Dienstag, 17. Jänner 2006

Die Dauerdröhnung

Liebe Kopfhörer!

Wie ich stehen und sitzen allmorgendlich unzählige Jugendliche - aber auch Erwachsene - im Bus rum und lauschen den Wohlklängen aus ihren aufgemotzten I-Pods. Dagegen ist ja prinzipiell nichts einzuwenden, denn der Alltag ist grau genug, die Busfahrt lang und öde und die anderen namenlose Gesichter in der Menge. Da braucht man einfach die wohlvertrauten Klänge aus der privaten Jukebox, die einen stimmungsmäßig aus dem Tief reißen, Energie spenden und einer ansonst sinnlosen Anreise etwas Farbe verleihen. Der Tag ist meist zugeplant und so hat man wenigstens im Bus die Gelegenheit, sich die musikalischen Neuerwerbungen in Ruhe reinzuziehen. Am besten man setzt sich die Kopfhörer gleich zu Hause auf und nimmt sie erst direkt vor dem Ziel wieder runter, damit man ein, zwei Nummern mehr hören kann. Auf dem Rückweg ist es noch besser: Da kann man sie gleich aufbehalten. Der Player wandert von der Jacken- in die Hosentasche und schon geht's weiter.
Der Griff zum Player wird zum Automatismus. Man schließt die Wohnungstür ab und die Hand wandert bereits wie von selbst in die Innentasche der Jacke. Früher nützte ich oft kürzere und längere Wege um mir über gewisse Dinge klar zu werden, aber jetzt neble ich mich mit Musik ein. Damit ist man immer leicht auf Drogen und die Gedanken verlieren sich auf sehr angenehme Weise im Nichts.
In der Arbeit sitzt man vor dem Computer, privat vor dem Fernseher oder Laptop und auf den wenigen Strecken, die durch die Stadt führen, zieht man sich in seine musikalische Alternativwelt zurück. Der Input ist stets virtuell und maschinell. Ich erspare mir hier ein Plädoyer für mehr soziale Kontakte und setze mir lieber die Kopfhörer auf.

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7 Comments:

At 17. Jänner 2006 um 23:28, Anonymous Anonym said...

Du hättest auch einfach schreiben können: "Ich steh total auf den iPod, den ich mir zugelegt habe." Oder hab ich da irgendwelche Feinheiten übersehen?

 
At 18. Jänner 2006 um 10:19, Anonymous Anonym said...

Im Prinzip ist die Frage, die dieser Blogeintrag aufwerfen sollte, relativ simpel: Hat der ständige Medienkonsum etwas Suchtartiges an sich? Oder anders gefragt: Denke dir einfach Film und Musik komplett aus deinem Leben weg. Wie leicht oder schwer wäre das auszuhalten? Es geht ja, wie ich immer sage, um Konserven, oder, wie Botho Strauß es nennt, die "sekundäre Welt". Erfahrungen aus der Retorte. Emotionales Junk Food, wenn man besonders hart sein will. Wie sehr bestimmen diese Konserven unser Leben? Das war die Frage.

 
At 18. Jänner 2006 um 23:06, Anonymous Anonym said...

Klar kann man Musik & Film als olle Konserve ansehen, aber man kann auch Bücher als Altpapier betrachten, Kunst als Steuergelderverschwendung und Philosophie als Hirnwixerei. Wenn man's negativ betrachten will, geht das immer. Viel spannender ist doch die Frage: Was bereichert wie unser Leben?

 
At 19. Jänner 2006 um 11:56, Anonymous Anonym said...

Ich frage mich, warum soll ich mir musik und film aus meinem leben wegdenken?
Mein bruder is weniger musikfan als ich. also der kommt mit viel weniger musik aus. Er betreibt aber sehr viel sport mit leidenschaft und hingabe. Was bliebe von seinem leben übrig, wenn er auf das verzichten würde? und warum sollte er auf das verzichten?
Und warum ist musik erfahrungen aus der konserve? sind es, wenn ich meine betty's apartment songs singe, musik und erfahrungen aus der konserve? oder sinds erinnerungen? sind erinnerungen erfahrungen aus der konserve? dann haben wir ein problem, weil der mensch halt so gebaut, das er sich erfahrungen als erinnerungen abspeichert. Muss auch sein, weil er so lernt und sich zu einem sozialen wesen entwickelt.
Oder gehts um musik, die ich nicht selber mache - ist dann das neue Green Day album, musik aus der konserve und damit erfahrungen aus der konserve? well, ich erfahre und erlebe ja nicht, was der typ beim schreiben oder singen des songs erlebt, sondern ich erlebe was ich erlebe, wenn ich den song höre (oder einen kerouac roman lese).
Ich bin nicht in dem auto in dem Springsteen die strasse runterfährt, sondern in meinem eigenen. Springsteen hat einmal gesagt der job des autors ist, ein gefühl für etwas zu schaffen. wenn er, springsteen, einen song darüber schreibt wie es ist durch die stadt zu gehen, dann ist das ziel nicht zu zeigen wie es für ihn war, sondern der hörer (oder leser) soll sich an seine eigenen erfahrungen erinnern und daraus ein gefühl entwickeln. ein guter Autor laut Springsteen, weckt etwas im Leser oder Hörer.

