Freitag, 24. September 2010

Web 2.0

Liebe social networker,

während ich als überzeugter techno geek jeden verrückten Trend sofort mitmache (Ich habe mir diese Woche einen LCD Fernseher gekauft!), kann ich mich mit dem sogenannten Web 2.0 nicht so recht anfreunden. Im Gegensatz zu den meisten Kritikern, die immer davor warnen, dass man auf diesen social networking Seiten zu viel von sich selbst preis gibt, habe ich eine Vielzahl anderer Probleme mit diesem stündlichen Hinausposaunen der momentanen Befindlichkeit.

1) Die Banalität der Existenz
Jeder weiß, wie langweilig sein eigenes Leben über weite Strecken ist. Oft lassen sich ganze Tage oder Wochen in ein paar Sätzen zusammenfassen und die Standardantwort auf die Frage "Und, wie war so dein Tag?" ist in 99% aller Fälle "War nicht viel los." Vielleicht hat man ein Mal im Monat ein interessantes Erlebnis, das es wert ist weitererzählt zu werden. Deshalb wäre es eine absolute Horrorvorstellung für mich ständig darüber berichten zu müssen, wie man seine Zeit mit Banalitäten zubringt und - noch viel schlimmer! - erfahren zu müssen, wie andere ihre Existenz fristen.

2) Die sekundäre Welt
So wie SECOND LIFE ist das ganze Internet eine sekundäre Welt und das eigene Empfinden findet fast ausschließlich über Medien statt. Beziehungen werden über SMS, E-Mails und Telefonate angebahnt; Filme sind das einzige, das uns noch rührt und ergreift; unter Naturerlebnis verstehen wir eine Blu-Ray aus der Universum-Reihe.
Da es indirekt und irgendwie nicht echt ist, verleitet das Internet zum Spielen, zum Schummeln, zum Senken der eigenen Hemmschwelle. Man muss sich nichts und niemandem direkt stellen. Alle realen Probleme sind wie weggeblasen, denn die (scheinbare) Anonymität schützt mich wie ein Wall und, im Gegensatz zur realen Welt, erlebe ich mich als jemanden, der die Fäden in der Hand hält.

3 Die Ver-Beamtung des Privatlebens
Der Verwaltungsaufwand für die eigenen Avatare im Internet ist enorm. Im Endeffekt müsste man ständig online sein, um seine Profile auf dem neuesten Stand und seine 500 Freunde bei Laune zu halten. Das Internet ist der größte Ressourcenfresser der Welt - wahrscheinlich noch vor den Chinesen. Menschen, die gezwungen sind in der realen Welt einem Beruf nachzugehen oder soziale Kontakte pflegen wollen, stoßen bald schon an die Grenzen des Machbaren. Die meisten Schüler und Studenten verkommen zu Verwaltungsbeamten ihrer eigenen virtuellen Existenzen.

4) Der globale Marktplatz
Wie am mittelalterlichen Marktplatz bietet das World Wide Web ein Forum, wo jeder - ganz demokratisch - sagen und tun kann was er will. Gerüchte und Halbwahrheiten machen die Runde, aber die sind sowieso viel interessanter als Fakten, zu denen man nur schlecht Zugang hat. Die Weichenstellungen passieren woanders, also kann man sich in Ruhe dem Gewäsch hingeben. Wie die Waschweiber, deren aufregendes Leben vom Erleben anderer abhängt, stehen alle rum und dealen mit Gschichtln. Wie am Stammtisch haben oft die Lautesten Recht.

5) Die Illusion der Gemeinschaft
Diese tolle Gemeinschaft im Internet ist aber nur im übertragenen Sinn ein mittelalterlicher Marktplatz. Denn hier trifft man sich nicht wirklich. Der lebende Körper kauert isoliert vor einem Computer oder hängt in einer Ecke, denn nur das Gehirn und die Finger sind aktiv. Das Internet ist - wie alle Medien - oft eine Ersatzbefriedigung. Robert Venditti's graphic novel THE SURROGATES (2005-2006) zeigt das sehr schön, wenn auch die Handlung im Endeffekt etwas dürftig ist.

