Dienstag, 31. Mai 2005

CSI Miami

Liebe Krimifans!

Gestern sah ich mich aus reiner Höflichkeit gezwungen, die Folge "Würgemale" der Erfolgsserie CSI Miami auf ORF 1 mitzuverfolgen. Ich könnte jetzt völlig undifferenziert behaupten, dass es sich bei dieser Produktion um reinen Müll handelt und jeder überzeugte Fan sofort in die Geschlossene gehört, aber das würde dem Primat der Fairness widersprechen. Also präsentiere ich hier Argumente, zu denen man dann konkret Stellung nehmen kann. Des weiteren möchte ich ergründen, warum sich gerade weibliche ZuseherInnen und Zuseheressen so dafür begeistern können.

Wenn man Frauen nach einer Definition von Realismus fragen würde, käme unterm Strich raus: Wenn's in der Zeitung steht, ist es auch realistisch. Wahr ist, was real ist. CSI Miami ist deshalb besonders nah am Leben dran: Drogen, Prostitution, Mord, Erpressung, Perversion - kurz gesagt alles, womit sich die Frau von heute so rumschlagen muss (siehe Desperate Housewives). Tatsache ist, dass es keine andere Serie gibt, die in Bezug auf Handlung und Inszenierung konstruierter, steriler, und artifizieller wirkt als CSI Miami. So wie Bruckheimer seine Hollywood Blockbuster inszeniert, wird auch hier am Reißbrett mit Schablonen gearbeitet: Es ist völlig egal, ob jemand eine Hauptrolle oder eine Leiche spielt: alle wirken sie gleichermaßen unterkühlt, erkaltet, oder - im konkreten Fall - eingefroren, denn nur so wird man der raschen Zersetzung Herr. Genau genommen ist die Serie ja eine Diaschau, die von irrwitzigen Actionszenen unterbrochen wird, um dem leblosen Spiel den Anschein von Animation zu geben. Nach der spastisch inszenierten Ankunft eines Täters - der Ruckelstil scheint ein Markenzeichen der Serie zu sein-, verfolgt die Kamera die aus der ausgeschütteten Flüssigkeit aufsteigenden (und eigentlich unsichtbaren) Giftdämpfe in das Gehäuse eines Rekorders, in dem sich eine Kassette befindet, deren Tonband durch diese in Windeseile aufgelöst wird. Eine ännlich aufregende Kamerafahrt gibt es auch noch über das Gebiss des Opfers hinweg, wo dann der noch nicht durchgebrochene Weisheitszahn am Ende des Zahnbogens innerhalb des Zahnfleischs plötzlich sichtbar gemacht wird. Dies illustriert die soeben gemachte Feststellung, dass die junge Frau noch keine 18 ist, da ihre Weisheitszähne noch nicht durchgebrochen sind. Für das (amerikanische) Publikum geht man eben auf Nummer sicher. Im Prinzip ist CSI Miami nichts weiter als eine aufgepeppte Version von Derrick.
Krimis präsentieren die perfidesten Fantasiewelten überhaupt, denn sie gaukeln ständig Logik und Realismus vor. Die vom Zuschauer schlüssig nachvollziehbare Scheinkomplexität der Tataufklärung täuscht über die Tatsache hinweg, dass die Charaktere eindimensional sind (der böse Pornoproduzent, der üble Nachtclubbesitzer, die rachsüchtige betrogene Ehefrau, der perverse Einzelgänger etc.), die Zufälle fürchterlich konstruiert wirken (den Mitschnitt eines Gesprächs nicht gelöscht, DNA-Spuren am Tatort hinterlassen, viel Geld auf ein Konto überwiesen etc.) und die pünktliche Lösung aller Fälle nach exakt 40 Minuten mit Realismus rein gar nichts zu tun hat. Am Schluss schaltet man mit der Gewissheit ab, dass die Welt doch in Ordnung ist und die christlichen Werte der braven Mittelschicht immer Bestand haben.
Die Verbrechen und die zahllosen finsteren Gestalten aus der Unterwelt täuschen eben über die Tatsache hinweg, dass Krimis eigentlich furchtbar bieder sind. Wenn am Schluss das Pornostarlet den wackeren Polizisten schüchtern zum Date bittet, weil dieser - selbstlos wie er ist - das arme Mädel vor ein paar aufdringlichen Fans im Park geschützt hatte, möchte man vor Rührung fast auf die Bildröhre kotzen. Horatio, der Star der Truppe und Rivale seines unmittelbar Vorgesetzten, rät diesem, der noch dazu das Herz seiner angebeteten Kollegin für sich gewonnen hat, ihr keinen Champagner zu kredenzen, weil sie den eigentlich hasst und nur aus Höflichkeit trinken würde. Zu Recht fragt da der Boss: "Warum hast du mir das jetzt gesagt?" Da antwortet der selbstlose Held: "Weil ich will, dass sie glücklich ist." Dann geht er in den Leichenkühlraum, stützt den schweren Kopf auf die Hände und erträgt tapfer den Weltschmerz, während der Faserschmeichlersoundtrack auch noch dem letzten Idioten klar macht, dass das jetzt eine emotionale Szene ist, die jedem fühlenden Menschen die Gänsehaut über den ganzen Körper jagen müsste. Kotz, die zweite.
Baywatch und Charmed sind auch fürchterliche Serien, aber sie nehmen sich wenigstens selber nicht ernst. CSI Miami trieft hingegen vor Pathos. Am Schluss also meine Frage: Was macht den Reiz dieser Serie aus?

