Freitag, 19. Jänner 2007

Rhematiker

Liebe Kommunikationswissenschaftler!

In der funktionalen Grammatik unterscheidet man zwischen dem Thema und dem Rhema eines Satzes. Das Thema - wer hätte das gedacht? - gibt an, worum es eigentlich geht (Kontext), und das Rhema bringt die neue Information (Text). Ein simples Beispiel:

Es war einmal ein König. Der hatte drei Töchter.

Im ersten Satz ist "ein König" Rhema (neue Info), während im zweiten Satz "Der" (gemeint ist der König) das Thema bildet und "drei Töchter" als neuer Inhalt dazukommt (Rhema). Alle Fürwörter sind somit thematisch, weil sie sich auf den Kontext vorheriger Sätze beziehen. So weit, so gut.

Nun gibt es aber Menschen, die prinzipiell auf das Thema bzw. den Kontext verzichten und gleich mit dem Rhema bzw. der neuen Information anfangen. Das hindert diese natürlich nicht daran haufenweise Fürwörter zu verwenden, die jetzt für Wörter stehen, die gar nicht da sind. Rhematiker fangen ihre Erzählungen folgendermaßen an:

"Sie hat es gleich dort noch probiert, aber es passte einfach nicht."
"Wenn er sich nicht beeilt, werden sie es verkaufen."
"Jetzt haben sie es schon wieder aufgestellt."
"Er wollte ja deswegen noch hin, aber extra zwei Stunden im Auto stehen auch nicht dafür."

Für Rhematiker eröffnet sich ein neues Thema als Gedankenblitz, vermutlich als visueller Eindruck. Anstatt für den Gesprächspartner dieses Bild in Sprache umzusetzen, damit er bzw. sie weiß, worum es geht, wird sofort die neue Info mitgeteilt. Da Telepathie nicht zu den Standardformen menschlicher Kommunikation zählt, hat vielleicht noch jemand aus dem engeren Familienkreis die Chance den Kontext des soeben Gesagten zu erraten. Wenn die Cousine demnächst heiraten wird, macht der Satz "Sie hat es gleich dort noch probiert, aber es passte einfach nicht." noch halbwegs Sinn, wenn man "dort" als Brautmodegeschäft interpretiert.

In meinem sozialen Umfeld bin ich mit zwei Rhematikerinnen der Spitzenklasse gesegnet. Es soll hier natürlich nicht der Eindruck erweckt werden, dass nur Frauen von diesem Phänomen betroffen sind. Ganz im Gegenteil: Ich möchte es als allgemein gültige Wahrheit verstanden wissen.
Meine Mutter spricht als grande dame des Rhematismus sowieso nur in Rätseln. Drei Sätze lang versucht man verzweifelt zu erraten, worum es gehen könnte, aber bei einer solchen Großmeisterin hat man sowieso keine Chance. Da hilft eben wirklich nur ein "Entschuldigung, aber wovon sprichst du überhaupt?". Manchmal lässt sie sich aber auch davon nicht irritieren und redet munter weiter: "Und dann mussten sie doch noch ins Krankenhaus. Du weißt ja, wie das ist. Stundenlang in der Aufnahme warten und das nur wegen dem gequetschten Daumen. Aber andererseits will man ja auf Nummer sicher gehen. Dann fängt das Ding drei Tage später zum Eitern an und dann hat man den Salat. Wenigstens waren die Kinder gerade bei der Tante. Du weißt ja, wie die Kleinen sind."
Meine Chefin ist ein ähnlich hartnäckiger Fall:
"Passau ist da."
"Jetzt haben sie doch noch den Antrag abgewiesen."
"Wahrscheinlich kommt er erst nächste Woche, aber trotzdem müssen wir uns um das Hotel kümmern."
"Das ist eine ganz eine nette. Die sollten wir auf jeden Fall dabei haben."

Es ist ja so schon schlimm genug, bei den wichtigen Dingen im Leben erraten zu müssen, was Frauen denken, aber wenn das zur täglichen Praxis wird, nimmt das Leiden kein Ende mehr.

Wer sich grammatikalisch noch vertiefen möchte:

http://de.wikipedia.org/wiki/Thema-Rhema-Gliederung
http://culturitalia.uibk.ac.at/hispanoteca/lexikon%20der%20linguistik/t/THEMA%20vs%20RHEMA.htm

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2 Comments:

At 8. Juni 2007 um 17:50, Anonymous Anonym said...

Eine Freundin von mir ist auch Rhematikerin. Es ist wirklich schwer so jemand zu verstehen. Aber es wird um einiges leichter, wenn man seine logisch denkende Gehirnhälfte ausschaltet und mehr über das Gefühl zuhört. Ich weiß nicht, ob Du Dir als Mann das vorstellen kannst, was ich meine. Es funktioniert auf jeden Fall. Es kommt ja meist (im Privatleben zumindest) nicht so genau darauf an, wie was im Detail gemeint war. Oft geht es ja mehr um ein Gefühl, was Dir jemand mitteilen möchte. Da fühlt man sich dann mit rein und schon herrscht eine Verbundenheit und Harmonie. Auch wenn man eigentlich nicht weiß, worum es geht, aber das Wichtigste ist doch gesagt, oder?
Und je mehr man sich auf das Gefühl des anderen konzentriert, umso mehr versteht man dann auch die Fakten.
Probier's mal aus!
;-)

 
At 24. Juli 2007 um 14:40, Blogger Christian Genzel said...

Man könnte ja auch einfach mit den gleichen Waffen zurückschlagen: "Gut, daß du das erwähnst, weil ich dich auch schon darauf ansprechen wollte, aber findest du nicht, wir sollten sie vorher fragen und es dann einfach dahinbringen? Ich meine ja nur, weil er sowieso davon weiß."

 

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