Dienstag, 31. Mai 2005

CSI Miami

Liebe Krimifans!

Gestern sah ich mich aus reiner Höflichkeit gezwungen, die Folge "Würgemale" der Erfolgsserie CSI Miami auf ORF 1 mitzuverfolgen. Ich könnte jetzt völlig undifferenziert behaupten, dass es sich bei dieser Produktion um reinen Müll handelt und jeder überzeugte Fan sofort in die Geschlossene gehört, aber das würde dem Primat der Fairness widersprechen. Also präsentiere ich hier Argumente, zu denen man dann konkret Stellung nehmen kann. Des weiteren möchte ich ergründen, warum sich gerade weibliche ZuseherInnen und Zuseheressen so dafür begeistern können.

Wenn man Frauen nach einer Definition von Realismus fragen würde, käme unterm Strich raus: Wenn's in der Zeitung steht, ist es auch realistisch. Wahr ist, was real ist. CSI Miami ist deshalb besonders nah am Leben dran: Drogen, Prostitution, Mord, Erpressung, Perversion - kurz gesagt alles, womit sich die Frau von heute so rumschlagen muss (siehe Desperate Housewives). Tatsache ist, dass es keine andere Serie gibt, die in Bezug auf Handlung und Inszenierung konstruierter, steriler, und artifizieller wirkt als CSI Miami. So wie Bruckheimer seine Hollywood Blockbuster inszeniert, wird auch hier am Reißbrett mit Schablonen gearbeitet: Es ist völlig egal, ob jemand eine Hauptrolle oder eine Leiche spielt: alle wirken sie gleichermaßen unterkühlt, erkaltet, oder - im konkreten Fall - eingefroren, denn nur so wird man der raschen Zersetzung Herr. Genau genommen ist die Serie ja eine Diaschau, die von irrwitzigen Actionszenen unterbrochen wird, um dem leblosen Spiel den Anschein von Animation zu geben. Nach der spastisch inszenierten Ankunft eines Täters - der Ruckelstil scheint ein Markenzeichen der Serie zu sein-, verfolgt die Kamera die aus der ausgeschütteten Flüssigkeit aufsteigenden (und eigentlich unsichtbaren) Giftdämpfe in das Gehäuse eines Rekorders, in dem sich eine Kassette befindet, deren Tonband durch diese in Windeseile aufgelöst wird. Eine ännlich aufregende Kamerafahrt gibt es auch noch über das Gebiss des Opfers hinweg, wo dann der noch nicht durchgebrochene Weisheitszahn am Ende des Zahnbogens innerhalb des Zahnfleischs plötzlich sichtbar gemacht wird. Dies illustriert die soeben gemachte Feststellung, dass die junge Frau noch keine 18 ist, da ihre Weisheitszähne noch nicht durchgebrochen sind. Für das (amerikanische) Publikum geht man eben auf Nummer sicher. Im Prinzip ist CSI Miami nichts weiter als eine aufgepeppte Version von Derrick.
Krimis präsentieren die perfidesten Fantasiewelten überhaupt, denn sie gaukeln ständig Logik und Realismus vor. Die vom Zuschauer schlüssig nachvollziehbare Scheinkomplexität der Tataufklärung täuscht über die Tatsache hinweg, dass die Charaktere eindimensional sind (der böse Pornoproduzent, der üble Nachtclubbesitzer, die rachsüchtige betrogene Ehefrau, der perverse Einzelgänger etc.), die Zufälle fürchterlich konstruiert wirken (den Mitschnitt eines Gesprächs nicht gelöscht, DNA-Spuren am Tatort hinterlassen, viel Geld auf ein Konto überwiesen etc.) und die pünktliche Lösung aller Fälle nach exakt 40 Minuten mit Realismus rein gar nichts zu tun hat. Am Schluss schaltet man mit der Gewissheit ab, dass die Welt doch in Ordnung ist und die christlichen Werte der braven Mittelschicht immer Bestand haben.
Die Verbrechen und die zahllosen finsteren Gestalten aus der Unterwelt täuschen eben über die Tatsache hinweg, dass Krimis eigentlich furchtbar bieder sind. Wenn am Schluss das Pornostarlet den wackeren Polizisten schüchtern zum Date bittet, weil dieser - selbstlos wie er ist - das arme Mädel vor ein paar aufdringlichen Fans im Park geschützt hatte, möchte man vor Rührung fast auf die Bildröhre kotzen. Horatio, der Star der Truppe und Rivale seines unmittelbar Vorgesetzten, rät diesem, der noch dazu das Herz seiner angebeteten Kollegin für sich gewonnen hat, ihr keinen Champagner zu kredenzen, weil sie den eigentlich hasst und nur aus Höflichkeit trinken würde. Zu Recht fragt da der Boss: "Warum hast du mir das jetzt gesagt?" Da antwortet der selbstlose Held: "Weil ich will, dass sie glücklich ist." Dann geht er in den Leichenkühlraum, stützt den schweren Kopf auf die Hände und erträgt tapfer den Weltschmerz, während der Faserschmeichlersoundtrack auch noch dem letzten Idioten klar macht, dass das jetzt eine emotionale Szene ist, die jedem fühlenden Menschen die Gänsehaut über den ganzen Körper jagen müsste. Kotz, die zweite.
Baywatch und Charmed sind auch fürchterliche Serien, aber sie nehmen sich wenigstens selber nicht ernst. CSI Miami trieft hingegen vor Pathos. Am Schluss also meine Frage: Was macht den Reiz dieser Serie aus?