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Sonntag, 29. Mai 2005

Radlermode

Liebe Sportsfreunde!

Da niemand so fashion-conscious ist wie ich, fällt mir natürlich unentwegt auf, was die moderne Frau bzw. der moderne Mann von heute so trägt. Es ist anzunehmen, dass es meinen lieben Mitbürgern genau so geht und jedes Kleidungsstück sehr bewußt gekauft und getragen wird. Unter diesen Umständen ist das Phänomen der Radlermode als Anomalie zu werten.
Hier ist natürlich nicht die Rede von Sir Schwarzelots T-Shirts, die er beim Konsum eines Mixgetränks aus Bier und Limonade trägt. Noch möchte ich auf Teile meiner Verwandtschaft anspielen, die im Familiennamen als Sportler ausgewiesen sind. Es geht mir um jene Gruppe von Verkehrsteilnehmern, die mit steigender Temperatur wieder verstärkt unsere Straßen ziert. Dabei fällt auf, dass die Professionalisierung, insbesondere in Hinblick auf die Ausrüstung, auch vor dem Massensport nicht Halt macht. Wie in jedem anderen Betätigungsfeld ist für Herrn Otto Normalverbraucher mittlerweile das Beste gerade noch gut genug. Der beleibte Mitvierziger verläßt sich bei der Zusammenstellung des Equipments auf die selben Auswahlkriterien wie der magersüchtige Knabe, der dieses stupide, stundenlange Treten als Beruf ausüben darf. Am wichtigsten scheint ein krankhaft gestörter Sinn für Farbästhetik zu sein. Während der Rest der westlichen Gesellschaft die 80er Jahre als bekleidungstechnischen Supergau gerade noch mal überstanden hat, hält sich im Radsport diese optische Irritation noch immer als non plus ultra. Neben der rücksichtslosen Kombination von Neonfarben zu atemberaubenden, netzhautablösenden und somit waffenscheinpflichtigen Sehstörungen, fällt ein Umstand besonders auf: in keinem anderen Bereich gilt derjenige als Coolster, der über die Gesamtlänge der Veranstaltung ein rosa T-Shirt tragen darf. Seien wir einmal ehrlich: Wenn eine Gruppe erwachsener Männer den Großteil ihres Lebens dafür opfert, eines Tages dafür bejubelt zu werden, dass sie mit einem rosa T-Shirt bekleidet durch die Lande tingeln, dann läuft verdammt noch mal irgendetwas falsch. Aber nun zum zweiten Punkt.
Aus ergodynamischen Gründen tragen diese Burschen hautenge Klamotten, inklusive einer Radlerhose, die in den 80er Jahren in leicht veränderter Form (Leggings) einen triumphalen Einzug in die Hausfrauenmode hielt. Warum aber - Herr im Himmel steh mir bei! - fühlen sich nun viele schwergewichtige Mitmenschen dazu bemüßigt, der Retro-Fashion zu fröhnen und die Leggings wieder salonfähig zu machen? Da zwängen sich nach 20 Jahren Herr und Frau Österreicher wieder in Teile, die leider ihre Figur bestens betonen. Irgendwie erinnert mich das ja an Ostern. Da werden auch weiße, runde Formen mit einer bunten Farbschicht überzogen. Während die Eier als dekorative Fruchtbarkeitssymbole allgemein Anklang finden, bin ich mir bei meinen radfahrenden Landsleuten nicht so sicher.
Am Schluss muss ich noch eine Sache loswerden, die mir sehr am Herzen liegt: Fahrradhelme sehen scheiße aus. Es ist mir völlig egal, wieviel Sicherheit diese Schaumstoff- und Plastikauswüchse bieten, wenn einem der LKW über die Brust fährt: Tatsache ist, dass sie totally gay sind. Wenn meine 5-jährige Nichte ein Schwammerl auf dem Kopf trägt, ist das ja einzusehen, aber als erwachsener Mensch muss ich mich gegen so einen Wahnsinn wehren. Andererseits passen sie sehr schön ins Gesamtbild: Wer schwarze Leggings zum neongrünen Top trägt, braucht unbedingt noch eine künstliche Beule auf der Birne.

Samstag, 28. Mai 2005

Limericks

Liebe Freunde der bissigen Kleinkunst!

