Donnerstag, 26. Jänner 2006

Konsenssucht

Liebe Gleichgesinnte!

Wir verstehen uns ja alle so toll und wenn wir uns nur ein bisschen Mühe geben, dann wird auch noch der letzte begreifen, dass wir im Grunde unseres Herzens ja alle Menschen sind und die scheinbaren Unterschiede nur auf Oberflächlichkeiten beruhen. Wie warm wird einem ums Herz, wenn wieder einmal alle gleicher Meinung sind, die selben Filme, Bands und Bücher toll finden und auf den bösen Kapitalismus als Wurzel allen Übels schimpfen. Bei manchen Menschen muss man schon eine Zeit lang suchen, bis sich die erste Parallele erschließt. Dann kann man aber getrost einen weiteren Verbündeten für das große, allumfassende Konsensprojekt hinzuzählen.

And I said "What about Breakfast at Tiffany's?"
She said "I think I remember the film
And as I recall, I think we both kinda liked it"
And I said "Well, that's the one thing we've got"

In Zeiten der political correctness und Weltverständigung darf das Fremde nicht mehr fremd sein. Und da spreche ich noch nicht einmal von anderen Kulturen oder Religionen. Bereits der bzw. die nächste ist mir eigentlich völlig fremd. Wie sollte es auch anders sein? Blickt doch der bzw. diejenige auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in einer mir fremden Welt zurück. Doch die ersten Anknüpfungspunkte sind schnell gefunden. Small Talk heißt die Königsdisziplin der Gleichgesinnten und Zustimmungssüchtigen. Schnell hat man vieles gemein.
"Die meisten Überzeugungsträger, die sich heute vernehmen lassen, scheinen ihren Nächsten überhaupt nur als den grell ausgeleuchteten Nachbarn in einer gemeinsamen Talkshow zu kennen. Sie haben offenbar das sinnliche Gespür – und das ist oft auch: ein sinnliches Widerstreben und Entsetzen – für die Fremdheit jedes anderen, auch der eigenen Landsleute, verloren." So schreibt Botho Strauß in "Anschwellender Bocksgesang" (1993). "Auch das Missverständnis, sogar das Missverständnis wird einem menschlich teuer – es ist nahezu aufgelöst im Verkehr der öffentlichen Meinung. Jeder Meinende versteht den anderen Meinenden. Da gibt es nichts zu deuten. Die Öffentlichkeit fasst zusammen, sie moduliert die einander widrigsten Frequenzen – zu einem Verstehensgeräusch." – "Der Widerstand ist heute schwerer zu haben, der Konformismus ist intelligent, facettenreich, heimtückischer und gefräßiger als vordem, das Gutgemeinte gemeiner als der offene Blödsinn, gegen den man früher Opposition oder Abkehr zeigte."
Wie geht man um, mit dem Fremden, das zwischen einem selbst und der nächsten Person steht? Ist es ignorier- bzw. vernachlässigbar, wenn nur genügend Gemeinsamkeiten oder eine herbeigeredete Basis vorhanden sind? Oder besteht sogar eine Chance darin sich des Fremden langsam anzunehmen? Es geht ja nicht nur um die Andersartigkeit des Gegenübers. Man ist sich ja auch des eigenen Fremden bzw. Befremdlichen sehr bewusst. Wann ist der richtige Moment gekommen das feine Gespinst des leicht erwirkten Konsenses zu zerstören, indem man das Fremde plötzlich dazwischenstellt? Wieviel davon kann und darf man zumuten?

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1 Comments:

At 1. Februar 2006 um 11:47, Anonymous Anonym said...

Hauptsache unauthentisch.

 

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