6) Die Instant-Gesellschaft
Der größte Widerspruch unserer Zeit ist vielleicht der, dass wir einerseits alles sofort in optimaler Qualität haben wollen, andererseits aber immer schludriger werden, was unseren eigenen Output anbelangt. Ein traditionelles Fotoalbum bedeutet(e) stunden- wenn nicht tagelange Arbeit, resultierte aber in einem ansehnlichen Ergebnis. Heute werden Unmengen von Einzelschnappschüssen irgendwo hingekippt oder draufgekleistert.
Leider ist der Mensch in vielen Bereichen nicht so toll, wie unser Beiname "Die Krone der Schöpfung" vermuten ließe. Manchmal sitzen wir 10 Minuten, um auch nur einen einzigen Satz richtig hinzubekommen. All unsere größten Leistungen und Einsichten gehen darauf zurück, dass sehr, sehr viele Menschen sehr viele Stunden wie die Blöden geackert haben. Hinter einem herzeigbaren Ergebnis steckt eben eine Menge Arbeit. Leider sind wir aber kulturell so weit, dass die Jugend E-Mails und Blogs ablehnt, weil SMS und Twitter noch schneller gehen. Das selbe gilt für das neue Leitmedium Film, das immer mehr den Text ablöst. Jeder nimmt sich lieber mit einer Kamera auf, quasselt drauflos und stellt das Ergebnis bei youtube rein. Dass die Aufmerksamkeitsspanne deutlich gesunken ist, merkt man schon, wenn man sich eine alte Fernsehserie anschaut, bei der eine Folge noch 45 Minuten dauerte. das war ein halber Spielfilm. Heute muss ein wahres Gagfeuerwerk auf uns herniederprasseln, damit wir überhaupt eine Folge mit 20 Minuten zu Ende sehen.
Ich will hier nicht den Kulturpessimisten raushängen lassen, aber ich merke an mir selbst, wie ich mich schön langsam umprogrammiere, denn früher hatte ich noch mehr Geduld und Ruhe. Wohin verschwindet aber die ganze Zeit, die wir ständig einsparen? Ich vermute einmal, dass wir sie mit kurzweiligen Banalitäten verplempern.

Wie der geniale Marshall McLuhan vor vielen Jahrzehnten feststellte, besteht die Wirkung von Medien nicht in ihren Inhalten, sondern in den Verhaltensweisen, die sie hervorrufen. Es geht nicht um das konkrete Foto auf einer Facebook Seite, sondern um das soziale Verhalten des Profilverwalters. Natürlich ist die Flucht in die sekundäre Welt eine sehr verlockende und begleitet uns unsere ganze Kulturgeschichte hindurch. Neu ist der Einstieg in diese Fantasiewelt über jedes Smartphone und das unendliche Angebot. Wenn ich mit fast 40 ernste Schwierigkeiten habe mich vom Internet loszureißen, wie geht es dann einem 14jährigen?
Deshalb halte ich mich vom Web 2.0 möglichst fern, wahrscheinlich weil ich genau weiß, dass ich selbst am gefährdetsten wäre.

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Dienstag, 17. August 2010

CSI Single

Liebe Singles,

nach einem guten Monat Ehe möchte ich mich einem Thema widmen, das mich immer schon sehr beschäftigt hat, nämnlich der Pathologisierung des Singlelebens. Obwohl wir angeblich in einer super aufgeklärten Zeit leben, in der jeder theoretisch machen kann, was er will, gibt es trotzdem zahllose Erwartungshaltungen, die bei fortdauernder Nichterfüllung in standardisierte Vorurteile umschlagen. Menschen, die längere Zeit alleine leben, werden dann in eine der folgenden Schubladen gesteckt:

1) Hedonisten:
Diese Singles hätten zwar auf dem Beziehungs- und Heiratsmarkt die besten Chancen, wollen aber lieber alleine bleiben, weil dadurch das Leben viel angenehmer ist: Karriere, Kohle, grenzenlose Freiheit, oberflächliche Sexabenteuer, ein individueller Lebensstil ohne WENN und ABER.
Diese JAMES BOND-Variante kommt in der Wirklichkeit wahrscheinlich nur selten vor, wird aber von den Zeitungen immer wieder gerne kolportiert.