Limericks werden wegen ihrer Kürze und ironischen Ausrichtung nicht ganz ernst genommen. Dabei wäre ja genau das ihr Ziel. Jedenfalls haben viele wichtigte Schriftsteller Limericks verfasst. Zuerst einmal ein paar meiner persönlichen favourites:

"On the beach," said John sadly, "there's such
A thing as revealing too much."
So he closed both his eyes
At the ranks of bare thighs,
And felt his way trough them by touch.
(Isaac Asimov)

God's plan made a hopeful beginning,
But man spoiled his chances by sinning.
We trust that the story
Will end in God's glory,
But, at present, the other side's winning.

A handsome young gent down in Fla.
Collapsed in a hospital ca.
A young nurse from Me.
Sought to banish his pe.
And shot him. Now what could be ha.?

There was an old fellow of Lyme,
Who lived with three wives at a time.
When asked: "Why the third?",
He replied: "One's absurd,
And bigamy, sir, is a crime."

A scribe to the vulgar inclined,
Wrote a play more gross than refined,
With words, all four-letter:
Hips, nips, tits, and better
Like those that have just crossed your mind.

Und hier noch ein paar von mir:

The English department as such
Is badly in need of a crutch.
No fire, no spunk,
Titanic – half-sunk.
Thank God I am studying Dutch.

A linguist's approach to a text
Leaves sensitive souls quite perplexed:
"At first a few cuts —
Then tear out the guts —
This patient is dead. Who is next?"

A gullible lady from Gloucester
Was tricked by a fiendish impoucester.
She's hated since then
The sight of all men
And shot the poor fellows that croucester.

A jealous young husband from Leicester
Mistrusted his wife. So to teicester
He hired two men
Who time and again
Confirmed all his fears and undreicester.

Eccentric you may call my aunt
Who thought that her goldfish could chant.
In buddhist attire
She dressed the whole choir
And got them for Oxford a grant.

There was a young man from Virginia
Whose perception of time was not linear.
While dining at home
And passing through Rome
He was flirting with girls on Sardinia.

Freitag, 27. Mai 2005

Lesetechnik

Liebe Tafelklassler!

Vermutlich kennt das schon jeder, aber für all diejenigen, die keine Bekannten haben, die einen laufend mit irgendwelchen attachments zumüllen, kommt hier nochmals der "neueste" Forschungsstand in Bezug auf das Lesen:

Gmäeß eneir Sutide eneir elgnihcesn Uvinisterät, ist es nchit witihcg in wlecehr Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wrot snid, das ezniige was wcthiig ist, ist dsas der estre und der leztte Bstabchue an der ritihcegn Pstoiion snid. Der Rset knan ein ttoaelr Bsinöldn sien, tedztorm knan man ihn onhe Pemoblre lseen. Das ist so, wiel wir nciht jeedn Bstachuebn enzelin leesn, snderon das Wrot als gseatems.

Wer hätte das gedacht?

Donnerstag, 26. Mai 2005

Arschgeweih

Liebe Bauchfreimodenbenutzerinnen!

Aus aktuellem Anlass unterbrechen wir unser Programm und senden einen Artikel der ZEIT aus dem Vorjahr:

Rückansicht

Vor einigen Tagen habe ich beim Zeitunglesen ein neues deutsches Wort gelernt. Es klingt jetzt erst mal ein bisschen vulgär. Ich vermute, dass dieses Wort noch niemals in der ZEIT gestanden hat. Es lautet: Arschgeweih. Es gehört zum modernen Leben von heute dazu. Ich setze mich momentan geistig damit auseinander.

Als Arschgeweih werden in der Umgangssprache Tätowierungen knapp über dem Steißbein bezeichnet. Sie sind in der Regel geschwungen wie Flügel oder verschnörkelt wie die Geweihe größerer Huftiere.

Der Fachpresse habe ich entnommen, dass eine Tätowierung in der Vertikalen mindestens doppelt so lang sein muss wie in der Horizontalen und annähernd Kreuzform besitzen sollte. Nur dann handelt es sich nach den Regeln des Bundesverbandes der Gesäß- und Schenkeltätowierer um ein deutsches Arschgeweih im klassischen Sinn. Alles andere seien Scheinarschgeweihe oder gar Arschgeweihimitate aus Billiglohnländern.

Die traditionellen geschlechtlichen Rollenmodelle gelten in vielerlei Hinsicht als überwunden. Das Tragen von Arschgeweihen aber ist in unserer Gesellschaft immer noch weitgehend Frauensache. Das Geweih gilt als ästhetische Folgeerscheinung der Bauchfreimode. Wenn man nämlich vorne den Bauch frei lässt, bleibt nach den Gesetzen der Natur auch hinten der Rücken frei. Vorne in den Bauchnabel kommt bei der Bauchfreimodenbenutzerin als Highlight in der Regel ein Piercing hinein. Hinten sitzt als Backhighlight das Geweih.

