Freitag, 30. September 2005

Die Instant-Gesellschaft

Liebe Gehetzte!

"Das ist das Lebensgefühl einer 'Instant-Gesellschaft' [...]: Alle Probleme müssen auf der Stelle lösbar sein, wie Nescafe oder Suppenkonzentrat in heißem Wasser." So schrieb Jan Ross am 16. August 2001 in DIE ZEIT. Ich habe mir den Satz extra notiert, weil er erstens genial und zweitens selbst ein Konzentrat ist, das eine Vielzahl von Beobachtungen zusammenfasst, auf die ich jetzt gerne näher eingehen möchte.

Bleiben wir beim Thema Ernährung. Das eingedeutsche Wort "Instant" kommt eigentlich nur in Zusammensetzungen vor und da fast aussschließlich in Verbindung mit Kaffee. Das Prinzip ist sehr einfach: kein langes Warten - sofort konsumieren. Überlegt man es sich recht, dann müsste es in unserer Sprache vor "Instants" nur so wimmeln: Fast Food ist nichts anderes als Instantessen, Maggi, Knorr und Inzersdorfer bieten Instantsuppen an, Instanttomatensauce kennen wir als Sugo, Iglo vertreibt Instantgemüse, der Würstelmann hat Instantfleisch, Pommes Frites und Chips sind Instantkartoffeln, Instantfisch kommt aus der Dose und Instantsalat aus dem Glas. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Im Prinzip ist Instant ein einfacher Deal: Man nimmt qualitative und gesundheitliche Einbußen in Kauf, um einen zeitlichen Gewinn daraus zu ziehen. Jedenfalls haben das alle 5000 Befragten zu Protokoll gegeben. In Wirklichkeit scheint es mir aber um die sofortige Befriedigung eines Befürnisses zu gehen: Natürlich könnten wir uns die Zeit nehmen und etwas Nettes kochen (ohne mit anderen Dingen in Verzug zu kommen), aber der Hunger ist jetzt da und wir wollen nicht eine halbe Stunde warten. Es handelt sich also um die wachsende Unwilligkeit des Westeuropäers für die wichtigen Dinge im Leben ausreichend Energie, Zeit und Geld zu investieren. Vom Essen bis zur Partnerschaft hat das Instant-Lebensgefühl alle Bereiche unseres Daseins erobert.

Thema Bildung: Vom Instant-Sprachkurs (Lerne Spanisch in 10 Tagen) bis zum Instant-Studium wird Bildung immer mehr zu einem Modulsystem, dessen Einzelkomponenten man sich als .exe Dateien vorstellen kann, die man anklickt und die sich dann mehr oder weniger von selbst installieren. Wenn sich Neo in MATRIX Ju Jitsu in 10 Sekunden aneignet oder Trinity im Nu einen Helikopter zu fliegen lernt, dann finden wir das nicht lächerlich, sondern fasznierend. Schließlich handelt es sich ja auch um die Erfüllung unseres sehnlichsten Wunsches: die Befriedigung von Bedürfnissen oder Wünschen ohne Anstrengung. Der gesamte Bildungssektor wirbt auf völlig schizophrene Weise für die erfolgreiche Kombination aus Qualität und Tempo, die uns unter dem Zauberwort "Effizienz" verkauft wird. Entscheidend hierbei ist vor allem die Entwicklung weg von einem Bildungskonzept, das einen ganzheitlichen Anspruch hat, hin zu einem auf Fertigkeiten basierenden Bausteindenken, bei dem das Ganze weniger als die Summe seiner Teile ist.

Im zwischenmenschlichen Bereich ist das Instant-Denken wahrscheinlich am schlimmsten. Hier wird die Kombination aus Qualität und Tempo als "quality time" verkauft. Die gestressten Eltern können die tägliche Aufmerksamkeit für ihre Kinder stark reduzieren, wenn sie nur die 10 Minuten sinnvoll gestalten. As if.
Der Beginn einer Beziehung gehorcht mittlerweile ebenfalls den Regeln des Instants. Sofortiges Handeln ist erwünscht - Reden kann man immer noch später. Ich muss hier meinen Lieblingsautor Botho Strauß wieder zitieren, der in diesem Zusammenhang von Sex als der "Fortsetzung einer leichten Sympathie mit anderen Mitteln" oder einer "Willkommensgeste" spricht. "Und wieviel Wahnsinnstaten, wieviel Briefwechsel, wieviel Kosenamen und wieviel Gesetz sind einmal aufgewendet worden, um dieser Willkommensgeste biografische Bedeutung zu verleihen! Leidenschaft, Briefwechsel eventuell, Wahnsinnstaten gehören heute dem Ende allein, der Krise, der Trennung, dem Gehen." Wer den Wahnsinn am Beginn einer tragischen Liebe nachlesen möchte, dem sei Rudolf Borchardts "Vivian" wärmstens empfohlen. Diese Briefe sind 100 Jahre alt, aber noch immer sehr eindringlich in ihrer Konsequenz und Realitätsferne.

Und die Moral von der Geschicht'? Der Weg ist das Ziel. Wir hingegen wollen den Lottogewinn: wenig einsetzen und alles gewinnen, die großzügige finanzielle Belohnung für nie erbrachte Leistungen. Ich würde mir nur ein bisschen mehr Vertrauen erhoffen, dass längerfristige Investments und Entwicklungen nicht automatisch schlecht enden müssen. Manchmal ist der steinige Weg der einzig richtige zum Ziel.

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