The 4400; or, Roger Ebert was right!
Liebe Freunde der gepflegten Unterhaltung!
1995 veröffentlichte Roger Ebert ein Büchlein, das folgenden, leicht ausufernden Titel trug: THE LITTLE BOOK OF HOLLYWOOD CLICHES: COMPENDIUM OF MOVIE CLICHES, STEREOTYPES, OBLIGATORY SCENES, HACKNEYED FORMULAS, SHOPWORN CONVENTIONS AND OUTDATED ARCHETYPES. Vier Jahre später folgte dann die extended version und der Titel wurde noch ein Spürchen länger:
Wie unschwer zu erkennen ist, geht es hier um Konventionen des Hollywood Kinos, die wir alle blind akzeptieren. Hier ein paar Beispiele:
When paying for a taxi, never look at your wallet as you take out a note - just grab one at random and hand it over. It will always be the exact fare.
During all police investigations, it will be necessary to visit a strip club at least once.
All grocery shopping bags contain at least one stick of French bread.
A single match will be sufficient to light up a room the size of a football stadium.
One man shooting at 20 men has a better chance of killing them all than 20 men firing at one.
When they are alone, all foreigners prefer to speak English to each other.
It is always possible to park directly outside the building you are visiting.
A detective can only solve a case once he has been suspended from duty.
All bombs are fitted with electronic timing devices with large red readouts so you know exactly when they're going to go off.
Das alles stört relativ wenig, wenn man sich irgendeinen Big Budget Actionklamauk ansieht. Geht es aber um eine ernst gemeinte Dramaserie, wird die Sache schon heikler.
THE 4400 ist Ira Steven Behrs nächste große SF/Fantasy-Serie nach STAR TREK: DEEP SPACE NINE. Dafür hat er seine zwei Kumpel aus alten Trek-Tagen, Robert Hewitt Wolfe und René Echevarria, mit an Bord geholt. Ronald D. Moore, wahrscheinlich der beste der früheren STAR TREK staff writers, hat in der Zwischenzeit CARNIVÀLE produziert/geschrieben und ist jetzt bei BATTLESTAR GALACTICA, der sicherlich besten SF Serie im Moment. Michael Piller, der die dritte Staffel von STAR TREK: THE NEXT GENERATION fast im Alleingang gerettet und das ganze Franchise nachhaltig beeinflusst hat, ist übrigens am 1. November 2005 an Krebs gestorben. Aber nun zurück zu THE 4400. Als ehemaliger STAR TREK Fan müsste ich also der Serie wohlwollend gegenüberstehen.
Die Grundidee ist ja ganz nett: 4400 von Aliens in den letzten 50 Jahren entführte Menschen werden auf einen Schlag zur Erde zurückgebracht. Bald schon stellt sich heraus, dass sie übernatürliche Fähigkeiten besitzen. Die Serie konzentriert sich weniger auf große Themen wie Invasion oder Weltverschwörung, sondern auf den Umgang der Familien mit ihren totgeglaubten, aber dann doch zurückgekehrten Verwandten. Dieses Format kommt so gut an, dass im Frühjahr die dritte Staffel in Produktion geht. Es handelt sich hier also um eine der erfolgreichsten der neuen SF/Fantasy/Mystery-Serien.
Und dennoch krankt die Serie an Versatzstücken, die zumindest so alt wie die Mutter aller modernen Mystery-Serien selbst sind: AKTE X. Schon wieder geht es um außerirdische Entführungen, übermenschliche Fähigkeiten und zwei FBI-Agenten, deren Privatleben im Argen liegt und die die Fälle lösen müssen. Bei 24 hat man sich einfach CTU ausgeborgt, das hier Homeland Security oder später dann National Threat Assessment Command genannt wird. Dazu kommen dann noch die ganzen üblichen Klischees wie der prototypische Boss, das mysteriöse kleine Mädchen, die wohlwollenden Adoptiveltern, die dann mit dem Kind nicht fertig werden, die Highschool mit ihren üblichen Konflikten, dass sich alles verändert hat, seit man das letzte Mal da war etc.
Am schlimmsten ist aber die Inszenierung von inneren Befindlichkeiten. Ständig düdelt Musik im Hintergrund, die dich auf den emotionalen Gehalt der Szene einstimmen soll. Was die Charaktere am meisten vermissen, wird ihnen ständig vor Augen geführt, damit auch noch der letzte Vollidiot begreift, worum es gerade geht. Der jugendliche Heimkehrer darf seinen Frust rausbrüllen: "SCREW YOU, UNCLE TOMMY!", Lily, deren Mann wieder geheiratet hat und ihr die gemeinsame Tochter vorenthält, darf einsam und traurig durch die Straßen gehen, und Richard, den man nur mehr als Black Jesus bezeichnen kann, wird von einem Penner aus seinem ehemaligen Stadtviertel vertrieben, das ohnehin in Ruinen steht.
Ich werde durch solche Banalitäten in der Erzählweise immer aus der Serienwelt herausgerissen und beginne dann, das ganze ironisch zu sehen. Besonders die erste Hälfte des Pilotfilms war für mich an vielen Stellen unfreiwillig komisch. Dabei machen die Schauspieler noch das beste aus dem teilweise mißglückten Drehbuch. Brauchen die Amerikaner wirklich diese ganzen üblen Klischees um in Sekundenbruchteilen in der Lage zu sein, eine Situation zu erfassen? Es handelt sich dabei nämlich um optisches Fast Food: es rutscht leicht runter, füllt den Magen und ist gleich wieder vergessen. Dabei gibt es doch so viele Serien, die mit diesem Blödsinn radikal aufräumen (SIX FEET UNDER, CARNIVÀLE, BATTLESTAR GALACTICA) oder ironisch damit spielen (LOST, THE SOPRANOS). Ich glaube, dass man als alter STAR TREK Fan THE 4400 noch eine Chance geben soll, oba bled spün derfn si si ned.
Labels: TV
1 Comments:
Eberts Regeln sind mittlerweile schon fast ins kollektive Unterbewußtsein übergegangen; auf seiner Website wird wöchentlich ein neues Klischee vorgestellt (von Lesern eingeschickt), das die über 600 Einträge starke Datenbank bereichert. Nett zum Beispiel der "bilingual Nazi officer", oder die "bathroom rule" (welche besagt, daß eine Toilette zu allem außer dem Toilette gehen verwendet wird).
THE 4400 scheint mir in der Tat aus vielen Versatzstücken zusammengebastelt zu sein, und wenn man sich mal ganz ehrlich ist, ist die Grundidee eigentlich schon viel faszinierender als jede beliebige Minute dieses 90-minütigen Pilotfilms. Diese Aneinanderreihung von Einzelschicksalen ist nicht nur schrecklich banal, sondern hat auch wenig mit der Ausgangsidee zu tun (Lily könnte ja auch aus einem anderen Grund von ihrem Ehemann verstoßen worden sein und jetzt über die Spielplätze dieser Welt streunen, ohne, daß sich ihre Geschichte wesentlich verändern würde).
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