlichen Fähigkeiten braucht man auch, wenn man es mit den größten Verschwörungen, ältesten Geheimnissen und schwierigsten Rätseln der Welt zu tun hat: "Jacques Saunière was the only remaining link, the sole guardian of one of the most powerful secrets ever kept." Natürlich gibt es genau eine Person (his only chance, wie Jack Bauer sagen würde), die seine Lebensaufgabe fortführen kann: "..., and there existed only one person on earth to whom he could pass the torch."

3) Charakterisierung
Die meisten Seifenopern und Trickfilme haben komplexere Charaktere als THE DA VINCI CODE. Robert Langdon und die anderen Pappkameraden sind so seicht, dass im direkten Vergleich sogar Obelix, Homer Simpson und Al Bundy als vielschichtige Persönlichkeiten erscheinen. Über Bezu Fache, den ewig grantigen und hartnäckigen Bullen, erfahren wir: "His tone was fitting - a guttural rumble ... like a gathering storm. [...] Fache's enormous palm wrapped around Langdon's with crushing force. [...] Captain Bezu Fache carried himself like an angry ox, with his wide shoulders thrown back and his chin tucked hard into his chest. His dark hair was slicked back with oil, accentuating an arrow-like widow's peak that divided his jutting brow and preceded him like the prow of a battleship. As he advanced, his dark eyes seemed to scorch the earth before him, radiating a fiery clarity that forecast his reputation for unblinking severity in all matters." Manchmal weiß man einfach nicht mehr, ob Dan Brown es ernst meint oder bereits das Genre persifliert.

4) Lächerlichkeiten
THE DA VINCI CODE enthält so viele Blödsinnigkeiten, dass man selbst als halbgebildeter Leser ständig aus der Illusion gerissen wird. Die folgenden Beispiele sind nicht frei erfunden, sondern werden sogar als Schlüsselelemente oder Beweise für die Wahrheit der Geschichte angeführt:
a) Maria Magdalena war Jesus Christus' Frau und ist als Schwangere nach dessen Tod am Kreuz von Israel nach Frankreich geflüchtet, wo sie ihre Tochter Sarah zur Welt brachte - eine völlig verständliche Reaktion, so wie auch heute noch viele schwangere Vorderasiatinnen, deren Männer ans Kreuz genagelt werden, nach Frankreich auswandern.
b) ARIEL, die kleine Meerjungfrau, hat deshalb rote Haare, weil "throughout his entire life, Disney had been hailed as 'the Modern-Day Leonardo da Vinci'. Both men were generations ahead of their times, uniquely gifted artists, members of secret societies, [...] Like Leonardo, Walt Disney loved implanting hidden messages and symbolism in his art" und Ariel steht somit für Maria Magdalena, die ja bekanntlich auch rote Haare hatte, wie bereits Leonardo da Vinci in seinem Gemälde DAS LETZTE ABENDMAHL festhielt.
c) Englisch ist eine "lingua pura", denn "unlike French, Spanish, and Italian, which were rooted in Latin - the tongue of the Vatican - English was linguistically removed from Rome's propaganda machine, and therefore became a sacred, secret tongue for those brotherhoods educated enough to learn it." Da war ich natürlich ganz erstaunt, denn gerade beim Spanischlernen hat mir Englisch mit dem größten versteckten lateinischen Wortschatz aller Sprachen sehr geholfen. Selbst die einfachsten Körperteile haben im Englischen lateinische Namen: Mundhöhle - oral cavity, Rachen - pharynx, Kehlkopf - larynx, Zeigefinger - index finger, Großhirn - cerebrum, Wirbelsäule - spinal column, Bauchspeicheldrüse - pancreas, Blinddarm - caecum, etc.

5) Pseudointellektualität
So wie Banker und Anwälte glauben, daß Anzug, Krawatte, Rotwein, Zigarre und schweres Auto Lebensstil signalisieren (und über die Banalität der eigenen Existenz hinwegtäuschen), so meint auch Dan Brown, dass sein pseudointellektuelles Dahergeschwafle seine Leser beeindruckt. Der Veteran aus dem Algerienkrieg ist bei ihm "a veteran of la Guerre d' Algérie" oder der Polizeikommisar wird mit "my capitaine" angesprochen. Brown hat nämlich nicht nur die Sprache, sondern auch die ganze Lebensart der Europäer voll internalisiert, so wie die meisten Amerikaner eben. Ständig wohnt man, wie die klassisch doofe weibliche Hauptfigur, irgendwelchen Unterrichtsstunden bei, in denen die beiden "Wissenschaftler" in Stellvertretung des allwissenenden Autors dem schwer beeindruckten Leser ihr unendliches Wissen preisgeben. Die ganze aufgeblasene high tech Superverschwörung stellt sich im Endeffekt als banales Dreigroschenromanmuster heraus, in dem es wieder einmal um tragische Familienschicksale sowie Blut und Boden geht.

6) Cliffhanger
Fast allen einhundertundfünf Kapiteln geht ein Cliffhanger voraus. Es wirkt nämlich überhaupt nicht gezwungen, wenn im Minutentakt total aufregende Dinge passieren. Einzig die Werbung fehlt noch, die man sich vor lauter Aufregung wohl verdient hätte, um vom emotional high wieder runterzukommen. Aber Dan Brown ist gnadenlos und jagt den armen Leser 105 Mal über die Hochschaubahn. Da ist natürlich für Feinheiten und Details keine Zeit. In einer Hand das Buch, in der anderen der Kotzbeutel. Man weiß ja nie, ob es nicht einem doch noch den Magen umdreht.

Labels:

2 Comments:

At 24. Juni 2006 um 18:06, Anonymous Anonym said...

Und jetzt bitte den Fortsetzungsroman.

 
At 3. Juli 2006 um 15:21, Anonymous Anonym said...

Es überrascht mich sehr, dass niemand meine ausgiebig zelebrierte Arroganz in diesem Eintrag ankreidet.

 

Kommentar veröffentlichen

<< Home