Freitag, 29. September 2006

Das Wetter

Liebe Wetterfrösche!

Manchmal stößt man auf Texte - wie zum Beispiel jenen über das Arschgeweih (26. Mai 2005) - die man ruhigen Gewissens 1:1 übernehmen kann. Nun folgt also Daniel Kehlmanns Beitrag zum Wetterbericht aus seiner Kolumne "science@fiction" im Wissenschaftsmagazin HEUREKA des FALTERs (Heft 2/06). Enjoy!

Ein Ort, wo sich Wissenschaft, Medienwelt und Kollektivneurose treffen, ist der Wetterbericht im Fernsehen – vermutlich die meistgesehene Wissenschaftssendung. Ich aber vermeide ihn.
Es gibt wetterfühlige Menschen, die schon bei der Nennung des Namens Christa Kummer von Traurigkeit und Krampfgefühlen befallen werden. Das hat nichts mit Frau Kummer persönlich zu tun, einer durchaus sympathischen Dame, sondern mit jener seltsamen psychosozialen Fehlbeziehung, die wir zum Wetter haben und für die sie nun einmal steht. Wann immer das Leben nämlich angenehm ist, eine sanfte Brise weht, ein malerisches Wolkengeflecht über den Himmel zieht, und man in der Lage ist, fröhlichen Sinns in leichter Jacke einen Spaziergang zu machen, versichert einem Christa Kummer des Abends, man möge den Mut nicht verlieren, der Schrecken werde bald vorüber sein, es werde wieder schön warm. Wenn erquickender Regen die Pflanzen labt und beruhigend an die Scheiben trommelt, beruhigt sie, noch sei es zwar ganz schrecklich, aber bald werde es nun wirklich besser. Macht einem aber glühende Hitze das Leben unerträglich, scheint die Luft zu kochen und dämmert man in ständiger Traurigkeit der Abkühlung entgegen, frohlockt Christa Kummer, das herrliche Wetter werde noch anhalten. Ihre hartnäckige Freude belästigt einen dann bis zum ersten kühlen Tag, an dem man die Straße bei 22 Grad im Schatten wieder betreten kann, ohne das Gefühl zu haben, man müsse sofort in Tränen ausbrechen. Nun, sagt sie dann, seien die schönen Tage leider vorbei. Für Migränepatienten ist es noch schlimmer: Sobald sie sich besser fühlen, drückt Christa Kummer ihnen ihr tiefes Mitgefühl aus; wenn es ihnen richtig schlecht geht, jubelt sie darüber, wie schön das Leben sein kann.
Um es wenigstens einmal ganz klar zu sagen: Hitze ist nicht angenehm. Südländer und vernünftige Menschen meiden direkte Sonneneinstrahlung und deren schädliche Wirkung. Und solange der Wetterbericht eher eine abstruse Wetterrezension für tätowierte Strandurlauber als eine sachliche Vorschau ist, sollte man ihn durch quotensenkenden Boykott bestrafen.