Freitag, 10. Dezember 2010

Marshallplan

Liebe Selbstgerechte,

es gibt genug Stimmen in Deutschland und Österreich - am lautstärksten die von Hans-Olaf Henkel, dem Dauergast in allen Talkshows - die einen Ausschluss Griechenlands aus der Europäischen Union oder zumindest aus dem Euroraum fordern. Begründung: Wir zahlen nicht für die Fehler der anderen. Wer Mist baut, muss sich aus eigener Kraft wieder aufrappeln. Da wäre eine Dauerexistenz Griechenlands am Tropf der EU-Gelder geradezu konterproduktiv.
Worin besteht nun genau das Verbrechen der Griechen? Zuerst einmal muss hier klipp und klar gesagt werden, dass es 'die Griechen' als homogene Masse gar nicht gibt. Wir haben uns erfreulicherweise vom Singular für ganze Nationen verabschiedet (der Russe, der Ami, der Pole), um jetzt plötzlich wieder über den Plural (die Russen, die Amis, die Polen) die selben beschissenen Stereotype zu recyclen. Wir können also davon ausgehen, dass die meisten Griechen wie die Jungfrau zum Kind kommen. Was hat also die griechische Regierung verbrochen? Die hat sich relativ plump 2001 mit gefälschten Bilanzen in die Währungsunion gemogelt. Dass ein Land ohne strukturelle Reformen plötzlich ein super ausgeglichenes Budget vorzuweisen hatte, musste doch jedem, der halbwegs denken konnte, Spanisch vorkommen. (Vielleicht sollte man ab jetzt 'Griechisch vorkommen' sagen.) Doch man wollte die Griechen sowieso mit ins Boot nehmen, also drückte man ein Auge zu. Die Wiege der westlichen Zivilisation durfte micht außen vor bleiben, und wenn die Römer schon dabei waren, dann mussten die Griechen auch mit. Abgesehen von diesem sehr offensichtlichen Trick hat die griechische Regierung nichts anderes gemacht als jedes andere Land auch in Europa: Geld verplempert und verschenkt, das sie nicht hatten; die Reichen beschützt und die Armen getreten; alles beim alten gelassen; tolle Reden geschwungen etc. Und dann kam die Finanzkrise wie eine Grippewelle. Während Österreich und Deutschland ordentlich Schnupfen hatten, fiel der angeschlagene Dauerpatient Griechenland natürlich sofort um. So blöd können unsere Politiker gar nicht sein, dass uns nicht die ewig steigende Wirtschaftsleistung in jeder Situation über Wasser hält. Über diese Turboexportmaschinerie verfügt aber Griechenland nicht. Die haben nichts außer dem Meer und schöne Inseln. Dass dort die Reichen auch keine Steuern zahlen und die soziale Umverteilung nicht funktioniert, ist natürlich ein erschwerender Faktor, aber deshalb nicht anders als sonstwo in Europa.
Wie reagieren nun die europäische Union und ihre Bürger auf diese Situation? Zuerst einmal, wie erwartet. Die Griechen waren immer faule Hunde, das konnte man doch im Urlaub sehen, wie die den ganzen Tag herumsitzen. Wenn die so viel Fleiß wie wir hätten, da würde das ganze Land aber ganz anders aussehen. Jetzt müssen wir für diese Idioten die Schulden zahlen. Wie kommen wir denn dazu - und so weiter und so fort. Deshalb müssen die Griechen jetzt doppelt so hart für den halben Lohn arbeiten und uns das ganze Geld (mit Zinsen!!) auf Heller und Pfennig zurückzahlen. Zur Motivation kürzen wir ihnen jegliche soziale Unterstützung (Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht!). Wir quetschen diese Scheiß-Griechen aus bis wir alles wieder zurückbekommen haben. Denn das ist nur gerecht.  
Deutschland hat mit der Wiedervereinigung und dem Länderfinanzausgleich eigentlich schon jahrzehntelange Erfahrung mit dem Geldtransfer von reicheren zu ärmeren Regionen. Aber genau diese sozialen Transfers liegen den Deutschen schwer im Magen. Was haben die Westdeutschen nur gelitten in den letzten 20 Jahren seit Einführung des Solidaritätszuschlags. Die Lebensqualität ist drastisch gesunken, sie können sich fast nichts mehr leisten, die Wirtschaft liegt am Boden, alles ist ganz furchtbar und wird noch viel schlimmer. So müsste die tatsächliche Lage aussehen, um das Gejammere rechtzufertigen.
Wir reichen Mitteleuropäer und Kapitalisten wollen nämlich ein System, in dem von unten nach oben umverteilt wird. Wir brauchen einfach unsere Sklaven, die wir ausquetschen können: die Jungen, die Immigranten, die Ein-Euro-Jobber, die Näherinnen in Asien usw. Griechenland ist überhaupt das tollste, das uns passieren konnte: da sind wir moralisch überlegen und können gleichzeitig die Daumenschrauben fester anziehen. Das ist wie in der guten alten Zeit, als die Neger noch Tiere waren.
Wie haben die Amerikaner nach dem 2. Weltkrieg eigentlich reagiert, nachdem unsere Urgroßeltern Europa mit Faschismus und Krieg überzogen, sechs Millionen Juden getötet, und weitere 50 Millionen Menschen ins Grab geschickt haben? Die hätten jeden Grund der Welt gehabt, diese Scheiß-Deutschen verrecken zu lassen. Haben sie aber nicht getan. Die Amerikaner haben Österreich und Deutschland liebevoll und mit sehr viel Spendengeldern wieder aufgepäppelt. Das war der Marshallplan und der Grund, warum es uns immer noch so gut geht. Die Griechen haben einen Finanzbedarf von ca. 120 Milliarden Euro. Gemessen am europäischen BIP (EU 27) von ca. 12.000 Milliarden Euro ist das nur ein Hundertstel. Selbst wenn die Griechen den Kredit niemals zurückzahlen werden (Gott bewahre! Der Supergau!!), gerät die EU dadurch noch lange nicht ins Strudeln.
Aber wir wollen den Griechen gar nicht helfen. Die Solidargemeinschaft endet dann, wenn der Arme aus eigener Kraft nicht mehr fähig ist, seinen Unterhalt zu bestreiten. Der muss ja froh sein, dass er überhapt bei uns wohnen darf. Glaubt irgendjemand im Ernst, die Griechen werden sich jetzt gemütlich zurücklehnen und unsere Kredite verprassen? Ist es irgendwie lustig arm zu sein und von der Stütze zu leben?