2) Gestörte:
Diese Personen sind beziehungsunfähig, haben also einen gröberen Schaden, der sich negativ auf das traute Miteinander auswirkt. Für Menschen, die mit sich selbst nicht klarkommen, macht die Beziehung das Leben noch viel schwerer und das Scheitern ist praktisch schon vorprogrammiert.
Auch diese Vorstellung ist weiter verbreitet als man glaubt.

3) Loser:
Zu dieser Gruppe gehören die Versager, Arbeitslosen, Langweiler, Geeks, Freaks, Muttersöhnchen, Streber (zumindest als Jugendliche) und ähnliche soziale Randerscheinungen.

4) Homosexuelle:
Wenn jemand sehr sympathisch und sozial integriert ist, und trotzdem alleine lebt, also Punkte 1-3 wegfallen, dann muss er folglich schwul sein. Wie sonst könnte man es sich erklären, dass jemand, der so 'normal' wirkt, niemanden findet.

Da für einen Single die Punkte 1) und 4) meist wegfallen, und man sich die Frage "Warum eigentlich?" auch gerne selber stellt, spielt man bei dieser Pathologisierung der eigenen Existenz gerne mit. Als Erklärung bieten sich Punkte 2) und 3) an: eine Mischung aus sozialer Störung und massenkulturinkompatiblem Lebensstil. Leider sind Singles meist nicht krank genug, um schon wieder interessant zu werden. Nicht jeder kann Drogen nehmen und in einer Band spielen. Ist man vielleicht einfach zu nett? Also zu normal? Das wäre auch wieder schlecht, weil man dann gar nicht mehr auffällt und jeder glaubt man sei schwul (siehe Punkt 4). Wenn man lange genug in diesen Bahnen denkt, dann ist das Krankheitsbild Single schneller Realität als man glaubt.

Wie gesagt, ich habe meinen eigenen Normalisierungsprozess vor einem Monat abgeschlossen. Mit der Heiratsurkunde bin ich nun zertifizierter Normalbürger, also weder egoistisch, sozial gestört, ein Loser, oder schwul. Wenn ich jetzt zu Hause vor der Glotze hänge, mir eine DVD reinziehe, stundenlang Internet surfe, Comics lese und Schokolade futtere, ist das völlig normal, denn ich bin ja verheiratet. OHNE FRAU wären das natürlich gefährliche Anzeichen für eine massive Störung, die nur im sozialen Abstieg enden kann. Aber so muss ich mir keine Sorgen machen und kann mich so normal finden wie ich bin. Wer's nicht glaubt, kann gerne meine Heiratsurkunde sehen.

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Freitag, 20. April 2007

Schuld

Liebe Leidende!

Wie sagte unser Lieblingsmassenmörder Cho Seung-Hui so schön? "You forced me into a corner and gave me only one option. The decision was yours. Now you have blood on your hands that will never wash off." Wie Mr Cho eindrucksvoll demonstriert hat, führt Schuld als fundamentale Denkkategorie zumindest in den Stillstand, wenn nicht in die Katastrophe. Die Zuweisung von Schuld trägt nämlich nicht zu Lösungen bei, sondern verhärtet nur die Fronten. Schuld ist keine objektive Größe, wie man vielleicht vermuten könnte, sondern entsteht erst aus subjektiver Leiderfahrung. Je größer der eigene Schmerz, desto mehr Schuld lädt der Verursacher auf sich. In Mr Chos Worten:

"You just loved crucifying me. You loved inducing cancer in my head, terrorizing my heart and ripping my soul all the time."
"Do you know what it feels like to be humiliated and impaled upon a cross and left to bleed to death for your amusement? You have never felt a single ounce of pain your whole life."

Die eigene Existenz wird in extremen Fällen von Leid zu einem Mahnmal exorbitanter Ungerechtigkeit und somit eines Verbrechens an der Menschheit. Mein Lebensinhalt rezudiert sich auf einen Vorwurf, den ich in alle Welt hinaustragen möchte. Dabei handle ich nicht aus eigenem Interesse oder gar aus Verzweiflung, sondern im Dienst der gesamten Menschheit:

"I didn’t have to do this. I could have left, I could have fled, but no, I will no longer run. If not for me, for my children, for my brothers and sisters . . . I did it for them."

