Dienstag, 31. Oktober 2006

Esperando la última ola

Liebe Sentimentale!

Man sitzt im Kino und steuert emotional dem Höhepunkt des Films entgegen. Lehrer John Keating wurde gerade von der fiesen Schulleitung gefeuert und packt seine sieben Sachen ein. Die Schüler, von der Disziplinarkommission wieder auf Zucht und Ordnung getrimmt, sitzen stillschweigend und gesenkten Hauptes im Klassenzimmer. Als sich der arme John wortlos in Richtung Tür begibt, springt plötzlich ein Schüler auf den Tisch und erweist ihm ein letztes Mal die Ehre, indem er ihn "Oh Captain! My Captain!" nennt. Daraufhin folgen ihm alle anderen Mitglieder der DEAD POETS' SOCIETY. Dazu gibt's noch die passende Musik und schon kommt, wie vorprogrammiert, das richtige Gänsehautfeeling auf.
In so einer Situation merke ich sehr oft, dass ich emotional noch nicht ganz da bin, wo mich der Film gerne haben möchte. Doch dann schwappt eine Welle kollektiver Berührtheit über mich hinweg und schon bin ich Teil des Ganzen.
Wenn man einmal genauer darüber nachdenkt, muss man plötzlich eine Sache akzeptieren, die man sonst eher in den Bereich der Parapsychologie abschieben möchte: Gefühlsübertragung. Damit meine ich jetzt nicht, dass uns jemand runterzieht, der schlecht drauf ist, sondern eine Vorstufe zur Telepathie, nämlich Empathie.
Jetzt könnte man natürlich argumentieren, dass man im Kino in der selben Situation wie alle anderen ist (emotional aufgewühlt) und eben nur noch ein bisschen was fehlt, um den letzten Ausschlag zu geben. Interessanterweise habe ich etwas Ähnliches schon ein paar Mal mit Einzelpersonen erlebt, wo ich nicht in der selben Stimmung war und trotzdem plötzlich einen Emotionsschub mitbekommen habe, der eindeutig nicht von mir ausging.
Beim ersten Mal wusste ich überhaupt nicht, was eigentlich passiert war. Da stehe ich mit einer guten Bekannten im Badezimmer und wasche mir die Hände. Wie es meistens der Fall ist, bin ich geistig nicht wirklich präsent. Plötzlich trifft mich aus ihrer Richtung eine eigenartige Emotionswelle, die ich überhaupt nicht zuordnen kann. Irgendetwas ist passiert. Da könnte man natürlich schon fragen: "Was hast du gerade gefühlt?", aber das ist aus zahllosen Gründen nicht sehr ratsam.
Beim zweiten Erlebnis dieser Art war es sehr ähnlich. Eine (andere) gute Bekannte fragt mich bei einer Party, ob ich eine Minute Zeit hätte. Ich gehe also mit ihr raus, wo es ein wenig ruhiger ist. Plötzlich wieder diese heftige emotionale Welle aus ihrer Richtung. Die Erklärung für ihre Aufgewühltheit folgt dann auch gleich verbal.
Ich glaube nicht, dass man aktiv Gefühle auf andere übertragen kann oder, wenn man sich bemüht, andere in dieser Hinsicht "lesen" kann. Trotzdem habe ich selbst miterlebt, dass es so etwas, zumindest unfreiwillig, gibt.
Bei der Erforschung von Gruppendynamik kennt man, so weit ich mich daran erinnern kann, auch das Phänomen, dass gewisse Emotionspotentiale, wie zum Beispiel Gewaltbereitschaft oder Panik, überspringen. Man wird dabei nicht körperlich, sondern emotional mitgerissen. Der Körper schaltet das Großhirn aus, stellt auf Panikmodus um und wenn man wieder klar denken kann, hat man mit dem Rest der Flüchtenden im Extremfall ein paar Leute niedergetrampelt.
Es würde mich sehr interessieren, was ihr zu all dem zu sagen habt.