Nach meiner Beobachtung haben solche Geweihe neben ihrer schmückenden und ihrer sexuell anregenden Funktion auch die Aufgabe, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu signalisieren, ähnlich wie die Gesichtstätowierungen von Kriegern bei Naturvölkern. Wer zum Beispiel eine Soziologieprofessorin oder eine Ethnologin entkleidet, wird in der Endphase des Entkleidungsvorgangs nur in den seltensten Fällen auf geweihartige Fundstücke stoßen. Ganz anders sehen die Chancen aus, wenn es zur Entkleidung einer Auszubildenden im Friseurhandwerk kommt oder der aktuellen Freundin von Oliver Kahn.

Die Geweihträgerin bekennt sich, vereinfacht gesprochen, zu einer dezidiert antiakademischen und mehr praktisch orientierten Lebensweise. Sie verweigert sich dem permanenten Weiterbildungs- und Theoriedruck der Moderne. Geistesgeschichtlich gesehen, gehört das Arschgeweih also in den Kontext der Globalisierungskritik.

Jäger sammeln Geweihe. Deswegen liegt die Vermutung nahe, dass es im Männermilieu inzwischen einen neuen Typus von Geweihsammlungen gibt. Man muss die Geweihe bloß unauffällig fotografieren. Man könnte sie rahmen und aufhängen oder die Fotos in Alben kleben, die man bei Herrenabenden gemeinsam betrachtet oder tauscht.

Bei meinen Recherchen im Internet aber habe ich nichts dergleichen entdeckt. Stattdessen wird, wer den Begriff eingibt, auf eine Seite geleitet, wo bärtige Rockertypen T-Shirts mit dem Aufdruck »Keine Macht dem Arschgeweih« anbieten. Das A. scheint speziell bei Rockern extrem angst- und unlustbesetzt zu sein. Vielleicht sind es Sexualängste. Aber mit Rockern kenne ich mich nicht so aus.

(c) DIE ZEIT 27.05.2004 Nr.23

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Dienstag, 24. Mai 2005

Konserven

Liebe Selbstversorger!

Will man Lebensmittel länger haltbar machen, muss man sie einem technischen Verfahren unterziehen, das die Geschmacksstoffe erhält. Will man Momente eines menschlichen Lebens bewahren, muss man sie einem künstlerischen Verfahren unterziehen, das die emotionale Glaubwürdigkeit der Situation erhält. Kunstwerke sind somit nichts anderes als Konserven. Positiv gesehen erweitert Kunst unser Wahrnehmungs- und Empfindungsspektrum, indem wir an Lebenssituationen und Emotionen teilhaben dürfen, die wir im richtigen Leben niemals erfahren würden. Negativ gesehen kommen diese Erfahrungen aber aus der Konserve, sind also künstlich aufbereitet und somit nicht echt.
Wir sind jedoch nicht nur Konsumenten, sondern auch Produzenten von Künstlichem: Tagebucheintragungen, Blogs, Fotoalben, (Amateur)filme, G'schichtln, Gerüchte, Briefe, E-Mails, Lieder etc. Ständig bereiten wir Erlebnisse für kommunikative Zwecke und auch die Erinnerung auf, indem wir sie den Konventionen verschiedener Genres entsprechend verformen. Oft kommt uns die Kunst realer vor als tatsächlich Erlebtes. Wir verbringen jeden Tag Stunden damit, Konserven aufzuspüren, zu konsumieren und zu produzieren.
Wieviele Ereignisse eines Tages sind echt und nicht in irgendeiner Form second-hand? Selbst im direkten Kontakt mit Personen dreht sich oft alles um Konserven: frühere gemeinsame Erlebnisse, Berichte von eigenen Erfahrungen und Reaktionen, Meinungen zu allen möglichen Dingen etc. Alles wird durch den Kommunikationsvorgang bereits aufbereitet. Was bleibt nach dieser Logik noch über? Unmittelbar erlebte Sinneseindrücke und Emotionen, die in ihrer Direktheit keiner Vermittlung bedürfen. Oft werden wir ihrer gar nicht mehr gewahr, unterdrücken sie oder überdecken sie mit stärkeren Eindrücken aus der Konserve. Oft geht uns jeder Sinn für Echtheit verloren und wir leben nur mehr in der Matrix, der täuschend echten Illusion. Und dann gibt es doch diese seltenen Momente, die wir um jeden Preis festhalten wollen: die Gegenwart einer bestimmten Person, ein Naturerlebnis, ein flüchtiger Augenblick voll Perfektion. Zum Glück sind wir meist mit dem Sekundären, mit der Konserve, zufrieden. Ein bisschen liegt es aber auch an uns, das Unmittelbare zuzulassen.

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Montag, 23. Mai 2005

Episode III - Deranged as the Sith

Liebe Jediritter!