Da es keinen Sinn hat alleine in seinem Kämmerlein vor sich hin zu leiden, müssen irgendwann auch Taten folgen, um das eigene Leiden eindrucksvoll unter Beweis zu stellen:

"When the time came I did it, I had to."

Schulddenken ist in erster Linie ein Eingeständnis von Dummheit bzw. Schwäche. Wenn die Stammtischbrüder in fröhlicher Runde behaupten, dass die Regierung an allem Schuld sei, trifft ersteres zu, wenn Mr Cho die Gesellschaft für sein Leid verantwortlich macht, zweiteres. Er war von sich aus zu schwach, sein Leben in den Griff zu bekommen.

Interessanterweise basieren die ersten Reaktionen auf die Bluttat wieder auf Schulddenken: Professoren, Mitschüler, Psychologen, Polizisten etc. sind alle schuld, weil sie die Anzeichen hätten erkennen müssen. Wenn bei uns wieder einmal die Bildungskrise ausbricht, haben auch das Fernsehen, die Computerspiele und weiß Gott noch wer und was alles schuld. Schuld schützt die Dummen vor zu viel Denken.

Die Leidenden brauchen Schuld aus psychohygienischen Gründen. Dem Schmerz wird Sinn verliehen, indem er von anderen verursacht wird. Man leidet nicht mehr an sich, sondern an den anderen. Jeder kennt aus seinem sozialen Umfeld bzw. der Familie Menschen, die häufig von Schuld reden - der eigenen oder der fremden. In diesen Fällen ist bereits eine ganze Menge schief gelaufen.

Schuldzuweisungen sind nämlich ein völlig unbrauchbares Mittel, um irgendetwas zu bewegen. Wenn man einmal genau darüber nachdenkt, geht es bei Gerichtsverhandlungen letzten Endes nicht um Schuldzuweisungen. Das ist nur der Ausgangspunkt. In Wirklichkeit soll eine einvernehmliche Lösung gefunden werden, mit der alle WEITERLEBEN können. Dieses Weiterleben ist der entscheidende Punkt. Eine Eheberatung hat auch nur dann Sinn, wenn nach den Schuldzuweisungen Möglichkeiten gefunden werden, um die Ehe wieder in Schwung zu kriegen.

Eine Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn sie über Instrumentarien verfügt, ihre Leidenden anzunehmen. Ob das die Familie, die Fürsorge, die Religion, die Psychoanalyse oder der Sportverein löst, ist eigentlich unwichtig.

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Donnerstag, 15. März 2007

I love to hate you / I hate to love you

Liebe Haßliebende!

Die ersten paar Male kriegt man es noch gar nicht mit: "Diese Anna ist eine saublöde Tussi! So eine arrogante, selbstverliebte, depperte Schnepfe! Georg hat auch schon gesagt, dass die jeder doof findet." Doch wenn ein Bekannter, nennen wir ihn Michael, zum wiederholten Male über eine Frau herzieht, die gerade so gar nicht ins Gespräch passt, dann wundert man sich doch, wo denn diese leicht subjektiv gefärbte Einschätzung wohl herkommen mag bzw. warum die Anna, um Elvis zu paraphrasieren, always on his mind ist. Ist sie die heimliche Traumfrau, die sich einst gegen den lieben Michael entschieden hat? Man weiß ja nicht.
Dann gibt es da die eine, die jedes Wochenende nach Hause zu den Eltern fährt, um dann peinlichst genau zu berichten, wie verkalkt und begriffsstutzig die Alten schon sind und wie sehr sie unter dieser bedrückenden Atmosphäre leidet. Ein dritter hält alle Studenten für faule Säcke, die endlich, wie er, einer ordentlichen Arbeit nachgehen sollten und verbringt dann seine halbe Freizeit auf Studentenfesten oder sucht gezielt die Nähe dieser verachtenswerten Sozialschmarotzer.
Es scheint ein psychologischer Selbstschutzmechanismus zu sein, dass man all das schlechtredet, was man nicht haben kann, von dem man sich nicht lösen kann, worin man gescheitert ist oder was man sich nicht zutraut. "Anna ist eine dumme Nuss!" geht dem Michael viel leichter über die Lippen als "Ich bin schon seit Monaten in sie verliebt. Sie hat mich noch nicht einmal richtig wahrgenommen und ich weiß genau, dass das sowieso nie im Leben klappen würde."
Ein ähnlich gelagerter Fall sind die eigenen Fehler, die man besonders deutlich an anderen Menschen wahrnimmt. Wie oft habe ich es schon erlebt, dass sich Eltern genau über die Charaktereigenschaften ihrer Kinder am meisten aufregen, die sie selbst am deutlichsten haben bzw. hatten. Das gilt natürlich umgekehrt genau so. Die Hassliebe scheint gerade in Familien ein weitverbreitetes Phänomen zu sein.

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Montag, 5. März 2007

Verpasst

Liebe Live-Dabei-Seiende!

Wenn man jung ist, hat man ständig den Eindruck die tollsten Dinge zu verpassen. Kaum sitzt man eine Minute still in seinem Kämmerlein, beschleicht einen das beklemmende Gefühl, dass gerade irgendwelche Menschen, mit großer Wahrscheinlichkeit sogar die eigenen Bekannten, irgendwo, wahrscheinlich aber gleich um die Ecke, jede Menge Spaß haben, während man selbst wieder einmal mutterseelenalleine zu Hause rumhängt, Trübsal bläst und an der Ungerechtigkeit der Welt verzweifelt. Denn die anderen haben es im Leben einfach besser erwischt: Sie sehen gut aus, sind beliebt, reich, selbstsicher und sportlich.
Man schleppt sich oft widerwillig zu irgendwelchen Parties oder zum Fortgehen in die Altstadt, weil es ja sein könnte, dass sich plötzlich das Blatt wendet und man selbst die schönste Zeit seines Lebens verbringt, weil (a) wie aus dem Nichts dieses wahnsinnig nette Mädel (bzw. dieser wahnsinnig süße Typ) auftaucht und das Schicksal es will, dass man mit ihr (bzw. ihm) in ein stundenlanges Gespräch (or whatever) verwickelt wird, oder (b) die Stimmung plötzlich ins Positive umschlägt, weil ein begnadeter Komiker ein Feuerwerk an Gags loslässt, über das man noch Tage reden wird.
Nun, meine empirischen Forschungen haben ergeben, dass das Verhältnis ungefähr 10 zu 1 ist. Das bedeutet, dass man zehn Abende lang bei ohrenbetäubernder Musik völlig verschwitzt und sinnlos in der Gegend rumsteht und sich ohrfeigen könnte, weil man wieder einmal so blöd war, bis dann plötzlich einer der oben beschriebenen Glücksfälle eintrifft und man endlich für die Mühsal belohnt wird. Selbst bei dieser optimistischen Schätzung bleibt es fraglich, ob sich 30 Stunden elendster Langeweile auszahlen, wenn man dann mit zwei Stunden erstklassigen Entertainments entschädigt wird.

Ein deutliches Zeichen dafür, dass man alt wird, ist, dass man plötzlich nicht mehr das Gefühl hat alles zu verpassen, sondern bereits alles verpasst zu haben. Wenn man auf sein Leben zurückblickt geht einem oft ein "Hätte ich doch damals ..., als ich noch ..." durch den Kopf. Dabei muss man gar nicht auf die allseits bekannte midlife crisis warten: Viele 20-jährige bereuen, dass sie ihre Schulzeit nicht anders verbracht haben, und viele 25-jährige jammern, dass sie nicht mehr 18 sind und mit drei Stunden Schlaf nach einer durchzechten Nacht auskommen. Das ganze passiert eben schleichend und ist nicht plötzlich mit 40 da. Entscheidend ist aber in jedem Fall, dass man noch immer an der Wahnvorstellung leidet, dass sich alle anderen zu Tode amüsieren, während man selbst als kleines, graues Zahnrad im großen Getriebe des Weltgeschehens dahinrackert.

Es stehen einem immer mehrere dutzend Optionen offen. Man muss sich einfach nur fragen, was man heute Abend theoretisch alles machen könnte. Jede konkrete Entscheidung für etwas bedeutet, dass man auf eine Unzahl von Alternativerfahrungen verzichtet. Wie sagt Phil Connors so schön in UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER: "Du triffst Entscheidungen und lebst mit ihnen". Die meisten leben mit dem, was sie haben, treffen aber keine Entscheidungen mehr. Das mag daran liegen, dass sie sich einst so festgelegt haben, dass sie jetzt nicht mehr auskönnen oder andere über sich entscheiden ließen.

