Nachspeisen
Liebe Naschkatzen!
Im Kontakt mit fremden Kulturen und unbekannten Lebensformen stößt man hin und wieder auf Verhaltensweisen, die einem höchst eigenartig erscheinen. Dies trifft vor allem auf den Umgang mit Frauen zu. Weil man als Mann ständig bemüht ist die Rechenleistung seines Gehirns niedrig zu halten um seinen jämmerlichen Arbeitsspeicher zu schonen, dringen viele Phänomene der Außenwelt gar nicht ins Bewußtsein vor. Erst in der direkten Auseinandersetzung mit bis dato unbekannten, um nicht zu sagen unheimlichen Vorgängen, wird man auf diese aufmerksam. Aus einer Fülle von denkbaren Beispielen wähle ich ein konkretes aus, anhand dessen sich, wie bei allen kulturellen Praktiken, die Eigentümlichkeiten von Denk- und Verhaltensweisen sehr schön aufzeigen lassen. Es geht, wie im Titel bereits angekündigt, um Nachspeisen.
Nähert man sich dem Phänomen der Nachspeise einmal möglichst objektiv an, stolpert man rasch über die ersten Widersprüche. Warum kommt jemand auf die wahnsinnige Idee und möchte nach der Hauptspeise, die vermutlich so genannt wird, weil man da einen Großteil seines täglichen Kalorienbedarfs abdeckt, noch etwas zu sich nehmen? Und zwar nichts Leichtbekömmliches, sondern die süßesten Leckerlis dieser Welt: Schokotorte, Topfenknödel mit Kompott, Heiße Liebe und ähnliche von hausbauenden Zahnärzten empfohlenene Kalorienkonzentrate.
Man löffelt sich also brav durch die Suppe, bestellt sich einen Teller voll von köstlichem Essen, trinkt etwas dazu und wenn man dann so richtig satt ist, kommt einem plötzlich die zündende Idee: Wenn ich schon mal hier am Tisch sitze, könnte ich ja gleich noch Eispalatschinken reinwürgen, denn bekanntlich hat der Mensch fünf Minuten nach Abschluss des Mittagessens den größten Hunger.
"Halt!" ruft da die Freundin des süßen Danachs. "Ich plane ja voraus. Beim Essen darf nämlich nichts dem Zufall überlassen werden! Zuerst suche ich auf der Karte die Nachspeise aus und entscheide dann, was vorher dazupasst."
Die Nahrungsaufnahme der Frau ist wie das Sonarsystem des Wals: beides hochintelligente Wesen, die einen Großteil ihrer Rechenkapazität für einen bestimmten Teilbereich ihres Lebens einsetzen. (Magersüchtige sind das extremste Beispiel: die essen gar nichts mehr, denken aber gleichzeitig ausschließlich an ihre Essstörung.) Männer haben in der Regel kein Problem, weil sie ganz einfach essen, wenn sie Hunger haben oder plötzlich Lust auf etwas verspüren. Das Großhirn, um etselbiges nicht zu überlasten, ist beim Nachspeisenbestellen nur für Sekundenbruchteile peripher tangiert: will Eis haben - "Ober, Bananensplit!" - mission accomplished. Frauen haben es da nicht ganz so leicht, weil ihr Essverhalten von tausend Regeln bestimmt ist, von denen ich nur die zwei einfachsten Prinzipien präsentieren möchte:
1) Ich darf nicht außerhalb der von mir fix eingeplanten Zeiten Nahrung zu mir nehmen - Hunger hin oder her.
2) Ich darf nichts spontan essen, worauf ich gerade Lust habe, weil jede Kalorie genau in meinen faschistischen Diätplan passen muss. Wenn ich da einmal über die Stränge schlage, muss ich mich nicht nur vor anderen, sondern vor allem vor mir selbst rechtfertigen und für den ganzen Tag den Speiseplan umprogrammieren, weil am Ende wieder die selbe Kalorienmenge rauskommen muss.
