Mittwoch, 13. Oktober 2010

Europe's Promise

Liebe Europäer,

gestern war Steven Hill bei uns auf Besuch, der dieses Jahr mit Europe's Promise: Why the European Way is the Best Hope in an Insecure Age einen Vergleich zwischen dem US-amerikanischen und dem europäischen Wirtschafts- und Sozialsystem vorlegte, in dem er, wie der Titel schon verrät, Europa für die Lösung unserer globalen Probleme hält.
Diese Lobeshymnen erstaunen zunächst einmal den Österreicher in mir, für den nicht einmal annähernd eine Lösung unserer eigenen Probleme sichtbar wird und der die Bundesregierung zunehmend für das größte Übel im Land hält. Wie kommt dieser verrückte Amerikaner also auf die Idee, unseren Weg als großes Vorbild zu sehen?

Zunächst fällt einmal auf, dass die außereuropäischen Staaten Europa schon viel mehr als eine Einheit wahrnehmen als wir selbst. Das europäische Projekt ist eine der großartigsten politischen Leistungen des 20. Jahrhunderts, auf die wir alle sehr stolz sein müssten. Leider sind aber unsere Politiker zu verschlagen, unsere Medien zu zynisch und sensationsgeil, und viele Europäer zu beschränkt, um das zu verinnerlichen, gebührend zu würdigen, und so nach außen zu tragen. Stattdessen verwenden die Politiker die EU als Feindbild, um selbst besser dazustehen, verbreiten die Zeitungen Horrormeldungen über Gurkenkrümmungsvorschriften, um die Auflage nach oben zu treiben, und schimpfen die Durchschnittsösterreich unisono mit den Meinungsbildnern, weil sie intellektuell und geographisch zu beschränkt sind, um die größeren Zusammenhänge zu sehen. Wenn in Europa überhaupt irgendetwas politisch funktioniert, dann ist das am ehesten noch Brüssel. Wer sonst sollte den ganzen nationalen Dummschwätzern auf die Finger hauen, wenn nicht die übergeordneten EU-Gremien? Diese Mischung aus national gewählten Staatsdienern und übergeordneter Aufsichtsbehörde ist ein absoluter Glücksfall. So werden wir Griechenland wieder auf Kurs bringen, Sarkozy in Schranken halten, und hoffentlich die Einwanderungsproblematik lösen.

Steven Hill sieht aber auch in unserer Sozialpolitik eine große Stärke. Während die Vereinigten Staaten immer noch tiefer in die Katastrophe schlittern, haben wir Europäer die Krise relativ gut überstanden. Das hat vor allem mit unserer sozialen Absicherung zu tun. Während die Amerikaner wenig Steuern zahlen und dann privat viel in die soziale Absicherung buttern müssen, zahlen wir relativ viel an den Staat, sind dafür aber auch rundumversorgt. Rechnet man das durch, steigen wir wesentlich besser aus als die US-Amerikaner, die z.B. ihre Altersvorsorge gerade im Immobiliencrash verloren haben und später mit 30% ihres Lohns als Pension auskommen müssen. Dazu kommt noch, dass die Industrie bei uns demokratischer ist, da über Gewerkschaften die Arbeiter viel mehr mitreden können.

Was Hill wegläßt ist der Umstand, dass unsere nationalen Regierungen genau dieses System aufs Spiel setzen, weil sie zu dumm und ängstlich sind, um es wieder auf solide Beine zu stellen. Denn im Moment läuft es völlig aus dem Ruder. Es gibt fast keinen Bereich mehr, der halbwegs funktioniert: Pensionen, Gesundheit, Infrastruktur, Bildung, Landesverteidigung, Zuwanderung, Justiz, etc. Diese Bereiche werden entweder finanziell ausgehungert (Bildung, Zuwanderung, Landesverteidigung) oder mit Milliardenbeträgen überfüttert (Infrastruktur, Pensionen, Gesundheit). Deshalb rechne ich stark damit, dass sich der allgemeine Konsens in Österreich in den nächsten Jahren verflüchtigen und vieles auf der Straße ausgetragen werden wird. Ich hoffe sogar, dass die Jugend wesentlich radikaler wird und auf ihre Rechte besteht.

Denn im Moment haben wir keinen Transfer von Reich zu Arm, sondern von Jung zu Alt. Die Jungen müssen um wenig oder kein Geld immer mehr arbeiten, damit wir eine riesige Zahl von Sozialhilfeempfängern durchfüttern können und nicht auf das Vermögen der Besserverdienenden zurückgreifen müssen. Das kann so nicht weitergehen. Die reichen Pensionisten sollen die ärmeren mitfinanzieren, die gesundheitlichen Risikogruppen sollen mehr Beiträge zahlen (zB. Rauchen, Übergewicht), jeder geht mit 65 in Pension und muss davor massive Kürzungen in Kauf nehmen, und die Höchstpension wird mit 5000 Euro festgesetzt. Aber das geht alles nicht, denn die Alten sind wichtige Wähler und die Politiker würden sich selbst schaden, weil sie zu den Profiteuren dieser Umverteilung gehören.

Ich glaube, dass die Probleme schon zu lösen sind, aber der Kampf darum wird mit viel härteren Bandagen zu führen sein. Steven Hill hat völlig Recht, dass unser System gerechter und, langfrsitig gesehen, erfolgreicher ist, aber wir dürfen uns es nicht selbst kaputt machen.

Labels: