Die Jugend und der starke Mann
Liebe Journalisten!
Wenn mich etwas wirklich aufregt, dann ist es der Schwachsinn, den die Vertreter der schreibenden Zunft jeden Tag in diversen Printmedien verzapfen. Aber, man soll ja nicht auf das Niveau eben dieser sinken und einfach Behauptungen in die Welt setzen, sondern klare Beweise liefern. Deshalb folgt hier eine kommentierte Wiedergabe der Kolumne "Die Jugend und der starke Mann", die Inge Baldinger für die Wochenendausgabe der SALZBURGER NACHRICHTEN vom 12./13. Juli 2008 verfasste und die gut sichtbar auf der Titelseite in der Rubrik "Standpunkt" erschien.
"Für die Jugend der späten 60er Jahre muss es ein Schock sein. Sie ging für Freiheit auf die Barrikaden, sie stürzte Autoritäten von den Podesten. Und dann das. Ihre Kinder, nein, eher schon Enkelkinder halten Sicherheit und Wohlstand für wichtiger als Freiheit, ihr Ruf nach einer starken Hand im Staate wird immer lauter. Radikaler könnte eine gesellschaftspolitische Schubumkehr innerhalb von 40 Jahren Friede, Freude, Freizeit kaum ausfallen."
Der erste Satz ist gleich einmal grammatikalisch falsch: entweder muss es "Die Jugend der späten 60er Jahre würde geschockt sein" heißen, um die Zusammenführung von zwei Zeitebenen zu rechtfertigen, die 40 Jahre auseinanderliegen, oder "Für Personen, die in den 60ern jung waren, muss es ein Schock sein." Dann folgen gleich zwei Verallgemeinerungen, die so einfach nicht stimmen. Erstens ging nicht jeder Jugendliche in den 60ern als linksliberaler Aktivist demonstrieren, und, zweitens, schreit nicht jeder Jugendliche heutzutage nach der starken Hand. Und was soll am Wunsch nach Sicherheit und Wohlstand falsch sein? Atmen Sie gerne ein?
"Kein Wunder, dass die Autoren der neuesten Studie über die "Wertewelt" junger Menschen von einem "tief greifenden Transformierungsprozess" sprechen. Nur, dass er diesmal nicht laut und kämpferisch passiert, sondern Besorgnis erregend leise, ja fast resignativ. Natürlich probte die Jugend der 60er Jahre nicht kollektiv den Aufstand, natürlich umarmte die Jugend der 80er Jahre nicht geschlossen Bruder Baum - und natürlich liefern Studien über junge Menschen im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre, so breit und tief sie auch angelegt sein mögen, nur Schlaglichter. Sie fangen aber ein, wie der Geist der Zeit gerade weht."
Was jetzt? Glauben Sie, Inge Baldinger, an die heilige repräsentative Umfrage oder nicht? Und weil wir gerade dabei sind: Um welche Umfrage handelt es sich überhaupt? Wer gab sie in Auftrag? Welche Jugendlichen wurden befragt und wie viele? Welche Fragen wurden gestellt?
"Da zeigt sich: Die Grundstimmung der jungen Menschen, ihr Blick auf die Zukunft, ist nicht mehr bloß nüchtern, sie ist ernüchternd. Keine Rede von Unbeschwertheit oder auch nur Unbekümmertheit. Und weit und breit nichts, woran man sich reiben könnte - nicht einmal mehr an autoritären Eltern. Stattdessen eine Welt, die mit der Wucht völliger Unüberschaubarkeit schon ins Kinderzimmer drängt, eine Welt, in der alles, was Halt und Orientierung verspricht, alles, was gut und wichtig sein könnte, ständig bedroht scheint. Vom Freundeskreis bis zur Beziehung der Eltern, von den Menschenrechten bis zum Weltklima - diffuse Ängste und ein Gefühl der Ohnmacht."
Ist das jetzt das Ergebnis der Untersuchung oder Baldingers ureigene Interpretation? Worauf gründen diese Annahmen/Vermutungen/Verallgemeinerungen? Hat Baldinger selbst Kinder in dem Alter? Spricht Sie regelmäßig mit Jugendlichen?