"The general opinion of 'Revenge of the Sith' seems to be that it marks a distinct improvement on the last two episodes, 'The Phantom Menace' and 'Attack of the Clones.' True, but only in the same way that dying from natural causes is preferable to crucifixion." (Anthony Lane, The New Yorker, 23 May 2005)

Episode III ist "eine Niere ohne Reh, eine Ente ohne Xylophon, eine Irrfahrt ohne Schnecken". Besser als mit Ernst Jandls Worten ("Prosa aus der Flüstergallerie") lässt sich der Film wohl nicht beschreiben. Es mag ja sein, dass Schorsch "Hau den" Lucas bei diesem Racheakt einige Fehler der ersten beiden Teile vermieden hat, aber seine unverkennbare Handschrift zeigt sich auch jetzt noch in jedem Detail. Vielleicht sollte ich ein paar Beispiele bringen:

Der opening crawl von REVENGE liest sich folgendermaßen:

Episode III
REVENGE OF THE SITH

War! The Republic is crumbling under attacks by the ruthless Sith Lord, Count Dooku. There are heroes on both sides. Evil is everywhere.
In a stunning move, the fiendish droid leader, General Grievous, has swept into the Republic capital and kidnapped Chancellor Palpatine, leader of the Galactic Senate.
As the Separatist Droid Army attempts to flee the besieged capital with their valuable hostage, two Jedi Knights lead a desperate mission to rescue the captive Chancellor....

Vielleicht fehlt mir der Blick für die komplexen semantischen Nuancen dieses Prologs, aber selbst dem linguistischen Laien drängt sich hier der Verdacht auf, dass die Republik ums Überleben kämpft und die Situation ziemlich ausssichtslos ist. Aber weit gefehlt. Die ersten Einstellungen stürzen den Zuseher in ein Chaos optischer Eindrücke, in dem man nur die Silhuetten einiger Großraumschiffe und zahlreiche Explosionen ausmachen kann. Lucas hat jeden Quadratzentimeter mit Animationen zugekleistert, deren Dichte selbst der MTV Generation keine Chance gibt, irgendetwas zu erkennen. Anakin und Obi-Wan sind wie immer die Ruhe selbst. Die "desperate mission" scheint gar nicht so aussichtslos zu sein, da den beiden ohnehin alles gelingt. Das wirklich Unfassbare aber ist, dass Lucas diese Anfangsminuten als Droidenoperette inszeniert. Als Gegengewicht zum traurigen Ende lässt er hier ein paar Roboter herumkasperln, damit der Beginn nicht gleich zu düster wird. Wurde uns die Situation nicht gerade als dramatischer Überlebenskampf beschrieben? Andererseits waren Sklaverei und Tyrannei in Episode I auch halb so schlimm. General Grievous (aka Hustinettenbär) ist für sich genommen durchaus originell, verstärkt aber durch seine Anwesenheit nur den Absurditätsgrad dieser Sequenz.
Seit WARS und EMPIRE hat Lucas zunehmend vergessen, dass Actionszenen (hier: Krieg) erstens ordentlich in die Rahmenhandlung integriert werden müssen, zweitens irgendein Ziel brauchen und drittens mehr Bedeutung gewinnen, wenn echte Menschen (nicht Roboter, Klone, Ewoks, Gungans, Wookies etc.) darin verwickelt sind. Der moderne Begriff "set piece" für eine solche Sequenz drückt das Problem perfekt aus: sie wird wie ein selbständiges Modul einfach in den Film reingeschoben. REVENGE hat zahllose solcher Szenen, die dem Zuseher sagen: "Aufgepasst! Ich sehe verdammt cool aus!" Da möchte man dann gerne antworten: "Natürlich siehst du cool aus, aber du bist es einfach nicht!" Niemand hat den Unterschied zwischen cool und uncool besser herausgearbeitet als die Schwachkopfskis in MATRIX mit den Teilen 1 und 2/3. Lucas steht ihnen da in nichts nach.
Ich könnte mich jetzt noch eine Zeit lang über die Unglaubwürdigkeit einiger Szenen und den fehlenden Fokus in der Erzählweise auslassen, aber im STAR WARS Kontext ist das eher müßig. Jeder fliegt herum und keiner weiß warum. Insgesamt ist der Film trotz allem unterhaltsam, aber letztendlich belanglos. Der große Endkampf ist fetzig inszeniert, verliert aber sofort wieder an impact, wenn dieser verdammte Hebammendroid die Zwillinge auf die Welt bringt. Muss sich die sterbende Amidala wirklich die Kinder von einem grün- und blauäugigen Roboter rausziehen lassen? Diese Einstellung zeigt mehr als alles andere, dass Lucas den Kontakt zum Menschsein völlig verloren hat und nur mehr der steril-klinischen Oberfläche huldigt.

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Dienstag, 17. Mai 2005

Stress pur

Liebe Hektikers!

