Montag, 23. März 2009

Direktvertrieb

Liebe Direktkunden!

Dreimal in meinem Leben fanden irgendwelche fremden Menschen mich unglaublich sympathisch und wollten sich mit mir treffen, bzw. hatten einen ganz besonderen Tipp für mich. Dreimal stellte sich heraus, dass meine scheinbaren Bewunderer und Neo-Freunde im Direktvertrieb bzw. Pyramidenspielbusiness tätig waren.

Beim ersten Mal kam mir die Sache schon gehörig spanisch vor. Nach einer dreiwöchigen Tätigkeit in einem Ferienlager für Linzer Kinder tauschten wir Betreuer die Telefonnummern aus - mit der sicheren Gewissheit, dass sich niemand beim anderen melden würde. Und siehe da: nach 1-2 Wochen rief unser Blondie an und lud uns alle zum Kaffee zu sich nach Hause ein. Also trat die gesamte Mann- und Frauenschaft an zu Kaffee und Kuchen. Das war eigentlich recht nett. Weitere 1-2 Wochen später rief mich besagte Blondine noch einmal an und wollte sich nur mit mir treffen. Da wusste ich natürlich sofort, dass etwas gehörig faul war. Also ließ ich nicht locker, bis sie am Telefon mit der Wahrheit rausrückte: Ja, sie arbeite für Amway und suche im Prinzip neue Kontakte, um Kunden bzw. weitere Mitarbeiter zu werben.

Beim zweiten Mal sprach mich eine entfernte Bekannte an, dass es da eine tolle Möglichkeit gebe nebenbei Geld zu verdienen. Das wäre doch sicherlich etwas für mich, wo ich doch bla bla bla. Als Student hat man ja viel Zeit, also ging ich einmal hin zu dieser OVB Zentrale in Salzburg. Dort hatten sich dutzende Desperados versammelt, die alle einen Scheiß Job hatten, dringend Geld brauchten, oder beides. Die OVB Jungs schwärmten uns dann vor, wie leicht es nicht sei im Vermögensberatungssektor Geld zu verdienen. Die Werbefilme für die Firma waren haarsträubend lächerlich. Man sah die erfolgreichsten Berater dicke Zigarren rauchen, schwere Autos fahren, blonde Sekretärinnen anmachen, auf Firmenpartys abfeiern etc. In einer Powerpoint Präsentation wurde uns dann auf einer Folie vermittelt, wie unglaublich unabhängig das Unternehmen sei, während eine andere darstellte, dass OVB einer deutschen Versicherung gehört. Mein Interesse war nun insofern geweckt, als ich wissen wollte, wie dieses Vertriebsmodell funktioniert. Arbeiten wollte ich auf keinen Fall für diese Lackaffen. Beim nächsten Treffen waren schon bedeutend weniger Interessenten da, also nur die Allerverzweifeltsten. Mit Hilfe zahlreicher Kärtchen erklärten sie mir nun die 'Masche' des Unternehmens. Zur Beruhigung kam immer der folgende Satz: "Du musst dir gar nichts selbst einfallen lassen. Da steht alles drauf. Lerne das einfach auswendig und dir kann nichts passieren." Hinter dieser Hülle aus Seriosität und Anstand kam bald das tatsächliche Geschäft zum Vorschein: Verwandte abklappern und Versicherungen verkaufen.

Beim dritten Mal fand mich ein Kursteilnehmer an der VHS so sympathisch, dass er mir unbedingt von einer Sache erzählen wollte, bei der man ganz ohne Anstrengung nebenbei Geld verdienen könne. Das hatte ich zwar nicht nötig, aber mich interessierte wieder diese geheimnisvolle Tätigkeit, die er nur so andeutete. Also traf ich mich mit diesem Herrn in einem Cafe. Schnell hatte er seine Karten heraußen und fing mit der Erklärung an. Das klang alles sehr nett und vielversprechend. Auf Seite 10 tauchte dann endlich auf, worum es eigentlich ging: Amway. Na super, jetzt kamen wir der Sache schon näher. Wie immer geht alles ganz locker über Empfehlungen, denn, und das ist besonders wichtig, es handelt sich ja nicht um Keilerei. Als es zum Schluss hin immer konkreter wurde, fand sich als Punkt 2 bei einem möglichen Einstieg die Preisgabe einer Adressliste mit allen Familienmitgliedern und Freunden. Hoppla! Plötzlich musste also doch wieder Tante Anni Seife und Onkel Rudi Aftershave kaufen!

Die armen Narren, die in und mit einem solchen System arbeiten, haben schon so viele Gehirnwäschen hinter sich, dass sie gar nicht mehr checken, was abgeht. Der Direktvertrieb ist immer ein Pyramidensystem, egal ob es nun streng rechtlich eines ist oder nicht. Je weiter man in der Hierarchie des Vertriebs raufkommt, desto mehr verdient man an den Personen mit, die unter einem arbeiten. Deswegen gibt es in jedem Land ein paar Menschen, die stinkreich damit geworden sind. Die meisten müssen aber ein Leben lang schuften und ihren Verwandten überteuerten Schrott andrehen, um überhaupt Gewinn zu machen. Die momentane Wirtschaftskrise wird wieder scharenweise neue Opfer in die Hände dieser Bauernfänger treiben.
Und zum Thema Sympathie: als der Herr Amway kurz in einem Geschäft nachfragte, ob er da parken dürfe, kam er nachher raus und meinte: "Vielleicht fahre ich morgen noch einmal her, rede mit der Dame und sage ihr, wie sympathisch sie sei und dass es eine ganz tolle Chance für sie gebe." Jeder ist halt in erster Linie potentieller Kunde.