Samstag, 3. Dezember 2005

FSK

Liebe Maßlose!

Als ich noch ein kleiner Bubsi war, also lange bevor es CDs, PCs, MP3, HDTV, WWW, RTL oder sonst irgendetwas gab (Kriegsgeneration!), hatte ich einen großen Traum. Andere wollten Nuklearphysiker, Zirkusferd oder Müllmann werden, aber mir ging nur eine Sache durch bzw. in den Kopf: Geld genug um rund um die Uhr Eis essen zu können. Man findet erst wesentlich später heraus, dass man einen Liter Eis nur dann mühelos verinnerlichen kann, wenn dieser sportlichen Spitzenleistung ein monatelanges Aufbautraining vorangeht. Habe ich mir jedenfalls sagen lassen.
Das Maßlose übt nicht nur auf Kinder, sondern auch auf Erwachsene eine grenzenlose Faszination aus. Die Guiness World Records sind eine eindrucksvolle Demonstration, welchen hohen Unterhaltungs- bzw. Stellenwert die Überschreitung rationaler Maßtäbe in unserer westlichen Gesellschaft einnimmt. Der Spitzensport gehört da natürlich auch dazu. Was macht der dekadente Reiche mit seiner Kohle? Er zieht sich auf ein Hotelzimmer mit Koks und Prostituierten zurück. So geschehen beim Maler und Kunstprofessor Jörg Immendorff im August 2003 (21,6 Gramm, davon 6,5 Gramm reines Kokain + 9 Prostituierte; gestand im Prozess 26 weitere Parties ein) oder bei Michel Friedmann im Juni desselben Jahres, der da wesentlich bescheidener war, als Rechtsanwalt, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Rechtsanwalt trotzdem für mehr Furore sorgte. Wer träumt nicht von der großen Orgie, ein Wort, das wir zunehmend für jeden Exzess verwenden, sei es Kopieren oder Putzen?

Das Maßlose spielt aber auch in unserem Alltag eine wesentlich größere Rolle als wir gerne zugeben würden:

1) Der neue Apple iPod mit 60 GB (5. Generation) kann 15.000 Lieder oder ca. 1000 Alben speichern. Bei einer durchschnittlichen Laufzeit von 15 Stunden (ca. 15 Alben) muss ich 67 Mal aufladen und 1000 Stunden Musik hören, bis ich jedes Lied auf der Festplatte einmal durch habe. Bei iTunes werden übrigens 1,8 Millionen Songs zum Download angeboten.

2) Die externe 300 GB Festplatte füllen manche schnell mal mit Fernsehserien und Filmen aus dem Internet an. Da sind noch gar nicht die Filme und Serien mitgerechnet, die regulär im Fersehen laufen oder als DVD-Box herumstehen.

3) An manchen Tagen geht es 16 Stunden durch, an anderen ist der Blick aus dem Fenster schon zu viel der Mühe. Da zieht man dann den Vorhang zu und verbringt ein Wochenende vor der Glotze.

4) An manchen Tagen reichen ein Apfel und ein Vollkornweckerl, an anderen isst man am Abend noch eine Packung Soletti, weil es nach dem Plüschbärfrühstück, dem Schnitzel, dem Eis, dem Kaffee, den Keksen, der Schokolade, den drei Bier und dem Kebab auf die paar Stangerl auch nicht mehr drauf ankommt.

5) Bei Amazon oder Play wirft man dann doch noch die zwei, drei CDs oder DVDs in den Warenkorb, weil bei 100 Euro Bestellvolumen diese 30 Euro das Kraut auch nicht mehr fett machen.

6) Wenn man um 1 Uhr Früh die vierte Episode 24 in Folge gesehen hat, sieht man sich halt noch schnell zwei weitere an, denn dann hat man wenigstens ein Viertel der ganzen Staffel durch.

Deshalb brauche ich dringend die FSK oder Freiwillige Selbstkontrolle, weil die kleinen Maßlosigkeiten des Alltags sich nicht nur summieren, sondern sich auch gehörig auf das Geldbörserl, die Gesundheit und die Fitness schlagen.

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4 Comments:

At 5. Dezember 2005 um 10:11, Anonymous Anonym said...

ah, alles schnickschnack! rock'n'roll, baby!

 
At 5. Dezember 2005 um 14:49, Anonymous Anonym said...

Nun, lieber Obi-Wahn, wer soll denn nun dein freiwilliger Selbstkontrolleur sein?
A) Der 32jährige Linguist am Fachbereich Anglistik, der gerne Shakespeare-Sonette in mittelhochenglisch (?) verfasst und seinen Studenten im Seminar unendlich viel abverlangt.
Oder B) Markus, der erwachsene Mann, der sich seine kindliche Begeisterung für Film & Fernsehen behalten hat und gerne stundenlang über philosophische Eckpfeiler der Gesellschaft am Stammtisch schwadroniert?
Oder vielleicht doch C) der Cybergärtner, der in seinen Blogs den Gedanken mehr oder weniger freien Lauf lässt und die Denkmaschinen der Leser immer wieder aufs Neue bestäubt?

Tja, lieber Obi-Wahn, wer soll denn nun dein Herzblatt sein?

Ich tippe mal: von jedem ein bisserl Kontrolle wäre fein, aber lass es dir gesagt sein, wer zuviel Zeit auf die Kontrolle seines Selbst verwendet versäumt manchmal nette Momente in seinem Leben!
Drauf geschissen ... und wir sehen uns am Mittwoch am Romanistik-Fest Teil 2 ;-))

 
At 5. Dezember 2005 um 16:14, Anonymous Anonym said...

Liebes Tinchen!

Danke, dass du mich um ein Jahr jünger gemacht hast. Ich stehe tief in deiner Schuld. Es tut hingegen schon sehr weh als Linguist bezeichnet zu werden. Bei LOST wären die Linguisten die "Others". Ja, so schlimm ist das.
Dein Kommentar kommt einer psychiatrischen Ferndiagnose (gespaltene Persönlichkeit) sehr nahe. Willst du dich als Shrink anbieten?
"Denkmaschinen bestäuben" ist eine interessante Kollokation und gewagte Metapher. Während das Nomen "Denkmaschine" dem Gehirn eine computerähnliche Funktionsweise zuspricht, relativiert das Verb diese Aussage wieder. Hier wählst du die sexuelle Fortpflanzung des Grünzeugs als Bild für die Weitergabe von Ideen. Ist das Gehirn jetzt mechanisch oder organisch?
Am Mittwoch könnte es durchaus sein, dass wir uns auf dem Romanistikfest treffen. Nachdem am Donnerstag kein Kurs ist, darf ich bis 10 Uhr ausbleiben.


P.S. Ich möchte mich gleich hier in aller Form für den upcoming blog entry über die Gilmore Girls entschuldigen. Heute habe ich mich mit Block und Bleistift vor den Fernseher gehockt und brav Notizen gemacht. Wahrscheinlich bin ich zu alt für diese Serie. Mehr davon demnächst in diesem Theater.

 
At 5. Dezember 2005 um 17:05, Anonymous Anonym said...

Da bin ich einmal 3 Monate nicht im Lande und dann muss ich solche Dinge lesen??? Da wartet eine Menge Arbeit auf mich ueber Weihnachten!!! Ich hoffe, deine Vorbereitungen fuer den Abend des 17.12 laufen bereits. Mein Tip: wir greifen ganz tief ins Regal... Power and Knowledge, Balberith

 

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