Deshalb möchte ich euch jetzt noch zwei weise Worte am Schluss dieses Eintrags mit auf den Weg geben. Mein Freund Tom, ein begnadeter Philosoph, sagte einst: "Die Gaudi im Leben muss man sich selbst machen." Womit er völlig recht hat. Und ein chinesisches Sprichwort lautet: "Wer seinen Job liebt, muss ein Leben lang nicht arbeiten." CARPE DIEM heißt nicht Freude an dem zu finden, was man nicht hat, sondern Freude in dem zu finden, was man tut. So spricht der weise Obi-Wan.

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Dienstag, 27. Februar 2007

Ohne Dich ist alles doof

Liebe Schafliebhaber!

Manchen Dingen entkommt man nicht. Dazu zählt auch Stefanie "Steff" Rölz mit ihren Schafen. Was ursprünglich als private Leidenschaft begann, ist mittlerweile ein Firmenimperium, dessen dunkle Machenschaften auf www.sheepworld.de dokumentiert sind. Bei so viel zuckersüßer Niedlichkeit und sprachlicher Banalität denkt man natürlich sofort an Kinder. Aber nein: Wie auch der Laie hier unschwer erkennen kann, handelt es sich bei der Zielgruppe um schwer Verliebte und, wenn mir die Einschränkung gestattet sei, um schwer verliebte Frauen. Liebe macht bekanntlich blind. Aber was bedeutet das?

Auf einen Schlag verschieben sich nicht nur alle Prioritäten und Wertigkeiten, sondern auch die normalen Analyseraster bei der Wahrnehmung der Außenwelt. Plötzlich ist alles andere doof und der eine Angebetete das strahlende Zentrum der Welt. Steff rölzt dazu folgende Verslein:

Die Sonne strengt sich mächtig an
und scheint so strahlend sie nur kann.
Mit Dir wär das auch sicher toll,
doch ohne Dich nervt mich das voll ...

Ich bin kein Dichter und kein Philosoph,
doch:
Ohne Dich ist alles doof.

Was denkt sich der Normalo-Mann bei einem solchen Liebesbeweis?
Wenn er nicht gerade selbst total verliebt ist und sowieso alles toll findet, dann blickt er relativ schnell den Tatsachen ins Auge:

(1) Unter keinen Umständen gehöre ich zur Zielgruppe dieser Schäfchenwelt. Die Bildchen sind für Kinder und die Reime tun wirklich weh. Als symbolische Geste mag das ja ganz lieb gemeint sein, aber ich kann das Buch unmöglich irgendwo aufstellen.

(2) Hoffentlich meint sie das nicht ernst. Dann sitze ich nämlich den Rest meines Lebens bei ihr auf der Couch (so nett das auch sein mag). Bei aller Liebe: Hast du wirklich nichts Besseres zu tun als dein Leben nach mir auszurichten? Manche Männer mögen das zwar ganz toll finden, aber mir wäre es sehr recht, wenn du deine eigenen Sachen durchziehst. Privatleben heißt nicht automatisch Leben zu zweit: Jeder sollte auch ein bisschen Freizeit unabhängig vom anderen haben.

Hier also der Rat an alle Frauen: Wenn man seinem Liebsten etwas ganz Süßes schenken will, dann hat er mit einer Tafel Schokolade die meiste Freude.

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Donnerstag, 26. Jänner 2006

Konsenssucht

Liebe Gleichgesinnte!

Wir verstehen uns ja alle so toll und wenn wir uns nur ein bisschen Mühe geben, dann wird auch noch der letzte begreifen, dass wir im Grunde unseres Herzens ja alle Menschen sind und die scheinbaren Unterschiede nur auf Oberflächlichkeiten beruhen. Wie warm wird einem ums Herz, wenn wieder einmal alle gleicher Meinung sind, die selben Filme, Bands und Bücher toll finden und auf den bösen Kapitalismus als Wurzel allen Übels schimpfen. Bei manchen Menschen muss man schon eine Zeit lang suchen, bis sich die erste Parallele erschließt. Dann kann man aber getrost einen weiteren Verbündeten für das große, allumfassende Konsensprojekt hinzuzählen.

