Samstag, 12. September 2009

Der Wiederaufbau

Liebe Patrioten!

Im Zuge der Pensionsdiskussion und dem sich anbahnenden Konflikt zwischen Jung und Alt fällt immer wieder der Begriff des Wiederaufbaus. In meinen 37 Lebensjahren habe ich die Legende vom Wiederaufbau schon so oft gehört, dass ich - vermutlich wie alle anderen - unreflektiert an die heroische Selbstaufopferung meiner Vorfahren glaube. Für die Jüngeren unter uns muss ich wahrscheinlich zunächst erklären, was der Wiederaufbau eigentlich ist. Hier also die Grundzüge:

Als am Ende des 2. Weltkriegs Österreich in Schutt und Asche lag, geschah ein Wunder in diesem unserem Lande: dem ganzen Volke wurde die Erleuchtung zuteil. Jeder streifte die niederen Beweggründe seiner menschlichen Natur wie einen alten schäbigen Mantel ab und erstahlte im Glanze einer neuen heilsbringenden Zeit. Aus Nazis wurden Demokraten, aus Verbrechern barmherzige Samariter, aus Dachinierern und Owizaran eifrige Gesellen. Diese Lichtgestalten opferten ihr eigenes Glück - oder vielmehr: ihr eigenes Leben! - um Tag und Nacht für ihre Heimat, ihre Kinder, und ihre Kindeskinder zu schuften. Ohne sie wäre Österreich jetzt noch eine apokalyptische Steinwüste, aber dank ihrer unmenschlichen Selbstaufopferung können wir, die undankbaren Gfraster, in Freude und Frieden leben. Amen.

Wenn man zur Abwechslung diese Legende einmal zu hinterfragen beginnt, ergeben sich ein paar interessante Überlegungen:

1) Angenommen die Legende stimmt einfach und unsere Urgroßeltern waren aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Um welche Generation geht es dann eigentlich genau? Die mussten also 1945 zwischen 20 und 40 Jahren gewesen sein, um die Wirtschaft überhaupt entscheidend mitgestalten zu können. Mein Vater ist 1933 geboren, also jetzt 76 Jahre alt und seit 15 Jahren in Pension, und hat die Übergangszeit zum wirtschatlichen Aufschwung miterlebt. Somit müssen unsere Helden noch älter sein und kamen folglich zwischen 1905 und 1925 auf die Welt und sind heute zumindest 85 Jahre alt und schon seit 25 Jahren in Pension. Daraus folgt: Die Pensionisten der letzten 20 Jahre waren schon gar nicht mehr dabei und bereits Nutznießer des Wirtschaftswunders. Diese tun aber ständig so, als hätten sie eigenhändig Österreich wieder aufgebaut.

2) Hatten sie eine andere Wahl? Wenn ich mich richtig erinnere, hat man in Deutschland 1945 auch nicht dreimal so viel verdient und dafür nur halb so viel gearbeitet. Dann wäre es nämlich eine echte Selbstaufopferung gewesen. Junge Ostdeutsche und Polen gehen heutzutage auch ins Ausland, weil zu Hause nichts zu holen ist. Aber damals? Wo wäre man hingegangen? Und was war die Alternative? Nicht aufräumen? Ein Land voller Arbeitsloser?

3) Der Marshallplan: Die Amerikaner schufen mit ihrem unfangreichen Finanzhilfepaket kräftige Anreize, um die Wirtschaft in Österreich wieder anzukurbeln und unser Land profitierte überproportional von diesen Geschenken. Wie war das noch mal mit alles aus eigenem Antrieb?

4) Waren 1945 alle Märtyrer? Mir leuchtet irgendwie nicht ein, dass vor und nach unserer (Ur)Großelterngeneration alle Österreicher normale Durchschnittsmenschen waren und sind, während diese eine Generation plötzlich zu lauter kleinen Superhelden wurde, die den ganzen Tag nur dem Gemeinwohl dienten. Ich sehe es bildlich vor mir: während alle Männer davor und danach von Bier und billigen Flittchen träum(t)en, sagten unsere Urgroßväter: Es ist zwar schon 6 Uhr am Abend und du siehst richtig scharf aus, Baby, aber Österreich liegt mir mehr am Herzen als alles andere. Deshalb werde ich jetzt noch im Alleingang eine zerbombte Kirche mit eigenen Händen wieder aufbauen und die Inneneinrichtung des Waisenhauses zimmern, das ich gestern aus Schutt und Asche hochzog. Tut mir leid, Darling, aber wir schreiben das Jahr 1945: kein Sex, kein Alkohol, und kein Nikotin bis wieder glückliche Kinder über Spielplätze laufen, wo jetzt noch Bombenkrater die Betonwüste durchfurchen. So waren halt unsere Urgroßväter: lauter Supermen.

5) War die Arbeitssituation wirklich so schrecklich? Für kurze Zeit vielleicht. Doch dann konnte jeder alles werden. Überall fehlte es an Fachkräften und wer halbwegs intelligent war, konnte bis in die höchsten Etagen aufsteigen. Ohne Matura eine leitende Stelle war kein Problem.

6) Und wenn doch alles ganz schrecklich war? Dann haben diese armen Patrioten auf die Gesamtzeit ihres Erwerbslebens gerechnet immer noch unglaublich profitiert. Dann waren eben die ersten 10 oder sogar 20 Jahre hart und die nächsten 30 liefen wie geschmiert. Kreisky sei Dank.

Und deshalb lasse ich mir von niemandem einreden, dass der Wiederaufbau einer Selbstaufopferung gleichkam. Die Umstände waren sicherlich anders, aber von der Heiligsprechung einer ganzen Generation sind wir meilenweit entfernt.

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