das fällt mir dazu ein.
Deine erfahrungen sind unmittelbar, ganz einfach weil sie deine sind.

 
At 26. Jänner 2006 um 16:39, Anonymous Anonym said...

Nun die langersehnte Antwort: In Platons Höhlengleichnis geht es darum, dass wir nur Schatten der wahren Dinge sehen, die sich in einer idealen Welt (im Ideenhimmel) befinden. Unsere Welt ist also bereits ein Abklatsch. Beschäftige ich mich nun mit Geschichte oder Naturwissenschaft, versuche ich wenigstens etwas über die erfahrbare Wirklichkeit herauszufinden. Bei Literatur wird's schon problematisch. Da ist nämlich der Forschungsgegenstand erfunden (noch eine Ebene weiter weg von der Realität) und wenn ich darüber nachdenke oder schreibe (Metaebene) bin ich wiederum eine Ebene weiter weg. Es geht also um graduelle Abstufungen der Unmittelbarkeit.
In seinem Aufsatz "Der Aufstand gegen die sekundäre Welt" schreibt Botho Strauß, dass in unserer Gesellschaft alles medial vermittelt wird und es kaum noch unmittelbare / ursprüngliche Erfahrungen gibt. Eine CD oder ein Film bereitet ja Erfahrungen für den Konsumenten auf. Ein spezielles Verfahren (man kann es ruhig Kunst nennen) macht die Erfahrungswerte haltbar und geschmacklich interessant. Während man mit technischen Verfahren Nahrungsmittel haltbar macht, konserviert man mit künstlerischen Verfahren Erfahrungen. Das macht aus beiden Konserven.
Wenn du nun deine eigenen Lieder über dein eigenes Leben singst, dann konservierst du Erfahrungen, die du dir gerne länger aufheben möchtest. Vielleicht schaffst du es sogar, die selben Gefühle nochmals zu erwecken. Trotzdem ist es nicht mehr das Original, sondern eine Inszenierung, ein Abbild. Das ist natürlich immer noch viel authentischer als die Konserven von jemand anderen, der nur raten kann, was den Leuten schmeckt und dann in Dosen (Filmdosen) abpackt. Wie gesagt: das ist ein künstlerischer und sehr wertvoller Prozess, aber trotzdem kommen am Schluss Konserven dabei raus.
Sport ist sicherlich ein unmittelbareres Erleben, denn der Körper bewegt sich in Echtzeit durch eine reale Landschaft und die Empfindungen (Anstrengung, Schwitzen, Wind etc.) sind auch alle real.
Der langen Rede kurzer Sinn: In unserer Gesellschaft wird der Großteil der menschlichen Erfahrungen medial vermittelt und nicht mehr unmittelbar gemacht. Deshalb fallen uns zu irgendwelchen Begebenheiten immer Filme oder Lieder ein, denn unsere Erfahrungswelt stammt großteils aus Konserven.

 
At 26. Jänner 2006 um 18:49, Anonymous Anonym said...

sind deine ausführungen über konserven eigentlich normative oder deskriptive aussagen?

 
At 27. Jänner 2006 um 09:19, Anonymous Anonym said...

Ich denke es sind deskriptive Aussagen, denn ich schreibe niemandem vor, was er zu glauben hat. Allerdings kann ich nur davon erzählen, wie ich selbst die Welt sehe. Deshalb sind meine Aussagen nicht deskriptiv im Sinn von objektiven Beschreibungen, sondern persönliche Erfahrungen, die ich, wenn sie sich häufen und mich beschäftigen, zu einer Aussage über die Welt zusammenfasse. Das ist natürlich nur eine Hypothese und soll mir dabei helfen besser mit der Welt klarzukommen.

 

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