Freitag, 27. Jänner 2006

Auf der Post

Liebe Freunde des Dienstleistungssektors!

Ja, es gibt sie noch immer, die geschützten Werkstätten dieser Republik, diese Oasen der Geruhsamkeit, wo brave Gewerkschaftsmitglieder ihre Pension bereits im beamteten Berufsleben genießen dürfen und sich nur ab und zu von lästigen Kunden aus dem wohlverdienten Halbschlaf reißen lassen. Dabei haben es sich die verschiedenen Regierungen seit den frühen 90er Jahren zum Ziel gesetzt, die Staatsbetriebe auf Vordermann zu bringen, effizienter zu gestalten und konkurrenzfähig zu machen. Da gab es natürlich Heulen und Zähneknirschen, als der Arbeitstag plötzlich nicht mehr mit dem Mittagessen endete und die gemütliche Kartenpartie am Nachmittag der nostalgisch verklärten Vergangenheit angehörte. Selbst das Bundesheer, dieses letzte Auffangbecken für Kleingeister, Glöckner und Lichtscheue, für Sideshow Acts und Zirkusattraktionen, wird im Moment völlig umgekrempelt. Deshalb beruhigt es mich sehr, dass einige Filialen der Post den Geist früherer Tage bewahrt haben und weder mit Skurrilitäten noch kabarettistischen Einlagen geizen.
Als ich vor kurzem ein Postamt in der Innenstadt betrat - also ein richtiges Postamt und nicht die Niederlassung eines Floristen, Eisenwarenhändlers oder Totengräbers, der sich als Postpartner ein Zubrot verdienen will - wurde ich von einer Angestellten in Empfang genommen, der man erst auf den zweiten Blick ansah, dass nicht sie es war, die dem Betrieb die Zahlung einer Geldstrafe für ein behindertenfeindliches Arbeitsumfeld ersparte. Ich erklärte ihr, dass ich gerne Geld auf ein ausländisches Bankkonto überweisen wollte. Der schmerzverzerrte Gesichtsausdruck der Frau verhieß nichts Gutes. Instinktiv wandte sie sich ihrer Kollegin Gerlinde zu, die gerade Lotto-Scheine durch die Maschine ließ. "Gerlinde! Gerlinde!" Diese ignorierte die flehentliche Anrufung und verkaufte den beiden Herren noch ein paar Rubbelllose. Daraufhin wandte sich die offensichtlich ratlose Angestellte wieder mir zu und ersuchte mich ich möge mich doch bei der Kollegin anstellen. Gesagt, getan. Während Gerlinde noch ein paar Schatztruhen abriss, trat ein Postangestellter links von mir an den Counter und lud mich freundlich ein näher zu treten. Ich tat ihm mein Anliegen kund und merkte sofort wieder, dass ich auch diesen Mitarbeiter mit meinen Sonderwünschen innerlich quälte. Da wandte er sich auch schon nach links um und rief der Kollegin zu: "Gerlinde! Gerlinde!" Da wurde die Gerlinde etwas sauer und meinte: "Du siehst doch, dass ich Kundschaft habe! Ich kann nicht drei Sachen gleichzeitig machen." Dabei ließ sie demonstrativ einen Toto-Schein durch die Maschine rasseln und fragte die Kundschaft, ob sie Euromillionen wolle. Also musste mein neuer Ansprechpartner selbst mit dem Problemfall fertig werden. Er ging zu einem Kasten, zog ein Formular heraus und schüttelte den Kopf. Daraufhin kramte er ein weiteres hervor, schien nicht besonders davon überzeugt zu sein, nahm es aber trotzdem mit. "Jetzt brauche ich da den IBAN und den BIC-Code." Diese identifizierte er dann auf meinem Lieferschein und trug sie in das Formular ein. "Das müssen Sie nochmals kontrollieren." - "Und hier setzen Sie den Betrag ein." Auf dem Überweisungsschein war der Betrag in Euro anzugeben. Ich wollte aber 95 Pfund loswerden. "Ui, da müssen wir umrechnen. Karl! KARL!!" Ein weiterer Postangestellter trat von weiter hinten an den Counter. "Wir müssen Pfund in Euro umrechnen." - "Das machst du mit dem Computer." Die beiden Herren beugten sich über die Tastatur und drückten mehrere