Freitag, 20. April 2007

Schuld

Liebe Leidende!

Wie sagte unser Lieblingsmassenmörder Cho Seung-Hui so schön? "You forced me into a corner and gave me only one option. The decision was yours. Now you have blood on your hands that will never wash off." Wie Mr Cho eindrucksvoll demonstriert hat, führt Schuld als fundamentale Denkkategorie zumindest in den Stillstand, wenn nicht in die Katastrophe. Die Zuweisung von Schuld trägt nämlich nicht zu Lösungen bei, sondern verhärtet nur die Fronten. Schuld ist keine objektive Größe, wie man vielleicht vermuten könnte, sondern entsteht erst aus subjektiver Leiderfahrung. Je größer der eigene Schmerz, desto mehr Schuld lädt der Verursacher auf sich. In Mr Chos Worten:

"You just loved crucifying me. You loved inducing cancer in my head, terrorizing my heart and ripping my soul all the time."
"Do you know what it feels like to be humiliated and impaled upon a cross and left to bleed to death for your amusement? You have never felt a single ounce of pain your whole life."

Die eigene Existenz wird in extremen Fällen von Leid zu einem Mahnmal exorbitanter Ungerechtigkeit und somit eines Verbrechens an der Menschheit. Mein Lebensinhalt rezudiert sich auf einen Vorwurf, den ich in alle Welt hinaustragen möchte. Dabei handle ich nicht aus eigenem Interesse oder gar aus Verzweiflung, sondern im Dienst der gesamten Menschheit:

"I didn’t have to do this. I could have left, I could have fled, but no, I will no longer run. If not for me, for my children, for my brothers and sisters . . . I did it for them."

Da es keinen Sinn hat alleine in seinem Kämmerlein vor sich hin zu leiden, müssen irgendwann auch Taten folgen, um das eigene Leiden eindrucksvoll unter Beweis zu stellen:

"When the time came I did it, I had to."

Schulddenken ist in erster Linie ein Eingeständnis von Dummheit bzw. Schwäche. Wenn die Stammtischbrüder in fröhlicher Runde behaupten, dass die Regierung an allem Schuld sei, trifft ersteres zu, wenn Mr Cho die Gesellschaft für sein Leid verantwortlich macht, zweiteres. Er war von sich aus zu schwach, sein Leben in den Griff zu bekommen.

Interessanterweise basieren die ersten Reaktionen auf die Bluttat wieder auf Schulddenken: Professoren, Mitschüler, Psychologen, Polizisten etc. sind alle schuld, weil sie die Anzeichen hätten erkennen müssen. Wenn bei uns wieder einmal die Bildungskrise ausbricht, haben auch das Fernsehen, die Computerspiele und weiß Gott noch wer und was alles schuld. Schuld schützt die Dummen vor zu viel Denken.

Die Leidenden brauchen Schuld aus psychohygienischen Gründen. Dem Schmerz wird Sinn verliehen, indem er von anderen verursacht wird. Man leidet nicht mehr an sich, sondern an den anderen. Jeder kennt aus seinem sozialen Umfeld bzw. der Familie Menschen, die häufig von Schuld reden - der eigenen oder der fremden. In diesen Fällen ist bereits eine ganze Menge schief gelaufen.

Schuldzuweisungen sind nämlich ein völlig unbrauchbares Mittel, um irgendetwas zu bewegen. Wenn man einmal genau darüber nachdenkt, geht es bei Gerichtsverhandlungen letzten Endes nicht um Schuldzuweisungen. Das ist nur der Ausgangspunkt. In Wirklichkeit soll eine einvernehmliche Lösung gefunden werden, mit der alle WEITERLEBEN können. Dieses Weiterleben ist der entscheidende Punkt. Eine Eheberatung hat auch nur dann Sinn, wenn nach den Schuldzuweisungen Möglichkeiten gefunden werden, um die Ehe wieder in Schwung zu kriegen.

Eine Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn sie über Instrumentarien verfügt, ihre Leidenden anzunehmen. Ob das die Familie, die Fürsorge, die Religion, die Psychoanalyse oder der Sportverein löst, ist eigentlich unwichtig.

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4 Comments:

At 21. April 2007 um 10:09, Anonymous Anonym said...

Wiedermal hochintelligent beobachtet und klug geschrieben. Hab auch meinen Senf dazu abgegeben, kannst auf meinem Blog nachlesen.

 
At 8. Mai 2007 um 17:34, Blogger Christian Genzel said...

Gratuliere zu diesem fantastischen Beitrag, der eigentlich an prominenterer Stelle publiziert werden sollte. Ich kann dir nur beipflichten. Schuldzuweisungen sind ja vor allem auch ein Ausdruck der Sicherheit und der Bequemlichkeit: Wenn irgendwer anders schuld ist, sind wir selber es nicht und brauchen - können! - ja gar nichts tun. Wenn die Schuldfrage geklärt wurde, ist auch die Kausalitätsfrage auf ein überschaubares Niveau heruntergeschraubt, was uns dann zu dem Schluß verleitet, daß wir das Problem beseitigen können, wenn wir den Schuldigen dafür ausgemacht haben.

 
At 8. Juni 2007 um 14:41, Anonymous Anonym said...

Hallo schwarz,
wo kann ich denn Deinen Blog lesen?
Vielen Dank!
Jasmin

 
At 24. Juli 2007 um 12:22, Blogger Christian Genzel said...

Der Blog von Herrn Schwarz ist zu finden unter http://bettysapartment.blogspot.com. Ist, glaube ich, auch vom Obstgarten aus verlinkt.

 

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