And I said "What about Breakfast at Tiffany's?"
She said "I think I remember the film
And as I recall, I think we both kinda liked it"
And I said "Well, that's the one thing we've got"

In Zeiten der political correctness und Weltverständigung darf das Fremde nicht mehr fremd sein. Und da spreche ich noch nicht einmal von anderen Kulturen oder Religionen. Bereits der bzw. die nächste ist mir eigentlich völlig fremd. Wie sollte es auch anders sein? Blickt doch der bzw. diejenige auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in einer mir fremden Welt zurück. Doch die ersten Anknüpfungspunkte sind schnell gefunden. Small Talk heißt die Königsdisziplin der Gleichgesinnten und Zustimmungssüchtigen. Schnell hat man vieles gemein.
"Die meisten Überzeugungsträger, die sich heute vernehmen lassen, scheinen ihren Nächsten überhaupt nur als den grell ausgeleuchteten Nachbarn in einer gemeinsamen Talkshow zu kennen. Sie haben offenbar das sinnliche Gespür – und das ist oft auch: ein sinnliches Widerstreben und Entsetzen – für die Fremdheit jedes anderen, auch der eigenen Landsleute, verloren." So schreibt Botho Strauß in "Anschwellender Bocksgesang" (1993). "Auch das Missverständnis, sogar das Missverständnis wird einem menschlich teuer – es ist nahezu aufgelöst im Verkehr der öffentlichen Meinung. Jeder Meinende versteht den anderen Meinenden. Da gibt es nichts zu deuten. Die Öffentlichkeit fasst zusammen, sie moduliert die einander widrigsten Frequenzen – zu einem Verstehensgeräusch." – "Der Widerstand ist heute schwerer zu haben, der Konformismus ist intelligent, facettenreich, heimtückischer und gefräßiger als vordem, das Gutgemeinte gemeiner als der offene Blödsinn, gegen den man früher Opposition oder Abkehr zeigte."
Wie geht man um, mit dem Fremden, das zwischen einem selbst und der nächsten Person steht? Ist es ignorier- bzw. vernachlässigbar, wenn nur genügend Gemeinsamkeiten oder eine herbeigeredete Basis vorhanden sind? Oder besteht sogar eine Chance darin sich des Fremden langsam anzunehmen? Es geht ja nicht nur um die Andersartigkeit des Gegenübers. Man ist sich ja auch des eigenen Fremden bzw. Befremdlichen sehr bewusst. Wann ist der richtige Moment gekommen das feine Gespinst des leicht erwirkten Konsenses zu zerstören, indem man das Fremde plötzlich dazwischenstellt? Wieviel davon kann und darf man zumuten?

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Donnerstag, 22. Dezember 2005

Ein Blick sagt mehr als tausend Worte

Liebe Kommunikationswissenschaftler!