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9 Comments:

At 31. Mai 2005 um 23:20, Anonymous Anonym said...

Was würde wohl Frank Drebin über diese Sendung sagen? "Es ist so als wenn man ein Glas Rohrfrei trinkt. Natürlich reinigt es einen, aber innen wird alles hohl!"

 
At 1. Juni 2005 um 09:42, Anonymous Anonym said...

Obwohl ich jetzt ja nimmer weiß ob du wieder in eine Rolle schlüpfst.....schlüpf ich halt auch in eine. In die des Ja-sagers.
Es is bei Gott eine fürchterliche Serie, das andere CSI is noch ein bissl besser , aber net um viel.
Das is irgendwie so wie MacGyver, dem hält man ja immer vor, das es so unrealistisch ist (unrealistisch! Im Fernsehen! Wie das? Wer Realismus will, soll beim fenster rausschauen), weil e immer genau das findet, was er grade braucht. Well, unsere CSI Wunderwuzzis sind genauso, nur blöder. Weil dir brauchen technischen schnickschnack ohne ende, während der macgyver alles mit freiem Auge findet.
Dafür sah Macgyver nie so gut aus, Die CSI Damen stapfen mit weißen Kostüm und weißen stöckelschuhen durch eine Schlachtplatte, stellen fachmännisch fest "Sieht nach Mord aus" und gehen dann direkt zum Gala Dinner. Die Frisur hält.
Ok, David Caruso ist immer noch eine coole sau, an dem alles abprallt, aber er erinnert mich da drin immer sehr an Mickey Rourke in Double Team. Der hatte da nämlich keinen einzigen Satz, den er in die Kamera sagen durfte. Alles off screen. Man sieht den Caruso zwar oft, aber er sagt nix.
Und die message ist fürchterlich bieder , konservativ, amerikanisch-patriotisch. bruckheimer halt. alles oberfläche. eye candy.

 
At 1. Juni 2005 um 11:55, Anonymous Anonym said...

Lieber Kollege Schwarz!

Ich kann dir nur voll beipflichten. Ich habe auch lange nachgedacht und eine bessere Erklärung dafür gefunden, was ich mit diesem Blog eigentlich will.
1729 hat Jonathan Swift, der berühmte Autor von "Gullivers Reisen" einen Aufsatz geschrieben ("A Modest Proposal", http://art-bin.com/art/omodest.html ), in dem er einen Vorschlag macht, wie man der irischen Misere Herr werden könnte. Wenn die Iren ihre eigenen Kinder essen würden, hätte die Bevölkerung keinen Hunger und die Kinder wären weg von der Straße. Swifts Aufsatz gilt als Meisterleistung der englischen Satire. Natürlich war die Situation in Irland sehr bedenklich, aber das Ziel der Satire ist eben gerade nicht einen vernünftigen Beitrag zu liefern, sondern einen ironischen, der die Leute auf eine andere Weise zum Denken anregt.
Ein weiteres Vorbild sind die sogenannten "mock epics", in denen die erhabenste Erzählweise, nämlich das Epos, verarscht wird, indem man eine Belanglosigkeit furchtbar aufbläst und aus einer Mücke einen Elefanten macht. Alexander Popes "Rape of the Lock" (1712) ist ein prima Beispiel. Genau so versuche ich aus kleinen Beobachtungen und Einfällen eine Riesengeschichte zu stricken und rhetorisch möglichst zu übertreiben. Daher stecke ich eher als Autor und nicht als Privatperson hinter diesen Texten. Mit Rolle meine ich halt diese Seite von mir, die bewußt Themen sucht, die sich für die oben beschriebene Herangehensweise anbieten. Wenn ich also das nächste Mal behaupte, dass der Staat die Pensionisten zum Freiwild erkären sollte (Entlastung der Pensionskassen und Ärzte, Beschäftigung für die Jäger, Freude der Angehörigen), dann entstammt das genau diesen Überlegungen und nicht meiner Privatmeinung zum Thema. Obwohl natürlich Fahrradhelme wirklich scheiße aussehen ;)

 
At 1. Juni 2005 um 14:00, Anonymous Anonym said...

Ja, aber....

 
At 1. Juni 2005 um 18:05, Blogger Christian Genzel said...

