Dienstag, 16. Dezember 2008

Lyrics

Liebe Popbarden!

Auf meinem Kreuzzug gegen alles und jeden falle ich diesesmal über einen Bereich her, den ich in all den Jahren völlig ignoriert habe: die Popmusik. Nachdem ich nichts von Musik und doch ein klein wenig von Texten verstehe, möchte ich mich deshalb auf die Lyrics konzentrieren.

Meiner Meinung nach leiden die meisten Songtexte unter der Konvention des Refrains. Beim ersten Auftreten trägt der Text des Refrains zum Lied als Gesamtaussage bei, beim x-ten Mal aber nicht mehr. Ganz im Gegenteil: Wenn nach jeder, sagen wir 8-zeiligen Strophe ein 4-zeiliger Text wiederholt werden muss, der inhaltlich invariabel die Kernaussage des Liedes wiedergibt, dann ergibt sich daraus ein Problem, das man an zahllosen Beispielen nachweisen kann. Popsongs können keine Entwicklung wiedergeben, weil der Refrain eine gewisse Situation, Stimmung oder einen Punkt in der Erzählung einfriert und durch seine ständige Wiederholung kein narratives Fortkommen erlaubt. Das führt uns schon zur ersten entscheidenden Frage: Müssen Popsongs überhaupt eine Geschichte erzählen?

Wenn ja, dann haben wir das soeben beschriebene Problem: in welcher Geschichte wird der Schluss bzw. die (moralische) Kernaussage nach jedem Absatz gebetsmühlenartig wiederholt? Das kann doch von einem erzähltechnischen Standpunkt nur ein Riesennachteil sein. In "Du entschuldige I kenn di", um ein österreichisches Beispiel zu bringen, muss Peter Cornelius arg schwindeln, um den Refrain unterzubringen, nachdem er seine Geschichte in der 2. Strophe konsequent weitererzählt hat. Da steht dann als Einleitung zum Refrain: "Und später sag i lachend no' einmal zu ihr auf der Straß'n." Hier muss der Refrain ironisiert werden, weil er sonst einfach nicht mehr passt.

Wenn nein, bleiben auch nicht viele Optionen. Entweder man dehnt das Grundgefühl bzw. die Grundsituation auf die Strophen aus oder man wird ganz schwammig. Ein Beispiel für erstere Situation ist Didos "White Flag", für zweitere Snow Patrols "Chasing Cars". Als Lied (also mit Musik) eine tolle Nummer, als Text ein Griff in die Jauchegrube:

SNOW PATROL: CHASING CARS

We'll do it all
Everything on our own
We don't need
Anything or anyone

If I lay here
If I just lay here
Would you lie with me and just forget the world?

I don't quite know
How to say how I feel
Those three words are said too much
They're not enough

If I lay here
If I just lay here
Would you lie with me and just forget the world?

Forget what we're told before we get too old
Show me a garden that's bursting into life
Let's waste time chasing cars around our heads
I need your grace to remind me, to find my own

If I lay here
If I just lay here
Would you lie with me and just forget the world?

Forget what we're told before we get too old
Show me a garden that's bursting into life
All that I am, all that I ever was
Is here in your perfect eyes, they're all I can see

I don't know where
Confused about how as well
Just know that these things will never change for us at all

If I lay here
If I just lay here
Would you lie with me and just forget the world?

Hier kommt natürlich noch die Zielgruppenorientierung dazu. Jugendliche schätzen halt das chaotische Verlorensein in der Welt und die Inszenierung des perfekten Augenblicks ohne Nachhaltigkeit.

Gut, nach all dem Gejammere, worin besteht der Ausweg? Eine Möglichkeit sehe ich darin, eine Grundsituation oder Beobachtung zu präsentieren, die komplex genug ist, um eine längere Auseinandersetzung damit zu rechtfertigen. Bad Religions "American Jesus" fällt mir spontan ein, oder Bob Dylans "With God on Our Side". Da kann man dann in jeder Strophe Aspekte herausarbeiten, die alle entscheidend zur Kernaussage beitragen und diese noch verstärken. Soll das jetzt heißen, dass Songs prinzipiell sozialkritisch sein müssen? Nicht unbedingt, denn es lassen sich auch in menschlichen Beziehungen komplexere Beobachtungen anstellen als "die Welt ist schlecht, aber deine Augen sind perfekt".

