Der Fluch der Unterbrechung
Liebe Bürohengste!
Treffen sich zwei Beamte am Gang vor ihren Büros. Sagt der eine: "Kannst du auch nicht schlafen?"
Das waren eben noch die guten alten Zeiten des sozialistischen Büroalltags in den Beamtenburgen diverser Staatsbetriebe. Da ging man nicht zur Arbeit, um Leistung zu bringen, sondern um soziale Kontakte zu pflegen. Den Vormittag brachte man mit ein wenig Bürokratie und viel Kaffee rum, um nach einer ausgedehnten und wohlverdienten Mittagspause sich dem Kartenspielen zuzuwenden. Als technologiefreie Zone war das Büro ein Hort der Geruhsamkeit und Beschaulichkeit, eine Oase des Friedens im hektischen Arbeitsalltag der anderen. Doch die Zeiten ändern sich. In "Der Fluch der Unterbrechung" (DIE ZEIT, Nr. 46, 9. November 2006, S. 73-4) schrieb Jürgen von Rutenberg vor kurzem:
"Nie gab es so viele Unterbrechungen wie heute, eine logische Folge der Vernetzung durch Internet und Mobilfunk. Seit alle allen jederzeit etwas mitteilen können, tun sie es auch. Unterdessen verschwinden die letzten Bastionen der Unerreichbarkeit. Die Funknetze weisen immer weniger weiße Flecken auf, die ersten Fluglinien wollen den Handybetrieb demnächst auch im Himmel zulassen."
Gloria Mark von der University of California untersuchte 2004 mit ihren Studenten eine kalifornische Hi-Tech-Firma, um herauszufinden, wie lange ein Angestellter an einer Sache durchgehend arbeiten konnte:
"Elf Minuten. So lange kann sich den einschlägigen Studien zufolge der durchschnittliche Büroarbeiter mit einem Thema beschäftigen, bevor er unterbrochen wird. Elf Minuten, das mag erst mal gar nicht so dramatisch klingen. Doch je näher man hinsieht, desto verrückter erscheint unsere ganz normale Arbeitswelt.
[...]
Nach jeder Unterbrechung, so fand sie heraus, wendet sich der Büroarbeiter im Durchschnitt mindestens zwei anderen Aufgaben zu, bevor er zur ursprünglichen Tätigkeit zurückkehrt – etwa 25 Minuten später. Nach so vielen Ablenkungen dauert es natürlich, bis er sich wieder in die alte Aufgabe hineingedacht hat. Der Schreibtisch ist mittlerweile von neuen Papierschichten überlagert, die Fenster auf dem Monitor müssen neu zurechtgezogen werden. Und was war das noch mal für ein Geistesblitz vorhin, kurz bevor es an der Tür klopfte? Er ist wahrscheinlich dahin. Das so genannte Arbeitsgedächtnis des Menschen kann zwar, wie der Arbeitsspeicher eines Computers, Informationen sehr schnell prozessieren, speichert sie aber nicht dauerhaft. So kann jede Unterbrechung das kunstvoll errichtete Gedankengebäude zum Einsturz bringen.
Bis der moderne Held der Arbeit wieder die Konzentration erreicht hat, die er vor der Unterbrechung hatte, vergehen rund acht Minuten. Bleiben noch drei Minuten effektive Arbeitszeit bis zur nächsten Unterbrechung.
[...]
Innerhalb der 11-Minuten-Phasen zerstückelt sich die Aufmerksamkeit noch mal in Abschnitte von durchschnittlich drei Minuten – so oft wechselt der Held der Arbeit die Art der Tätigkeit, beispielsweise vom Lesen eines Papiers zum Verfassen einer E-Mail.
[...]
Der durchschnittliche Büroarbeiter unterbricht sich selbst genau so oft, wie er von außen unterbrochen wird.
[...]
Die Arbeit kommt ihm immer anstrengender vor, sein Einsatz immer größer, während er immer schneller auf der Stelle tritt."
Diese stete Ruhelosigkeit, gekoppelt mit dem dumpfen Gefühl, dass man trotz vollen Einsatzes eigentlich nichts weiterbringt, ist mittlerweile ein Dauerzustand. Die ständigen Unterbrechungen führen auch dazu, dass man in Zeiten der Stille diese gar nicht mehr erträgt:
"Das zersplitterte Bewusstsein der Unterbrochenen ist inzwischen die herrschende Geisteshaltung unserer Zivilisation."
Sitzt man einmal zehn Minuten entspannt im Lesesessel, muss man schon wieder aufspringen und sich künstlich ablenken. Viele amerikanische Fernsehserien, wie die SIMPSONS, laufen nur mehr 20 Minuten lang. Ich ertappe mich zunehmend dabei, dass ich bei Sendungen, die eine halbe Stunde oder mehr dauern, manchmal leicht unruhig werde: Wie lange geht denn das noch? Die härteste Probe ist aber der Umgang mit Kindern, die prinzipiell kein Zeitgefühl haben.
Als ich vor ein paar Jahren mit meiner Nichte spazieren war, blieb sie plötzlich auf einer Brücke stehen und starrte in den Bach. Nach endlosen fünf Minuten fragte ich einmal vorsichtig, ob sie nicht weitergehen wollte. "Nein. Es ist so schön hier." Also stellte ich mich neben sie und sah ebenfalls dem Dahinplätschern des Wassers zu. Jetzt wird sich jeder eine buddhistische Lehre aus diesem Erlebnis erwarten, aber die könnt ihr euch ja selbst zusammenreimen. Während ich mich sonst als sehr geduldig einschätzen würde, setzte mir diese unerträgliche Ruhe gewaltig zu. Ich bin eben auch ein Kind meiner Zeit.
Labels: Zeit
2 Comments:
Wir haben abgestimmt und beschlossen, daß du dir auch ICQ anschaffen mußt. Du wurdest übrigens überstimmt.
die nichten geschichte ist nett, so können kinder auch sein. die eigenen kinder zu hause sind allerdings meister im unterbrechen, vor allem im vorschulalter, es sei denn man hat es eilig,
dann ist muße angesagt...
die ganze büro-geschichte hat mich jedenfalls sehr an den alltag mit kleinen kindern erinnert. :-))
Kommentar veröffentlichen
<< Home