Dienstag, 10. Mai 2005

Wollt ihr das totale Engineering?

Liebe Systemkritiker!

Als ich im Winter 2000 5 Monate in Granada studierte und im Übersetzungskurs Artikel aus der ZEIT ins Spanische übertragen musste, stolperte ich in der Ausgabe 52/2000 über einen Aufsatz von Botho Strauß mit dem Titel "Wollt ihr das totale Engineering", von dem ich mich auf eine ganz außergewöhnliche Art und Weise angesprochen fühlte. Man könnte sagen, dass ich Strauß eine Zeit lang fast religiös verehrte. Er ist ein kompromissloser Verfechter der Hochkultur, der nichts als Verachtung für unsere Zeit übrig hat und das Außenseiterdasein als Flucht vor dem Wahnsinn der breiten Masse zelebriert. Obwohl ich heute nicht alles unterschreiben würde, was der gute Mann so von sich gibt, steht trotzdem zweifellos fest, dass er entscheidend zu einem Richtungswechsel in meinem ganzen Denken beigetragen hat. Und da soll noch einer behaupten, dass Literatur nichts bewirkt! Ich möchte einfach ein paar Zitate wiedergeben, die ich persönlich für total genial halte. Man muss sich halt die Mühe machen, die Sätze länger zu bedenken. Ihr könnt ja dann gerne euren Senf dazu geben:

Fortschritte machen beim Sichern der eigenen Begrenzung.

Der artifizielle Mensch hat die Welt der Artefakte hinter sich gelassen. Ein Künstlicher braucht keine Kunst zu schaffen. Seine Werke könnten ihm niemals mehr zurückgeben, als er ist. Großartig ist seine Hinterlassenschaft, sie ehrt den Davongezogenen.

Das Globale ist uns längst vertrauter als das Häusliche. Im herdlosen Raum wächst nun das Fernweh nach vertrauten Verhältnissen.

Die amusische Intelligenz hat seit je einen großen Bedarf an Fremdbestimmung.

Das Gefühl des Scheiterns, zu tief verschüttet unter den Trümmern des Gelingens.

Das Fehlen jeglicher Abschiedsstimmung zeigt an, wie wenig wir noch spüren von dem, was wir nicht mehr sind.

Wir erleben jetzt die Stunde, die niemals kommt. Die Entwurfserfahrung ist der eigentlich virtuelle Gehalt der neuen Technik. Früher war, was der Fall ist. Heute ist, was wird.

Labels:

2 Comments:

At 11. Mai 2005 um 15:01, Anonymous Anonym said...

Was soll man da noch sagen, Strauß ist einfach einer der ganz großen im deutschen Sprachraum. Daher Frage: welche Publikation würdest du als Einstieg empfehlen???
Grüße von der Front des Wahnsinns,
Balberith

 
At 11. Mai 2005 um 15:48, Anonymous Anonym said...

Am besten beginnt man mit der Aufsatzsammlung "Der Aufstand gegen die sekundäre Welt" aus dem Hanser Verlag. Empfehlenswert ist auch "Über Liebe" im Reclam Verlag. Dort sind Auszüge aus seinen Prosawerken zum Thema Liebe zu finden. Viele sehr schöne Passagen. Strauß ist wegen seines intellektuellen Anspruchs nicht unbedingt leicht zu lesen, aber wenn man sich die Mühe macht, zahlt es sich aus.

 

Kommentar veröffentlichen

<< Home