Wenn Frauen aber gerne süße Sachen essen, tun sich folgende Probleme auf: Regel 1 verbietet, dass man außerhalb der kulturell sanktionierten Zeiten isst. Wenn man den Tag nicht gleich beim Frühstück mit einem Stück Kuchen beginnen will (den ganzen Tag lang ein schlechtes Gewissen), bleibt eigentlich nur die Nachspeise. Regel 2 besagt, dass man das Stück Kuchen nicht zusätzlich essen darf, also muss die Hauptspeise zur Nebenspeise degradiert werden, damit das Nullsummenspiel wieder stimmt. Das hat wiederum zur Folge, dass man gewisse Sachen auf der Speisekarte gar nicht bestellen darf, weil es keine Kinderportionen gibt und man nicht das halbe Essen stehen lassen will. Deshalb sind Frauen auch begeisterte Buffetesser, weil man sich da alles selbst aussuchen darf. Es hat auch noch den zusätzlichen Vorteil von überall ein bisschen was zu bekommen.
Dieses Buffetdenken überträgt sich leider auch auf die herkömmliche Restaurantsituation, in der eigentlich jeder für sich bestellen und mit seiner eventuellen Fehlentscheidung zurechtkommen müsste. Frauen neigen hingegen dazu, die Gabel über den eigenen Tellerrand hinauswandern zu lassen, um stichprobenartig alles zu probieren, was der Tisch, an dem man gerade sitzt, hergibt: "Mmmm. Was hast du denn da bestellt? Das sieht ja ganz besonders lecker aus. Dürfte ich da mal ...? Hmmm. Jetzt musst du aber auch bei mir kosten." Während Männer das Essen zum Anlass nehmen, um über andere Dinge zu reden, wird hier schon wieder über Essen geredet und nachgedacht: "Neulich, als wir beim neuen Italiener waren, da gab's so tolle Gnocchi, da müsst ihr unbedingt einmal hin." Und die andere sagt: "Jetzt habe ich mir dieses Bollywood-Kochbuch gekauft, weil mich das immer schon so interessiert hat." Und die dritte: "Also ich finde den Jamie Oliver immer noch am sympathischsten, obwohl er so fett kocht."
Wenn sich zu diesen neurotischen Tendenzen dann noch die echte Lebenskrise dazuschlägt, wundert es mich wenig, dass gerade der Bereich krankhaft wird, zu dem man schon die ganze Zeit ein gestörtes Verhältnis hat. Warum muss ich als Frau meinen morgendlichen Kalorienspiegel so niedrig halten, dass ich schon in der Früh der Mittagszeit entgegenfiebere, um endlich was essen zu dürfen? Wahrscheinlich sind wir Männer schuld, weil wir nur schlanke Frauen akzeptieren. Jedenfalls höre ich das immer wieder von Frauen, interessanterweise aber nie von Männern. Vielleicht bin ich aber auch in den falschen Kreisen unterwegs. Meines Wissens nach sind Beziehungen noch nie an einem Stück Schokotorte gescheitert.
Labels: Frauen
4 Comments:
die faschisten sind echt überall! jetzt haben sie sich schon in die diätpläne eingeschlichen.
YEAH! Dear Obi-Wahn, mit diesem Blog-Eintrag hast du dich selber übertroffen. Vermutlich deine schärfste, witzigste, gelungenste Kolumne seit langem. Druckreif!
Weil der Comment zu lang würde, schreit das nach einem Blogeintrag. Der Titel steht jetzt schon fest:"Challenging Obi-Wahn!"
Tja, harte Arbeit zahlt sich aus. Ich habe noch nie so lange an einem Blogeintrag herumgebastelt wie an diesem. Neben Satire, offener Provokation und ungerechtfertigten Verallgemeinerungen wollte ich den wahren Kern nicht aus den Augen verlieren. Schön, dass ich euch unterhalten bzw. provozieren konnte.
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