Lasst mich mal mit einer Definition beginnen: Stress ist die als externer Lebensumstand deklarierte und zelebrierte Unfähigkeit, die eigene Zeiteinteilung in den Griff zu bekommen. Ist man mal ehrlich zu sich selbst und glaubt vorrübergehend einmal nicht an die große Lüge unserer Zeit, dass jeder ununterbrochen unter Druck steht und nicht mehr weiß, wie er alles unter einen Hut bringen soll, dann stellt man relativ schnell fest, dass man noch immer sehr, sehr viel Freizeit hat. Diese wird dann im großen Stressmythos als Ausnahme von der Regel beschrieben: Am Wochenende konnte ich nicht aus, denn da war eine Familienfeier. Am Montag gehe ich laufen, denn ein bisschen Ausgleich braucht der Mensch. Am Dienstag habe ich ausnahmsweise ferngesehen. Das habe ich einfach gebraucht. Am Mittwoch hat ein Bekannter angerufen und da konnte ich dann auch nicht nein sagen. Am Donnerstag war das Wetter so schön, da musste ich mich fast raussetzen. Am Freitag, nach einer ganzen Woche Arbeit, habe ich mir einen Drink mehr als verdient.
Und trotzdem beteuern wir bei jeder Gelegenheit, dass wir keine freie Minute haben, weil die nächste Prüfung oder der nächste Abgabetermin unaufhaltsam näherrückt. Deshalb gibt es auch einen fundamentalen Unterschied zwischen Zeit haben und sich Zeit nehmen: Zeit hat praktisch nie jemand, aber Zeit nehmen könnten wir uns trotzdem.

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Sonntag, 15. Mai 2005

Sie rollen wieder!

Liebe Heimatverbundene!

Der Donnerstag ist ein ganz besonderer Tag für mich. Da schließe ich meine Augen, lausche dem wohligen Rattern kleiner Plastikrädchen und fühle mich wie am Flughafen, wenn eine Gruppe Japaner mit ihrem Gepäck vorüberrollt, um im Duty Free Laden noch schnell 512 GB Speicherkarten für ihre fingernagelgroßen Kameras zu kaufen. Urlaubsstimmung pur!
Wem verdanke ich aber diese Flucht in den donnerstäglichen Tagtraum? Natürlich meinen lieben Landsleutinnen. Nach endlosen 72 Stunden in der Fremde beginnen die halb verhungerten Körper dieser leidgeprüften Studentinnen bereits in aller Herrgotts Früh voll freudiger Erwartung zu beben. Schon am Mittwoch hat man den modernen Flugreisekoffer gepackt oder sich die Arbeit erspart, indem man ihn wegen der Kürze des Aufenthalts erst gar nicht ausräumte. Dabei malt man sich im Kopf schon das große Wiedersehensfest aus, das da jede Woche aufs Neue zelebriert wird, wenn die geliebte Tochter, Schwester, Freundin aus der unwirtlichen Großstadt in den Schoß des Dorfes und der Familie zurückkehrt.
Um sich auch noch die halbe Stunde nach dem letzten Kurs zu sparen, die man sinnlos mit einer Rückkehr ins Studentenheim vergeuden würde, zieht man lieber einen Dreivierteltag lang einen beräderten Kasten hinter sich her, der dann adrett in Bussen, Hörsälen und Gängen vorübergehend geparkt, oder beschwingt durch größere Menschenmassen hindurchmanövriert wird. Um 14.30 Uhr ist man dann endlich von allen akademischen Drangsalierungen erlöst. Zwischen Ausgang und Bushaltestelle bildet sich dann in Windeseile eine rollende Landstraße, die der ÖBB Direktion vor Neid die Tränen in die Augen treiben würde. Apropos Tränen: Jene des Leids mischen sich im Zug mit jenen der Freude, wenn die geliebte Heimat beständig näher rückt. Die nicht vergehen wollenden Minuten schlägt man geschickt mit Telefonaten tot, die der Ankündigung des eigenen alsbaldigen Erscheinens dienen.
Vier Tage verbringt man dann im Paradies, um am Montag Nachmittag tränenüberströmt der am Bahnsteig versammelten Familie vom Zug aus zuzuwinken. Haltet mich nicht für einen herzlosen Menschen: Ich habe für Montag Nachmittag schon längst ein Stofftaschentuch besorgt, weil meine Tränen des Mitgefühls jede Papiervariante bis zur Unkenntlichkeit durchweichten.

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Donnerstag, 12. Mai 2005

Carnivàle - ein Nachruf

Liebe Varietékünstler!