Obi-Wahn = the real Slim Shady. Lieber M., du verstrickst dich da ein wenig in einem argumentativen Netz, und sei's nur, weil ich vor dem Lesen des Blog-Eintrags mit dir über CSI:MIAMI gesprochen habe und somit weiß, daß deine Meinung sich mit den Gedanken im Blog-Eintrag deckt. Was genau ist also die Rolle, die du spielst?

 
At 2. Juni 2005 um 17:17, Anonymous Anonym said...

Mir ist nicht klar, was so schwer zu verstehen ist. Wenn ich in einem Blog, den nur Insider lesen, einen satirischen Text veröffentliche, der sich einen Dreck um Sicherheit auf den Straßen schert, ist es eine gänzlich andere Situation als ein Elternabend, der sich mit der Sicherheit der eigenen Kinder am Schulweg beschäftigt. Man nennt dies soziale Rollen. Die Person ist immer die selbe, aber die Situation erfordert jeweils unterschiedliche Anpassungsleistungen bzw. erlaubt Freiheiten, die unter anderen Umständen nicht möglich wären. Jeder von uns spielt ständig Rollen. Ich wehre mich deswegen gegen die Idee, Aussagen aus dem situativen Kontext zu reißen und so zu tun, als hätten sie unter anderen Umständen auch Gültigkeit. Jemand kann ja im richtigen Leben überzeugter Pazifist sein und gleichzeitig Actionfilme lieben und sich in einem Computerspiel mit einer Streitaxt durch die Gegner metzeln. Ein Verkäufer findet ein Produkt ganz schrecklich, preist es aber im Geschäft als größte Entwicklung des Jahrhunderts an. Ein Großteil unserer sozialen Erziehung besteht doch gerade darin, dass wir nicht immer wir selbst sein dürfen und sollen. Wir passen uns, wie ein Chamäleon, den Umständen entsprechend an. Wenn jemand die Seite einer Person, die er ständig präsentiert bekommt, mit der ganzen Person verwechselt, dann muss er noch sehr viel über das Leben lernen.

 
At 2. Juni 2005 um 22:32, Anonymous Anonym said...

Lieber Obi-Wahn!

Irgendwie erinnerst du mich an Charles Dickens,der anfangs seine Schriften als Kolumnen in Zeitungen veröffentlichte,um einerseits eine größere Leserschaft zu erreichen, andererseits aber um direkt auf die Reaktionen der Leser eingehen zu können. Irgenwann hat er auf die Kolumnen gepfiffen und im großen Stil publiziert. Seither gilt er als wichtigster Repräsentant der "industrial novel". Noch Fragen???

 
At 3. Juni 2005 um 13:30, Anonymous Anonym said...

Hmm, vielleicht muß ich noch ganz viel lernen, aber ich hab' ja auch noch Zeit. Aber das Differenzieren kann ich eigentlich schon, und deshalb kann ich die von dir aufgeführten Beispiele auch durchaus von dem problem at hand unterscheiden.

Pazifismus und Actionspiele/-filme können sich sehr sehr gut vertragen, weil sich die Haltung meist auf die Realität bezieht und nicht auf etwas Fiktives (Spiel & Film). Das Bezugsobjekt (sozusagen) ist ein anderes. Der Vertreter äußert sich natürlich beim Ausführen seiner Arbeit nicht privat, sondern erledigt nur seinen Job. Ob du nun aber im Freundeskreis verbal eine Meinung äußerst oder in einem im Freundeskreis gelesenen Blog etwas schriftlich formulierst, das der verbal formulierten Meinung entspricht, beinhaltet keine Änderung an der sozialen Rolle (du selbst benutzt das Wort "Insider" in Bezug auf den Blog, weist also die öffentliche Rolle von dir), und ebenso keine Änderung am Bezugsobjekt (es geht um genau die gleiche Sache).

Warum diskutieren wir gleich wieder? Ach ja. Deine Ausführungen scheinen mir den Gehalt deiner Texte schmälern zu wollen; es liest sich beinahe wie eine Distanzierung, die völlig unnötig ist, weil wir ja das Augenzwinkern ohnehin herauslesen - aber auch wissen, daß dahinter eine Meinung (gleich welcher Art) steckt. Und auch die oft angeführte Satire erlaubt Diskussionen um deren Inhalt, weil ja der Autor etwas sagen möchte, gleich, wie verzerrt es dargestellt wird.

 
At 5. Juni 2005 um 21:15, Anonymous Anonym said...

Lieber Chris!

Natürlich verstehen wir uns. Mir hat aber die Debatte sehr weitergeholfen, über das Blog und soziale Interaktion nachzudenken. Ich übertreibe natürlich immer ein bisschen, weil nur so klarere Linien hervortreten. Ich wollte auf keinen Fall irgendjemandem unterstellen, dass er nicht fähig sei zu differenzieren.

 

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