Ich glaube, dass es einige Möglichkeiten gäbe, den Fluch des Refrains zu umgehen. Erstens könnte man darauf verzichten. Zweitens könnte man mit dem Refrain Spannung erzeugen, indem er inhaltlich etwas vorwegnimmt. Die erste Strophe erzählt von zwei Menschen, die sich kennenlernen, der Refrain aber vom Tod der Frau. Huch! Was wird da noch alles passieren! Drittens könnte man den Refrain inhaltlich leicht anpassen, damit er jeweils in den Kontext der letzten Strophe passt. Viertens könnte der Refrain ironisch der Grundaussage der Strophen widersprechen. Während dort die Probleme der Welt aufgezeigt werden, findet man im Refrain sinnlose Durchhalteparolen der Politiker.

Es ist natürlich verdammt schwer gleichzeitig ein guter Musiker und Texter zu sein, aber es zahlt sich halt aus, wenn man auch in die Lyrics genug Zeit investiert. In Betty's Apartments "Spiel ohne Grenzen" hört man zum Beispiel:

Drei Inches über E-Mail,
es muss halt alles wachsen,
Wirtschaft und Ozonloch,
Egos und Tomaten.

Das ist großartige Textarbeit, weil hier auf kleinstem Raum eine Unzahl von Kontexten zusammenführt und diese gerade durch die Gegenüberstellung ironisiert werden. Die fünf Beispiele werden durch den Begriff Wachstum zusammengehalten, der sofort mit dem ökonomischen Grundsatz des notwendigen und ständigen Wachstums verknüpft wird. Das führt bereits in der ersten Zeile zu einer Ironisierung unserer gesellschaftlichen Grundhaltung zu Sex. Sex ist Hochleistungssport und somit ebenfalls dem Größer-Besser-Länger-Schneller-Prinzip unterworfen. Nur der längste und dickste Penis bringt das größte Glück auf Erden. Die Vorgaben für diese eher intimen Angelegenheiten kommen witzigerweise aus dem Internet, dem anonymsten und distanzierendsten aller Medien. Spätestens das Ozonloch führt die Theorie von der Notwendigkeit des allgemeinen und uneingeschränkten Wachstums ad absurdum. Der Verweis auf das Wachstum der Egos kommt nun der Wahrheit ein schönes Stück näher. Es geht nicht um den im Utilitarismus geforderten größtmöglichen Nutzen für die größtmögliche Zahl der Bürger, sondern um die Selbstverwirklichung ein paar weniger Egos. Die Tomaten öffnen dann noch die Debatte, dass man die Natur nicht mehr wachsen lässt, sondern dass sie gewachsen wird, wenn es nicht schnell genug geht. Ich weiß nicht, ob sich Christoph mit meiner Analyse anfreunden kann, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass diese Zeilen weit besser sind als der Großteil der Popeinheitskost.

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2 Comments:

At 19. Dezember 2008 um 12:37, Anonymous Anonym said...

danke!

 
At 19. Dezember 2008 um 18:49, Blogger Christian Genzel said...

Ich denke nicht, daß man Songtexte wie Gedichte oder andere geschriebene Texte betrachten sollte - sie erfüllen eine andere Funktion und unterliegen anderen stilistischen Eigenheiten. Gleichermaßen würde es wenig Sinn machen, Filmmusik strikt als sinfonisches Werk neben die "großen Klassiker" zu stellen. Was in beiden Fällen nicht bedeuten soll, daß die eine Form künstlerisch der anderen über- oder unterlegen ist: Sie sind nur verschieden.

Es gibt eine ausufernde Menge an interessanten, intelligenten & spannenden Songtexten, aber freilich kann man den Blick auf die Charts beschränken, Snow Patrol herauswählen und dann seufzen. Daß im Mainstream, wo die musikalischen Elemente oft auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert sind (und damit umso mehr Leuten gefallen), oft nicht die poetischsten textlichen Ergüsse blühen, ist auch keine große Erkenntnis (obwohl es auch hier lesenswerte Lyrics gibt: Ich nenne als Beispiel mal Mark Knopfler).

Daß Herr Schwarz ein fantastischer Poppoet (spricht man das dann "Poppöt" aus?) ist, lasse ich aber unwidersprochen stehen.

 

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