Tasten. Dann drehten sie sich um und warteten. "Spinnt der Drucker wieder!" Dann tippte der eine ein paar Zahlen in eine Rechenmaschine und meinte dann zu mir: "Das sind 66 Euro." Als Beweis drehte er die Rechenmaschine zu mir hin, sodass der Betrag in grünen Ziffern auch für mich lesbar war. Ich wies ihn freundlich darauf hin, dass das nicht stimmen konnte, da der Betrag ungefähr 140 Euro ausmachen müsste. "Aha!", meinte er, "Da haben Sie wohl Recht!" Daraufhin rechnete er noch einmal und kam auf 136,40 Euro. Das leuchtete ein. Da ich den Rest selbst ausfüllen konnte, zog ich mich zu einem der Tische zurück, die für solche Fälle aufgestellt waren. Als ich fertig war, ließ mich der freundliche Postbeamte gleich vortreten. Ich hatte noch immer den Lieferschein in der Hand, auf dem er jetzt entdeckte, dass ich auf der Anglistik arbeitete. "Ah! Sie sind auf der Anglistik. Da gibt's doch den einen ... Sie wissen schon ... Ach geh, jetzt ist der Name weg ... dieser ... Gleich fällt's mir ein ... so einer, mit schwarzen Haaren." - "Görtschacher?" - "Ja, der Görtschacher, der Wolfi. Der war oft bei uns da, als ich noch in der Filiale im Nonntal war."
Hier muss ich kurz unterbrechen und erklären, warum es mir zu diesem Zeitpunkt wie Schuppen aus den Haaren fiel. Diese Filiale in der Nonntaler Hauptstraße kannte ich noch aus eigener Erfahrung. Im Vergleich zu den Gestalten, die dort drinnen hausten, war es leichter einen Außerirdischen oder Schwerverbrecher nach 30 Jahren Haft sozial zu integrieren. Die Eingangstür ins Postamt war wie der Kasten in DIE CHRONIKEN VON NARNIA. Sobald man hindurchtrat war man nicht nur in einer anderen Welt mit ganz eigenen Gesetzen, sondern auch von Fabelwesen umgeben, die man noch nie im (richtigen) Leben gesehen hatte. Dort jedenfalls verbrachte mein Ansprechpartner die prägenden Jahre seines Berufslebens. Aber nun zurück zur Erzählung.
"Der Görtschi war doch laufend bei uns auf Besuch. Meine Freundin hat nämlich auch Anglistik studiert. Das waren noch Prüfungen bei Prof. Klein! Dieser Landeskundetest über die Zugverbindungen in Großbritannien ... und die Bergwerke erst ..." Ich drehte mich um und starrte in die zerknirschten Gesichter mehrerer Postkunden, die teils hinter mir, teils bei Kollegin Gerlinde warteten, um endlich ihre Briefe und Lottoscheine aufzugeben. Einigen blitzte der Groll schon aus den Augen. Ich wandte mich wieder dem Small Talk zu.
"Ihr habt's doch noch so einen kleinen Inder." - "De Silva." - "Ja, genau. Ich kenn halt auch nur mehr die Leute von früher. Meine Freundin hat nämlich Anglistik studiert und da kriegt man schon so einiges mit. Ich habe ja auch schon überlegt, ob ich nicht selbst ..." Gerlinde schob gerade wieder ein paar Schatztruhen über den Counter. Warum verkauft die Post eigentlich die STAR WARS: EPISODE III DVD? Das Gebrummel hinter mir nahm an Lautstärke schon etwas zu.
"Hier haben Sie Ihren Beleg. Haben Sie die Codes noch einmal kontrolliert?" Ja, das hatte ich. "Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag." Oder was davon noch übrig war.

1 Comments:

At 1. Februar 2006 um 11:46, Anonymous Anonym said...

Ein sehr feiner Eintrag, Kollege Wahn. Ich streiche kurz im Kalender an, daß ich herzlich gelacht habe und nicht Botho Strauß erwähnt hast. Wir sollten eine Reihe über österreichische Dienstleistungsunternehmen starten - ich gebe dann die Geschichte zum Besten, wie der MediaMarkt unter Zuhilfenahme von drei Angestellter (einer in der Mittagspause behelligt) mein Telefon kaputtgemacht hat.

 

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