Sonntag, 15. Mai 2005

Sie rollen wieder!

Liebe Heimatverbundene!

Der Donnerstag ist ein ganz besonderer Tag für mich. Da schließe ich meine Augen, lausche dem wohligen Rattern kleiner Plastikrädchen und fühle mich wie am Flughafen, wenn eine Gruppe Japaner mit ihrem Gepäck vorüberrollt, um im Duty Free Laden noch schnell 512 GB Speicherkarten für ihre fingernagelgroßen Kameras zu kaufen. Urlaubsstimmung pur!
Wem verdanke ich aber diese Flucht in den donnerstäglichen Tagtraum? Natürlich meinen lieben Landsleutinnen. Nach endlosen 72 Stunden in der Fremde beginnen die halb verhungerten Körper dieser leidgeprüften Studentinnen bereits in aller Herrgotts Früh voll freudiger Erwartung zu beben. Schon am Mittwoch hat man den modernen Flugreisekoffer gepackt oder sich die Arbeit erspart, indem man ihn wegen der Kürze des Aufenthalts erst gar nicht ausräumte. Dabei malt man sich im Kopf schon das große Wiedersehensfest aus, das da jede Woche aufs Neue zelebriert wird, wenn die geliebte Tochter, Schwester, Freundin aus der unwirtlichen Großstadt in den Schoß des Dorfes und der Familie zurückkehrt.
Um sich auch noch die halbe Stunde nach dem letzten Kurs zu sparen, die man sinnlos mit einer Rückkehr ins Studentenheim vergeuden würde, zieht man lieber einen Dreivierteltag lang einen beräderten Kasten hinter sich her, der dann adrett in Bussen, Hörsälen und Gängen vorübergehend geparkt, oder beschwingt durch größere Menschenmassen hindurchmanövriert wird. Um 14.30 Uhr ist man dann endlich von allen akademischen Drangsalierungen erlöst. Zwischen Ausgang und Bushaltestelle bildet sich dann in Windeseile eine rollende Landstraße, die der ÖBB Direktion vor Neid die Tränen in die Augen treiben würde. Apropos Tränen: Jene des Leids mischen sich im Zug mit jenen der Freude, wenn die geliebte Heimat beständig näher rückt. Die nicht vergehen wollenden Minuten schlägt man geschickt mit Telefonaten tot, die der Ankündigung des eigenen alsbaldigen Erscheinens dienen.
Vier Tage verbringt man dann im Paradies, um am Montag Nachmittag tränenüberströmt der am Bahnsteig versammelten Familie vom Zug aus zuzuwinken. Haltet mich nicht für einen herzlosen Menschen: Ich habe für Montag Nachmittag schon längst ein Stofftaschentuch besorgt, weil meine Tränen des Mitgefühls jede Papiervariante bis zur Unkenntlichkeit durchweichten.

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3 Comments:

At 16. Mai 2005 um 16:54, Anonymous Anonym said...

Das wußten wir ja schon, daß Salzburg eine Trabantenstadt ist, und irgendwann wird unser kleines Kaff sicherlich als offizielle oberösterreichische Kolonie anerkannt. Und daß junge Leute Salzburg einfach schrecklich finden und deshalb liebend gerne Donnerstags schon in ihre Fortgeh-Paradiese flüchten, müssen wir ältere Semester nicht verstehen, nur akzeptieren. Gruss aus Deutschland!

 
At 17. Mai 2005 um 17:53, Anonymous Anonym said...

es gibt ein Licht am Ende des Tunnels: früher oder später lernt jeder Nestflüchter studia causa Salzburg und ihren Charme zu schätzen; und was vor nicht allzu entfernter Vergangenheit als der Nabel der Welt, als sozialer Mikrokosmos, galt ohne welchen man sich nicht im Stande glaubte auch nur atmen zu können, entpuppt sich bald als mehr als entbehrlich!
So kommt es dann zum Fernfahrer-Schichtwechsel, höhere Semester beehren in episodischen Intervallen die heimatliche Provinz (aufgrund der Unregelmäßigkeit der Besuche, bleibt die Freude erhalten und wenig Platz für Unstimmigkeiten), während die "Freshmen" wöchentlich im Hotel Mama einchecken, doch auch ihre Nabelschnur wird dünner!

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne ...

 
At 17. Mai 2005 um 20:10, Anonymous Anonym said...

Gut getroffen alle miteinander! und je mehr man weg is von daheim, desto mehr wollen alle das man doch wieder kommt. wenn sie nämlich spüren, dass man auf einmal ohne sie kann. dann werden plötzlich alle stolz.

 

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