Der Zirkus hat geschlossen! Die Zelte werden abgebrochen! Nach nur zwei Staffeln hat sich HBO dazu entschlossen, eine der interessantesten Serien der letzten Jahre nicht mehr zu erneuern.
Die technische Brillanz der Produktion steht ohnehin außer Frage: Carnivàle erhielt bei den letzten Emmy Awards im September 2004 5 Trophäen im Bereich Creative Arts, unter anderem für Cinematography. Seit es High Definition und Widescreen nun auch für Serien gibt, sehen viele Produktionen hervorragend aus, aber Carnivàle ist die Krönung. Alleine die Konsistenz in der stark reduzierten Farbpalette ist eine Meisterleistung. Viele Einstellungen könnte man ohne Bedenken rahmen und an die Wand hängen.
Nachdem ich mittlerweile süchtig nach Jeff Beals Soundtrack bin, bleibt mir sowieso nichts anderes übrig, als diesen besonders hervorzuheben. Schon in der Pilotfolge fiel mir auf, dass die Musik perfekt zur Serie passt. Den wirklichen Ausschlag gab aber der Schluss der siebten Folge: "The River". Brother Justin muss darin akzeptieren lernen, dass er schon als Kind diabolische Fähigkeiten hatte und seine Schwester davon wusste. Am Ende ruft er Iris an und konfrontiert sie mit dieser Tatsache. "Justin Calls Iris" klingt auf dem Soundtrack schon ziemlich schaurig-schön, aber in Kombination mit dem Film, wenn man eine Stunde lang seine Tortur miterlebt hat, ist es einfach eine Wucht.
"The River" ist für mich sowieso der Wendepunkt der Serie. Davor versuchen die beiden Gegenspieler verzweifelt ihrer Vorherbestimmung zu entrinnen. Der Zuseher wird mit äußerst schrägen Charakteren und unverständlichen, ominösen Begebenheiten und Visionen konfrontiert, die auf die Vergangenheit, aber auch auf kommende Ereignisse verweisen. Kennt man alle Folgen, versteht man auch, warum dieser Anfang gewählt wurde. Hier liegt aber vielleicht auch das große Problem der Serie: Beim ersten Ansehen ist man fast überfordert und muss sich durch die ersten Folgen hindurchkämpfen. Ben und Justin sind nicht gerade Identifikationsfiguren und die Zeichen und Wunder verwirren einen in dem Maße, wie sie einen anziehen. Bleibt man aber dran, wird man langfristig mehr als belohnt.
Carnivàle ist eine komplexe Geschichte, die wie keine andere den Zuseher herausfordert. Während Revelations, das wegen inhaltlicher Parallelen noch am ehesten als Vergleichsmaßstab dient, auf einfache Schwarz-Weiß-Zeichnung setzt und mit plakativen "revelations" punktet, ist Carnivàle viel subtiler. Die langsame Entwicklung der Charaktere zu beobachten ist definitiv anstrengender als ein Feuerwerk von Wundern präsentiert zu bekommen.
Ich werde Carnivàle auf jeden Fall vermissen. Vielleicht geschieht ja noch ein echtes Wunder und HBO ändert seine Meinung. Wäre nicht die erste Serie, die von den Toten wieder aufersteht.

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Mittwoch, 11. Mai 2005

Sauna Belt

Liebe Teleshopper!

Ich bin untröstlich, denn der SAUNA BELT ist ausverkauft! In einer Geste karitativer Großherzigkeit trieb sich die Firma Velform finanziell fast in den Ruin als sie das ohnehin schon sensationelle Angebot von nur EUR 79,- für einen SAUNA BELT nochmals überbot: Statt einem SAUNA BELT um sagenhafte EUR 79,- bekam man nun einen zweiten SAUNA BELT plus ein kostenloses Maßband zum selben Preis dazu. Also zwei SAUNA BELTS zum Preis von einem! Da liefen natürlich die Telefone heiß und binnen zwei Stunden war die Lagerhalle ausverkauft. Damit ihr selbst beurteilen könnt, welches Spitzenprodukt euch da durch die Lappen gegangen ist, bekommt ihr hier nochmals die volle Information:



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Das wäre ihr Preis gewesen! Jetzt heißt es die Zähne zusammenzubeißen und die Tränen zu unterdrücken! In dieser schweren Stunde habe ich aber auch eine gute Nachricht: In den Velform Laboratorien wird bereits an der nächsten Generation des SAUNA BELTS geforscht. Den gibt es dann um schlappe EUR 199,- mit kostenlos Bratpfannenset und Friteuse.

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Dienstag, 10. Mai 2005

Wollt ihr das totale Engineering?

Liebe Systemkritiker!

Als ich im Winter 2000 5 Monate in Granada studierte und im Übersetzungskurs Artikel aus der ZEIT ins Spanische übertragen musste, stolperte ich in der Ausgabe 52/2000 über einen Aufsatz von Botho Strauß mit dem Titel "Wollt ihr das totale Engineering", von dem ich mich auf eine ganz außergewöhnliche Art und Weise angesprochen fühlte. Man könnte sagen, dass ich Strauß eine Zeit lang fast religiös verehrte. Er ist ein kompromissloser Verfechter der Hochkultur, der nichts als Verachtung für unsere Zeit übrig hat und das Außenseiterdasein als Flucht vor dem Wahnsinn der breiten Masse zelebriert. Obwohl ich heute nicht alles unterschreiben würde, was der gute Mann so von sich gibt, steht trotzdem zweifellos fest, dass er entscheidend zu einem Richtungswechsel in meinem ganzen Denken beigetragen hat. Und da soll noch einer behaupten, dass Literatur nichts bewirkt! Ich möchte einfach ein paar Zitate wiedergeben, die ich persönlich für total genial halte. Man muss sich halt die Mühe machen, die Sätze länger zu bedenken. Ihr könnt ja dann gerne euren Senf dazu geben:

Fortschritte machen beim Sichern der eigenen Begrenzung.