In letzter Zeit beschäftigt mich wieder ein Phänomen, das sicherlich jeder von euch zur Genüge kennt. Am ehesten lässt es sich mit einem Cliffhanger in einer Fernsehserie vergleichen: Die Handlung verläuft in eine ganz bestimmte Richtung und plötzlich dreht ein Blick, eine Geste, ein Satz, ein flüchtiger Moment alles um und man sitzt mit offenem Mund vor der Glotze und denkt sich: Scheiße, was ist jetzt gerade passiert?
Genau das gibt es im richtigen Leben auch. Nichtsahnend plaudert man fröhlich vor sich hin, verzapft seine üblichen Geschichten ... - und plötzlich wird man stutzig. Nach dem Tschüss und dem schönen Wochenende kam noch ein weiterer Satz, den man nicht genau verstand, irgendwie dahingemurmelt, so als würde er schwer über die Lippen kommen. Irgendetwas mit schön und die Zeit nett verbracht. Und während man noch nachdenkt, dreht sie sich nochmals um, zögert ein wenig und geht. War das jetzt ...? Habe ich ...? Wie ...?
Man zweifelt ja sofort daran, dass da gerade etwas Außergewöhnliches passiert ist, auch wenn man genau weiß, dass dem so ist. Und dieser eine Augenblick läßt plötzlich alles in einem völlig anderen Licht erscheinen. Dabei war es doch nur ein flüchtiger Moment, aller Wahrscheinlichkeit nach völlig falsch interpretiert. Und trotzdem läuft der Prozessor auf Hochtouren. Ein ganzes Wochenende lang. Es war ja auch bei aller Unklarheit ziemlich deutlich, dass da womöglich irgendwie doch, wenn man es sich genau überlegt ...
Und irgendwie steht die Sache dann immer im Raum. Kann man da einfach hinlatschen und nachfragen: "Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, als du damals ... du weißt schon ... "Tschüss" gesagt hast?" Genau, das klingt sehr überzeugend. Und dann unterhält man sich stundenlang mit einem Bekannten genau über diese Sache. Was nonverbal in drei Sekunden über die Bühne ging wird dann plötzlich zur großen Spekulation. Wenn man einmal genau aufpasst, drehen sich sehr viele Gespräche darum, was irgendjemand gesagt, angedeutet oder getan hat. Das Gespräch wird zum Analyseinstrument für Signale, die jemand aussendet. Metakommunikation am laufenden Band. I saw the sign and it opened up my eyes? Not quite. Wenn man es sich recht überlegt, bleibt vieles unausgesprochen. Whereof I cannot speak, thereof I must be silent.

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Donnerstag, 5. Mai 2005

Napalm Award

Liebe Brandstifter!

In der psychologischen Kriegsführung im sozialen Umfeld gibt es keine höhere Auszeichnung als den Napalm Award. Dafür versucht man in einer ohnehin schon angespannten bzw. brisanten Situation mit einem einzigen, wohlplazierten Satz einen Flächenbrand auszulösen, der dann stundenlang lodert.
Dabei gibt es 6 Qualitätsmerkmale:

1) Eine relativ friedliche Ausgangssituation.
2) Die subtile Manipulation des Gesprächsverlaufs in eine bestimmte Richtung.
3) Das geduldige Abwarten des exakt richtigen Moments.
4) Die beiläufige, total unschuldige Präsentation der Bombe in einem Nebensatz.
5) Die Kürze und Brisanz des Satzes.
6) Die Lautstärke und Dauer der Auseinandersetzung.

Manchen Menschen ist diese Fähigkeit angeboren und selbst mit jahrelangem harten Training kommt man nicht an die Meisterschaft heran, die diese Individuen geradezu instinktiv betreiben. Die ganze Sache hat natürlich einen Haken. Die betroffenen Kleingeister sehen nicht die Ironie, die darin besteht, dass sie sich durch einen einzigen Satz zu so einem Schwachsinn hinreißen lassen. Deshalb sollte man den anderen Eingeweihten den Satz im entsprechenden Moment ins Ohr flüstern und die Lorbeeren nicht in der Heftigkeit des Streits, sondern in der Anerkennung der anderen Preisanwärter suchen.
Anfänger sollten mit einfachen Übungen wie dem "Frontwechsel" beginnen. Dabei versucht man innerhalb derselben Diskussion die Fronten zu wechseln, indem z.B. eine Person der eigenen Gruppe, die anfangs noch gut dastand, am Schluss auch noch eine abkriegt.
Für Fortgeschrittene eignet sich das "Gerüchteimplantat". Dabei verbreitet man im Gespräch mit einer Person aus dem Freundeskreis über einen gemeinsamen Bekannten so subtil ein harmloses Gerücht, dass der Gesprächspartner die Andeutung nur unbewußt wahrnimmt. Diese Vermutung muss dann intermittierend verstärkt werden, indem man weitere Hinweise liefert, die in dieselbe Richtung deuten. Ohne jemals die Sache klar ausgesprochen zu haben, implantiert man somit eine Lüge im Bewußtsein des Gegenübers, die durch die Anhäufung von Scheinbeweisen immer mehr zur Gewissheit wird.
Ich spreche hier natürlich nicht aus eigener Erfahrung und warne jeden Leser davor, diese Dinge auszuprobieren. Meinem Volksbildungsauftrag gehorchend muss ich aber auch solche Themen anschneiden.

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