"Katastrophal wird es dort, wo sich Diffuses zu Konkretem verdichtet. Wenn es stimmt, dass sich drei von vier 14- bis 24-Jährigen größte Sorgen machen, keine Arbeit zu finden oder ihren Arbeitsplatz zu verlieren, müssten alle Alarmglocken schrillen, müsste mit Zuwendung und ernst zu nehmenden Erklärungen reagiert, Mut gemacht und ganz klar vermittelt werden: Wir glauben an Euch."
Was ist das jetzt für eine scheinheilige Nummer? Die 40-60-jährigen, genau diese Alt-68er und die Generation danach, die damals für Friede, Freiheit und soziale Gerechtigkeit angeblich auf die Straßen gingen, sind genau jene, die jetzt in den Vorstandsetagen sitzen, sich Berge von Geld zuschanzen und Mitarbeiter vor die Tür setzen, weil der Gewinn des Unternehmens unter die zweistellige Millionen Euro Marke zu fallen droht. Die Jugend soll sich zu Recht Sorgen machen, denn dieser kranke Zynismus ist wie ein Krebsgeschwür in den Hirnen dieser Altersgruppe weit verbreitet.
"Nur: Wo bleibt diese breite Zuwendung, die durchaus nicht bloße Familienangelegenheit ist, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ja Verpflichtung? Wo bleiben die notwendigen Erklärungen, die kritischen Debatten, die der Jugend das Gefühl geben könnten, wichtiger Teil der Gesellschaft zu sein? Sie erschöpfen sich sehr schnell in Klagen über den Werteverlust, im Wunsch, der moralische Mensch möge vom Himmel fallen, und darin, Jugendliche mit 16 wählen zu lassen. Na toll."
Ja, irgendjemand muss schuld sein, also ist es naheliegend, dass es an der Gesamtgesellschaft liegt. Wir müssen nur alle mehr tun und wollen, dann wird das schon wieder irgendwie.
"Was bleibt derart vernachlässigten Jugendlichen in so einer Situation? Rückzug. Verweigerung. Oder dem ihre Stimme geben, der die einfachsten Lösungen verspricht und sie mit starker Hand durchsetzen will."
Aha. Die ganze Jugend ist also schwer vernachlässigt und wird demnächst irgendeinem Nazischweinehund die Stimme geben, weil der junge Mensch an sich sowieso zum Faschismus neigt, oder so. Und jetzt dürfen diese Deppen auch noch mit 16 Jahren wählen. Um Österreich ist es wirklich nicht gut bestellt, dachte sich Inge Baldinger und checkte noch schnell, ob ihre ÖMV Aktien gestiegen waren.
Labels: Journalismus, Politik
3 Comments:
alles schön und gut und wahr...nur befürchte ich, dass im september trotzdem sehr viele junge stimmen im rechten eck landen werden - mehr als uns lieb sein wird. die fpö hatte schon bei der letzten wahl den höschten stimmenanteil bei den unter 30 jährigen.
Jetzt mal unabhängig vom Inhalt des Textes ... akademische Genauigkeitsstandards über Zeitungskolumnen anzulegen dürfte in den seltensten Fällen zu positiven Resultaten führen ...
Christophs Kommentar bestätigt für mich vollkommen, dass aus der Kolumne nicht klar wird, von wem eigentlich gesprochen wird. Die jungen FPÖ Wähler sind eben nur ein Teil der jugendlichen Bevölkerung, selbst wenn es 20 % oder mehr ausmachen.
Wenn ich im Obstgarten sage, dass alle Ärzte mit der Pharmamafia unter einer Decke stecken, ist das eine ironische Überzeichnung, die keinem weh tut. Wenn Inge Baldinger solche absurden Verallgemeinerungen in vollem Ernst auf der Titelseite der SN vertritt, dann habe ich schon meine Schwierigkeiten damit. Sie trägt nämlich nicht zur Verbesserung bei, sondern schürt nur diffuse Ängste. Für eine der wichtigsten Tageszeitungen im Land ist das unter jedem Niveau. Dass wir uns schon daran gewöhnt haben, dass Journalisten nicht zu den hellsten Köpfen zählen, ist umso bedenklicher.
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