Dienstag, 19. Dezember 2006

Die Zeit ist die Sklavin der Uhr

Liebe Chronometriker!

Fährt man mit dem Fahrrad von Lehen nach Sam (Messezentrum, Traktsteg über die Salzach, beim Fernheizwerk rechts rein, den Bach entlang bis Salzburg Nord), kommt man an folgendem Transparent vorbei: DIE ZEIT IST DIE SKLAVIN DER UHR.

Dieser "Sinnspruch" ist an einem Zaun befestigt und zieht sich über mehrere Meter hin. Denkt man nur für den Bruchteil einer Sekunde über diesen Satz nach, kommt er einem schnell merkwürdig vor. Nachdem nicht klar ist, in welchem Kontext diese "Weisheit" zu verstehen ist (Uhrenwerbung?), nehme ich sie, wie sie ist: DIE ZEIT IST DIE SKLAVIN DER UHR.

Oder anders: Die gemessene Größe ist die Sklavin des Messgeräts. Also ist nach dieser Logik auch die Radioaktivität die Sklavin des Geigerzählers und die Temperatur die Sklavin des Thermometers. Wenn man einmal von dem unbedeutenden Detail absieht, dass die Zeit nicht einmal eine konstante physikalische Größe ist, sondern laut Relativitätstheorie der Einflussnahme anderer Phänomene unterliegt, bleibt noch immer die magische Komponente dieses unheilvollen Satzes. Es wird hier nämlich behauptet, dass ich mit einer kulturellen Errungenschaft ein natürliches Phänomen unter Kontrolle bringen kann. Wenn ich also einem Tornado den Namen Charlie gebe und im Wetterbericht seine Geschichte erzähle sowie seinen Kurs vorhersage, übe ich auf magische Weise Kontrolle über eine Sache aus, die ich ja eigentlich nicht beeinflussen kann. Naming is taming.

Alle Kulturen gehen von dieser eigentlich irren Annahme aus, dass sie über Magie und Rituale bzw. Wissenschaft und Technologie ihr natürliches Umfeld unter Kontrolle bringen können. Wie in der Bibel wird die jeweilige Schöpfungsgeschichte oft dahingehend umgeschrieben, dass sie genau zu den kulturellen Verhältnissen passt. Gott schuf die Welt in sechs Tagen und ruhte am siebten. Er schuf die Himmelskörper, um die wichtigsten Festtage im Kalenderjahr zu markieren. Er schuf den Menschen als sein Ebenbild mit einem klaren Auftrag im Leben. Damit wurden kulturelle Errungenschaften zu natürlichen Phänomenen.
Wie das Fliegen ist auch die totale Machbarkeit ein Urtraum der Menschheit. Diktaturen müssen auch ganz fest daran glauben, dass sie mit menschlichen Mitteln alle Eventualitäten des Lebens kontrollieren können, notfalls auf die übelste Weise. Deswegen muss man dem Unvorhergesehenen stets die nötige Ehrfurcht entgegenbringen.

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Dienstag, 12. Dezember 2006

Die Lösung eines unvermuteten Problems

Liebe Schwarzseher!

In der Vorweihnachtszeit frequentiert man vermehrt diverse Geschäfte, um unter dem Vorwand für seine Lieben Geschenke zu suchen den eigenen Interessen zu fröhnen. Also fand ich mich vor kurzem in der Fernsehabteilung des Saturns wieder und starrte unmotiviert in eine neu eingerichtete Nische mit acht Flachbildfernsehgeräten, die an einer indirekt beleuchteten Wand hingen. Alsbald schob sich ein jugendlicher Verkäufer in die Peripherie meines Gesichtsfelds und stellte mir die übliche Einstiegsfrage: "Kann ich Ihnen helfen?" Damit meinte er: "Kann ich Ihnen helfen ein für Sie passendes Fernsehgerät auszuwählen, für den Fall, dass Sie (1) tatsächlich eines suchen, (2) sich nicht bereits entschieden haben, und (3) eine konkrete Frage haben, die ich auch beantworten kann." Zugegeben: das wär ein bissi lang und die kürzere Form tut's auch. Hätte ich nämlich seine Frage so verstanden, wie er sie stellte, wäre eine Antwort wie z.B. "Ja, wenn Sie Zeit haben, könnten Sie mich in einer halben Stunde nach Hause fahren, dann muss ich nicht die Straßenbahn nehmen!" durchaus denkbar. Als erfahrener Kunde gab ich jedoch die korrekte Antwort auf die implizite Frage (1), nämlich: "Nein danke! Ich schau nur!"
An diesem Punkt durchbrach er die Konventionen des Verkaufsrituals und zog sich nicht, wie erwartet, freundlich grinsend in eine Lauerhaltung hinter das nächste Regal zurück. Er blieb seitlich neben mir stehen und fragte mit unverhaltenem Enthusiasmus, ob ich die indirekte Beleuchtung auch so toll fände. Das sei nämlich eine revolutionäre Weiterentwicklung der Philips R&D Abteilung, das sogenannte ambient light oder ambilight, weil die meisten Menschen in verdunkelten Räumen das Problem hätten, von der hellen Lichtquelle des Fernsehers im Kontrast zur dunklen Umgebung visuell irritiert zu werden. "So ein durchschnittlicher Film dauert vielleicht zwei Stunden, aber wenn man sich z.B. die HERR DER RINGE Trilogie ansieht, dann sitzt man gut und gerne 5 bis 10 Stunden vor dem Fernsehgerät und dann sieht die Sache schon anders aus." In diesem Moment fiel mir erst auf, dass die indirekte Beleuchtung von den Fernsehgeräten selbst ausging. "Sehen Sie, wie sich die Beleuchtung farblich an das Bild anpasst?" Der junge Mann hatte recht: Kaum wurde die linke Hälfte des Schirms blau, leuchtete es auch schon bläulich aus den linksseitig integrierten Lampen. "Wenn Sie das mit dem Raum nebenan vergleichen, in dem der Hintergrund schwarz ist, dann sehen Sie gleich, wie angenehm das auf die Augen wirkt. Wenn man gestresst von der Arbeit nach Hause kommt und erschöpft vor dem Fernseher hinsinkt, dann will man sich doch entspannen. Die Hersteller wollen nur dabei helfen, die Bevölkerung zu beruhigen." Während ich verwirrt um Worte rang, zückte er eine Fernbedienung und stellte einen neuen Sanftsehmodus an einem der oberen Geräte ein. "Das absolute Spitzengerät", und dabei zeigte er auf eine Fotografie an der Wand, "haben wir leider nicht hier, aber da wird das Licht nicht seitlich an die Wand projiziert, sondern da leuchtet der gesamte Randbereich des Fernsehgeräts, also auch oben und unten." Dabei nickte er freundlich lächelnd, um seine Ausführungen zu unterstreichen und meinem zweifelnden Gesichtsausdruck entgegenzuwirken. "Wenn Sie noch irgendeine Frage haben?" Ich konnte mich nicht daran erinnern zuvor eine Frage oder ein optisches Kontrastproblem beim Fernsehen gehabt zu haben. Und dann fiel mir eine überraschende Parallele zwischen der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei Philips und der Forschung in den Geisteswissenschaften auf: beide produzieren überzeugende Lösungen für Probleme, die ursprünglich keiner hatte. Also bedankte ich mich sehr herzlich beim Juniorverkäufer für diese Einsicht und zog mich langsam zurück, während er an die nächsten Kunden herantrat, ein älteres Ehepaar um die fünfzig, und diese über ihre armen Augen aufklärte, sollten sie sich wieder ein triple feature vor schwarzem Hintergrund reinziehen.

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