Dienstag, 17. August 2010

CSI Single

Liebe Singles,

nach einem guten Monat Ehe möchte ich mich einem Thema widmen, das mich immer schon sehr beschäftigt hat, nämnlich der Pathologisierung des Singlelebens. Obwohl wir angeblich in einer super aufgeklärten Zeit leben, in der jeder theoretisch machen kann, was er will, gibt es trotzdem zahllose Erwartungshaltungen, die bei fortdauernder Nichterfüllung in standardisierte Vorurteile umschlagen. Menschen, die längere Zeit alleine leben, werden dann in eine der folgenden Schubladen gesteckt:

1) Hedonisten:
Diese Singles hätten zwar auf dem Beziehungs- und Heiratsmarkt die besten Chancen, wollen aber lieber alleine bleiben, weil dadurch das Leben viel angenehmer ist: Karriere, Kohle, grenzenlose Freiheit, oberflächliche Sexabenteuer, ein individueller Lebensstil ohne WENN und ABER.
Diese JAMES BOND-Variante kommt in der Wirklichkeit wahrscheinlich nur selten vor, wird aber von den Zeitungen immer wieder gerne kolportiert.

2) Gestörte:
Diese Personen sind beziehungsunfähig, haben also einen gröberen Schaden, der sich negativ auf das traute Miteinander auswirkt. Für Menschen, die mit sich selbst nicht klarkommen, macht die Beziehung das Leben noch viel schwerer und das Scheitern ist praktisch schon vorprogrammiert.
Auch diese Vorstellung ist weiter verbreitet als man glaubt.

3) Loser:
Zu dieser Gruppe gehören die Versager, Arbeitslosen, Langweiler, Geeks, Freaks, Muttersöhnchen, Streber (zumindest als Jugendliche) und ähnliche soziale Randerscheinungen.

4) Homosexuelle:
Wenn jemand sehr sympathisch und sozial integriert ist, und trotzdem alleine lebt, also Punkte 1-3 wegfallen, dann muss er folglich schwul sein. Wie sonst könnte man es sich erklären, dass jemand, der so 'normal' wirkt, niemanden findet.

Da für einen Single die Punkte 1) und 4) meist wegfallen, und man sich die Frage "Warum eigentlich?" auch gerne selber stellt, spielt man bei dieser Pathologisierung der eigenen Existenz gerne mit. Als Erklärung bieten sich Punkte 2) und 3) an: eine Mischung aus sozialer Störung und massenkulturinkompatiblem Lebensstil. Leider sind Singles meist nicht krank genug, um schon wieder interessant zu werden. Nicht jeder kann Drogen nehmen und in einer Band spielen. Ist man vielleicht einfach zu nett? Also zu normal? Das wäre auch wieder schlecht, weil man dann gar nicht mehr auffällt und jeder glaubt man sei schwul (siehe Punkt 4). Wenn man lange genug in diesen Bahnen denkt, dann ist das Krankheitsbild Single schneller Realität als man glaubt.

Wie gesagt, ich habe meinen eigenen Normalisierungsprozess vor einem Monat abgeschlossen. Mit der Heiratsurkunde bin ich nun zertifizierter Normalbürger, also weder egoistisch, sozial gestört, ein Loser, oder schwul. Wenn ich jetzt zu Hause vor der Glotze hänge, mir eine DVD reinziehe, stundenlang Internet surfe, Comics lese und Schokolade futtere, ist das völlig normal, denn ich bin ja verheiratet. OHNE FRAU wären das natürlich gefährliche Anzeichen für eine massive Störung, die nur im sozialen Abstieg enden kann. Aber so muss ich mir keine Sorgen machen und kann mich so normal finden wie ich bin. Wer's nicht glaubt, kann gerne meine Heiratsurkunde sehen.

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2 Comments:

At 17. August 2010 um 14:22, Blogger Christian Genzel said...

Ich dachte immer, wenn man heiratet, kommt man noch viel weniger zum DVD-Schauen. Andererseits: Verlagert sich der Rechtfertigungszwang, warum man so viele DVDs schauen und Spiele spielen muß, dann nicht einfach von außen (Gesellschaft) nach innen (Ehepartner)?

 
At 23. August 2010 um 16:15, Blogger obi-wan said...

Absolut. Wie jede soziale Konfiguration bringt die Ehe genau so viele Vorteile wie Nachteile mit sich. Was mich stört ist, dass viele ständig mit Hierarchien operieren, die de facto völlig sinnlos sind.

 

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