Dienstag, 8. August 2006

Malen nach Zahlen

Liebe Ausführungsgehilfen!

Malbücher für Kinder sind voll von Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die die lieben Kleinen dann bunt anmalen dürfen. Das macht nicht nur Spaß, sondern schult auch Fingerfertigkeit (Präzision), Konzentration und das Einhalten von Grenzen. Denn die Umrisse sind ja vorgegeben und somit reduziert sich die kreative Eigenleistung des Kindes auf die Farbgebung. Diese scheint aber gar nicht so wichtig zu sein, denn die Eltern loben ohnehin nur die Fertigkeit des Kindes die vorgegebenen Grenzen zu respektieren und die Flächen möglichst gleichmäßig anzumalen.
Die verschärfte Variante dieser Tätigkeit nennt sich MALEN NACH ZAHLEN. Marktführer Ravensburger hat gerade das 30-jährige Bestehen dieses Hobbys mit einer Vernissage gewürdigt (November 2005), in der die 30 besten der 2487 eingereichten Arbeiten ausgestellt wurden. Hier zählt natürlich ausschließlich, ob der Teilnehmer bis ins kleinste Detail den Malanweisungen Folge geleistet hat. Im Gegensatz zu den Kindermalbüchern ist hier auch noch der exakte Farbton für jede Fläche vorgegeben. Es gewinnt also jener Ausführungsgehilfe, der blind die Vorgaben in die Tat umsetzt und um keinen Millimeter vom ursprünglichen Plan abweicht. Bei 50 Millionen verkauften Sets darf man ruhig von einer Erfolgsstory für den Verlag sprechen. Es soll hier auch gesagt sein, dass Modellbau oder Origami nach dem gleichen Muster funktioniert: Erfolgreich ist, wer die Regeln bis ins kleinste Detail befolgt.
Obwohl ich selber ein großer Origami-Fan bin und viel Spaß daran habe, bleibt mir doch nicht verborgen, dass all diese harmlosen und lustigen Hobbys auf leicht faschistischen Grundprinzipien basieren. Individualität und Kreativität werden komplett ausgeblendet, Imitation und Regelhörigkeit werden gelobt. Ich weiß natürlich, dass im Leben nichts ohne die Schulung von Fertigkeiten durch Nachahmung erlernt werden kann und Präzisionsarbeit sehr wichtig ist. Wenn die persönliche Entwicklung aber auf dieser Stufe steckenbleibt, dann wird es bedenklich.
Ich würde meine ganzen Überlegungen hier natürlich gleich als überzogene Reaktion abtun, wenn ich nicht das MALEN NACH ZAHLEN Prinzip in allen Lebensbereichen beobachten könnte. Unser ganzes Wirtschaftssystem beruht auf der massenhaften Herstellung und dem billigen Vertrieb von geklonten Produkten. In einer Werkstatt wird der Prototyp eines Produktes hergestellt und dann tausendfach industriell geklont. Das Hauptprinzip der Industrialisierung war die Anpassung der menschlichen Arbeit an mechanische und zeitlich exakt getaktete Vorgänge (Maschinen, Fließband etc.). Dieser Zwang zur Anpassung an äußere Umstände ist aber noch viel weiter verbreitet und wird in ehrenvoller Tätigkeit von den Müttern an die Kinder weitergegeben. Pflicht und Ordnung.
Man findet dann auch im Bekanntenkreis nicht wenige, die ein LEBEN NACH ZAHLEN betreiben. Besonders beliebt ist hier das Leben nach der Uhr. Die ganzen Stunden geben sozusagen Zeitflächen vor, die man dann möglichst präzise mit irgendwelchen Tätigkeiten füllen soll. Verschiebt sich diese wunderbare Fließbandarbeit des täglichen Lebens dann um fünf Minuten, bricht sofort die große Krise aus. Die große Maschinerie lässt sich auf keinen Fall anhalten, aber man kann ja hetzen und irgendwo noch Zeit sparen. Dann hat man am Ende des Tages wieder das Plansoll erfüllt.
Viele lassen sich ihr Leben auch im finanziellen Bereich von Zahlen diktieren. Ständig wird herumgerechnet und herumgetüftelt. Spart man nämlich im Kleinen, kann man im großen Stil das Geld zum Fenster rauswerfen. Versauere ich mir nämlich den Alltag mit der ständigen Rechnerei, dann kann ich mir später ein wirklich großes Auto und eine noch größere Wohnung leisten. Wenn ich jetzt verzichte, wird sich das sicherlich später einmal rentieren. Man muss eben immer in eine Zukunft investieren, die man dann wie den Horizont nie erreicht.
Ich möchte hier keineswegs für die totale Anarchie plädieren. Aber vielleicht lassen sich ja unsere Zwangsjacken ein bisschen lockern. Die wirklichen Fortschritte in allen menschlichen Bereichen (Kunst, Naturwissenschaften etc.) wurden immer durch Brüche mit der Tradition erzielt. Eine gute Bekannte hat ihren Schülern immer folgenden Spruch ins Stammbuch geschrieben: "Mach jeden Tag etwas Verrücktes." Daran sollten wir uns auch halten.

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2 Comments:

At 20. August 2006 um 01:06, Anonymous Anonym said...

Genau! Oberkommunist soll ja angeblich ein gewisser Lars Haumann sein, der bei Prüfungen dasselbe Prinzip anwendet: Lernen nach Schlagworten = Malen nach Zahlen!

Auch so ein faschistoides Machwerk ist der LÜK-Setzkasten, mit dem ich mich in der Volksschule herumgeplagt habe ... nur weil ich das vorgegebene Muster nicht "erlegt" habe: setzen fünf!

 
At 23. August 2006 um 12:02, Anonymous Anonym said...

Also ich glaube ja, dass nur deshalb soviele gleiche Produkte produziert werden, weil es soviele Menschen gibt.
Und ich hab heute schon was Verrücktes gemacht. Ich hab mir eine gelbe Regenlatzhose gekauft, bzw. noch verrückter: ich hab sie reklamiert. Beim Baumarkt in Bad Goisern. Weil meine erste schon nach 4 Stunden gerissen ist.

 

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