Dienstag, 19. September 2006

Die Bank - dein Freund und Helfer

Liebe Verdienende!

In mehreren Gesprächen mit Bekannten und Freunden, die im Finanzdienstleistungssektor tätig sind, stolperte ich über folgende, mir bis dahin unbekannte Tatsache: Finanzberatung ist in erster Linie Lebensberatung bzw. Erziehungsarbeit.
In meiner grenzenlosen Naivität hatte ich nämlich angenommen, dass sich jeder Mensch früher oder später einmal überlegt, wie viel Geld er verdient, welchen Anteil er davon (ver)braucht, und ob er den Rest sparen bzw. in kurz-, mittel- oder langfristige Finanzprodukte wie Bausparverträge, Versicherungen oder Aktien investieren möchte. Für die meisten besteht aber zwischen Verdienst, Konsum bzw. Lebensstil und etwaigen Zielen kein zwingender Zusammenhang.
In der Praxis sieht das nun so aus, dass jeder Bankangestellte einen gewissen Kundenstock betreut. In Zeiten der elektronischen Datenerfassung hat also unser Mann bzw. unsere Frau in der Bank einen sehr guten Überblick, was wir mit unserem Geld machen. Im Normalfall interessiert das diesen aber sehr wenig, weil er auch etwas Besseres zu tun hat, als unseren Lebensstil aufgrund der Bankomatstandorte zu erraten. Überziehen wir aber regelmäßig unser Konto, werden wir verstärkt beobachtet. Schöpft zum Beispiel der Auszubildende plötzlich mitten in der Nacht seinen Überziehungsrahmen aus, dann hat das einen Anruf zur Folge. Ähnlich wie die Mama das Kind zur Rechenschaft zieht, wenn es das ganze Taschengeld für Süßigkeiten ausgibt, so fragt die Bankangestellte nach, wofür man denn 2 x 200 Euro kurz hintereinander um ca. drei Uhr früh braucht. Kleinlaut hört man dann vom anderen Ende der Leitung, dass das Geld in zwei Kurzaufenthalte bei der netten Frau vom horizontalen Gewerbe investiert wurde.
Am anderen Ende des Spektrums kommt ein erfolgreicher Banker in das Büro einer Finanzdienstleistungsfirma und möchte sich ganz unverbindlich erkundigen, welche Investitionsmöglichkeiten es denn gäbe. Er hätte nicht allzu viel Geld dafür übrig. Wie sich herausstellt verdient der gute Mann 9000 Euro netto im Monat, wovon ihm aber leider nichts übrigbleibt. Für solche Fälle hat die Firma ein Zweikontensystem erfunden, bei dem den Kunden auf ein Konsumkonto ein gewisser Betrag überwiesen wird. Mit dem Einverständnis des Bankers wird also auch diesem ein Taschengeldkonto eingerichtet, um seine exorbitanten Ausgaben in den Griff zu bekommen. Seitdem bleiben dem überglücklichen Kunden 2000 Euro im Monat übrig, die er gerne mit Hilfe dieser Firma anlegt.
Der beste Kunde der Bank ist nämlich nicht jener, der wahllos Kredite aufnimmt und sein gesamtes Geld ausgibt, sondern jener, der Disziplin beweist, seine finanzielle Situation im Griff hat und langfristig investiert. Mangelt es an diesen Fertigkeiten, muss die Bank zuerst Erziehungsarbeit leisten.
Es ist ein erstaunliches Phänomen unserer Zeit, dass wir alle im luftleeren Raum operieren. Bei den grundlegendsten und wichtigsten Dingen im Leben, zu denen Beziehungs-, Zeit-, Geld-, und Gesundheitssmanagement gehören, lassen wir uns ungern dreinreden und vermeiden es unsererseits bei Bekannten und Freunden. Geld scheint dabei fast noch problematischer bzw. persönlicher zu sein als der letzte Krach mit der Freundin. So erhalten wir also in Zeiten immer größerer Spezialisierung die Lebensberatung vom Finanzdienstleister: "Welche Ziele haben Sie im Leben? Wo sehen Sie sich in 10 Jahren? Wollen Sie heiraten, Kinder, ein Haus bauen?" Erst wenn wir wissen, wer wir sind und was wir wollen, können die Banken etwas mit uns anfangen. Wer sonst stellt uns noch solche existenziellen Fragen?

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