Sonntag, 24. April 2005

One Art

Liebe Intellektuelle!

Nach meinem vorgestrigen Absturz in die Tiefen der seichten Unterhaltung, muss ich mit diesem Eintrag eine Kehrtwende vollführen und zur Reinheit der schönen Künste zurückkehren. Deshalb wird es jetzt ganz seriös und vergeistigt werden. Als Rettungsanker in meiner popkulturellen Not hilft mir dabei eines meiner absoluten Lieblingsgedichte: Elizabeth Bishop's "One Art".

One Art

The art of losing isn't hard to master;
so many things seem filled with the intent
to be lost that their loss is no disaster.

Lose something every day. Accept the fluster
of lost door keys, the hour badly spent.
The art of losing isn't hard to master.

Then practice losing farther, losing faster:
places, and names, and where it was you meant
to travel. None of these will bring disaster.

I lost my mother's watch. And look! my last, or
next-to-last, of three loved houses went.
The art of losing isn't hard to master.

I lost two cities, lovely ones. And, vaster,
some realms I owned, two rivers, a continent.
I miss them, but it wasn't a disaster.

-Even losing you (the joking voice, a gesture
I love) I shan't have lied. It's evident
the art of losing's not too hard to master
though it may look like (Write it!) like disaster.

Hier wird eine der schwierigsten Gedichtformen (Villanelle) auf erstaunliche Weise zum Leben erweckt. Während traditionell die erste und dritte Zeile dreimal unverändert wiederholt werden, schafft Bishop mit den leichten Variationen und einem ständig wechselnden Kontext eine Dynamik, die in jeder Strophe dem zentralen Satz "The art of losing isn't hard to master" eine neue Bedeutungsdimension eröffnet. Die Gewissheit des ersten Aussagesatzes, der wie ein in Stein gemeißeltes Gesetz erscheint, wird durch die zahllosen Gegenbeispiele zunehmend untergraben, bis der Verlust der großen Liebe bei bestem Willen nicht mehr als "not too hard to master" angesehen werden kann und mit "Write it!" eine Selbstermahnung erfordert. Während in den ersten drei Strophen die anfängliche Idee durchgehalten wird (wenn auch mit selbstironischen Zügen), schleichen sich danach Aussagen ein, die dieser klar widersprechen. "I miss them" zeigt mehr als deutlich, dass der Verlust ihrer Heimat (örtlich und geistig) noch immer nicht verkraftet ist. Mit der letzten Strophe werden die beiden zentralen Lügen des Textes entlarvt: Es handelt sich bei den verschiedenen Arten des Verlustes nicht um nur eine Sache und nichts ist schwerer in einem Menschenleben als mit Verlust umzugehen. "Art" ist eben eine Kunst, etwas Künstliches, und wird den Bedürfnissen des Menschen nicht gerecht. Man legt sich Strategien zurecht, wie man mit Situationen umzugehen gedenkt, aber im Endeffekt wird man von seinen Gefühlen in die Knie gezwungen (siehe letzte Strophe) und muss die selbe schmerzliche Sache immer wieder durchstehen. Das ist jedenfalls meine Erklärung und der Grund, warum ich dieses Gedicht sehr schätze.

1 Comments:

At 24. April 2005 um 20:58, Anonymous Anonym said...

Sehr fein, du darfst im nächsten Semester aufsteigen und am LitWiss PS III teilnehmen. :-)

 

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