The Summer Next Time
Liebe Herbstzeitlose!
Tja, im Herbst ist man schnell seine Zeit los. Kaum ist die Uni angelaufen, kommt man sich schon wieder wie der Hamster im Laufrad vor. Die ganze Woche ist mit Terminen zugepflastert und das wohlverdiente Wochenende ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Aus Studentenperspektive haben die Uni-Angestellten hingegen das Paradies auf Erden, denn "on paper, the academic life looks great."
Damit beschäftigte sich Tom Lutz kürzlich in einem sehr interessanten Artikel ("The Summer Next Time") in THE NEW YORK TIMES (4. September 2006). Zählt man nämlich die freien Tage, Wochen und Monate zusammen, dann steigen wir Unibediensteten noch viel besser aus als die freizeitverwöhnten Lehrer. Kennt man aber den Wissenschafts- und Lehrbetrieb von innen, dann stellt sich diese Annahme sehr schnell als Trugschluss heraus. "The Summer Next Time" ist nämlich eine ironische Anspielung auf die Standardantwort aller Unimitarbeiter, wann sie denn wieder einmal Zeit für irgendetwas hätten - und damit ist auch meistens Arbeit und nicht Freizeit gemeint. Dazu kommt noch, dass man bis auf die Toppositionen im Vergleich zur Privatwirtschaft schlecht verdient und jeder halbwegs begabte Handwerker mehr Geld scheffelt. Die Arbeit besteht darüber hinaus noch aus sehr viel Verwaltungskram und anderen Routinearbeiten. Was also ist dann so toll an unserem Job, dass viele mit an Bord wollen? Darauf hat Tom Lutz folgende Antwort:
"... we academics do have something few others possess in this postindustrial world: control over our own time. All the surveys point to this as the most common factor in job satisfaction. The jobs in which decisions are made and the pace set by machines provide the least satisfaction, while those, like mine, that foster at least the illusion of control provide the most. Left to our own devices, we seldom organize our time with 8-to-5 discipline."
Da hat der gute Mann völlig recht. Abgesehen davon, dass ich zu gewissen Zeiten bestimmte Dinge fertig haben muss, gibt es keine Verpflichtungen. Ob ich mich im Büro von 9 bis 12 oder am Samstag Abend von 20 bis 23 Uhr hinsetze, ist völlig egal. Ich arbeite unentgeltlich um 50 % mehr als im Vertrag steht, was unter anderen Umständen sofort ein Kündigungsgrund wäre. Da ich mir aber aussuchen kann, wann, wo und wie ich arbeite, hebt dieser Bonus alle anderen Bedenken auf. Wenn ich eine kreative Phase habe, arbeite ich zwei Tage durch und wenn es mich ein anderes Mal gar nicht freut, ist es auch egal. Ich muss nur über einen längeren Zeitraum verteilt gewisse Aufgaben lösen.
Tom Lutz schreibt, dass in der vorindustriellen Welt diese Arbeitsweise Standard war: "The pre-industrial world of agricultural and artisan labor was structured by what the historian E.P. Thompson calls 'alternative bouts of intense labor and of idleness wherever men were in control of their working lives.' Agricultural work was seasonal, interrupted by rain, forced into hyperactivity by the threat of rain, and determined by other uncontrollable natural processes." Dazwischen konnte man sich aber ausrasten.
Ich möchte also behaupten, dass ich insgesamt wesentlich mehr arbeite, als man gemeinhin annehmen könnte, aber all dies geschieht viel relaxter als bei Personen, die tatsächlich "nur" halbtags arbeiten, aber in dieser Zeit unter permanentem Druck stehen. Wenn man mich also irgendwo völlig entspannt herumsitzen, Tee trinken und plaudern sieht, dann sollte man nicht vergessen, dass das sehr viel Arbeit an anderen Tagen und zu anderen Zeiten bedeutet. Aber das bestimme ich eben selbst.
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