Der artifizielle Mensch hat die Welt der Artefakte hinter sich gelassen. Ein Künstlicher braucht keine Kunst zu schaffen. Seine Werke könnten ihm niemals mehr zurückgeben, als er ist. Großartig ist seine Hinterlassenschaft, sie ehrt den Davongezogenen.

Das Globale ist uns längst vertrauter als das Häusliche. Im herdlosen Raum wächst nun das Fernweh nach vertrauten Verhältnissen.

Die amusische Intelligenz hat seit je einen großen Bedarf an Fremdbestimmung.

Das Gefühl des Scheiterns, zu tief verschüttet unter den Trümmern des Gelingens.

Das Fehlen jeglicher Abschiedsstimmung zeigt an, wie wenig wir noch spüren von dem, was wir nicht mehr sind.

Wir erleben jetzt die Stunde, die niemals kommt. Die Entwurfserfahrung ist der eigentlich virtuelle Gehalt der neuen Technik. Früher war, was der Fall ist. Heute ist, was wird.

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Samstag, 7. Mai 2005

Philodudisten

Liebe Dudes!

So darf man wohl die Philodudisten oder Freunde des Duden und der sprachlichen Reinheit adressieren. Als Salvatoren lingualer Orthodoxie echauffiert sie die progressive Appropriation extraner Termini für die endemische Praxis. Indubitabel irritiert primär der Influx anglophoner Vokabel, die via globale Inkulturation nativer Adoleszenten die autochthone Lingua infiltrieren und korrumpieren. Im Thesaurus der Extranismen, einem von der Edition Duden (!) kompilierten Diktionär adoptierter Vokabel und Neologismen diverser Säkula, rangieren Latinismen neben Anglizismen. Ergo resultiert eine Äquidistanz in der Gradation der Register zwischen kultiviert-szientifischem Diskurs, dem juvenil-anglophilen Soziolekt und der deutschen Normalsprache. Fazit: Zwischen Elfenbeinturm und Straße, zwischen Uni und Bierzelt, zwischen "Die Zeit" und "Bravo" muss es irgendwo noch die deutsche Sprache an sich geben. Oder sie ist einfach ein Gravitationszentrum ohne Substanz, um das unendlich viele Varietäten kreisen.
Was wollte ich eigentlich ursprünglich sagen? Ach ja, ich habe mir heute das große Duden Fremdwörterbuch gekauft. 1500 Seiten vollgepackt mit obskuren Wörtern und Wendungen. Wenn ihr eigentlich lieber alleine seid und euch unter anderen Leuten unwohl fühlt, nennt man das z.B. latente Exanthropie. Nur damit ihr Bescheid wisst.

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Donnerstag, 5. Mai 2005

Napalm Award

Liebe Brandstifter!

In der psychologischen Kriegsführung im sozialen Umfeld gibt es keine höhere Auszeichnung als den Napalm Award. Dafür versucht man in einer ohnehin schon angespannten bzw. brisanten Situation mit einem einzigen, wohlplazierten Satz einen Flächenbrand auszulösen, der dann stundenlang lodert.
Dabei gibt es 6 Qualitätsmerkmale:

1) Eine relativ friedliche Ausgangssituation.
2) Die subtile Manipulation des Gesprächsverlaufs in eine bestimmte Richtung.
3) Das geduldige Abwarten des exakt richtigen Moments.
4) Die beiläufige, total unschuldige Präsentation der Bombe in einem Nebensatz.
5) Die Kürze und Brisanz des Satzes.
6) Die Lautstärke und Dauer der Auseinandersetzung.

Manchen Menschen ist diese Fähigkeit angeboren und selbst mit jahrelangem harten Training kommt man nicht an die Meisterschaft heran, die diese Individuen geradezu instinktiv betreiben. Die ganze Sache hat natürlich einen Haken. Die betroffenen Kleingeister sehen nicht die Ironie, die darin besteht, dass sie sich durch einen einzigen Satz zu so einem Schwachsinn hinreißen lassen. Deshalb sollte man den anderen Eingeweihten den Satz im entsprechenden Moment ins Ohr flüstern und die Lorbeeren nicht in der Heftigkeit des Streits, sondern in der Anerkennung der anderen Preisanwärter suchen.
Anfänger sollten mit einfachen Übungen wie dem "Frontwechsel" beginnen. Dabei versucht man innerhalb derselben Diskussion die Fronten zu wechseln, indem z.B. eine Person der eigenen Gruppe, die anfangs noch gut dastand, am Schluss auch noch eine abkriegt.
Für Fortgeschrittene eignet sich das "Gerüchteimplantat". Dabei verbreitet man im Gespräch mit einer Person aus dem Freundeskreis über einen gemeinsamen Bekannten so subtil ein harmloses Gerücht, dass der Gesprächspartner die Andeutung nur unbewußt wahrnimmt. Diese Vermutung muss dann intermittierend verstärkt werden, indem man weitere Hinweise liefert, die in dieselbe Richtung deuten. Ohne jemals die Sache klar ausgesprochen zu haben, implantiert man somit eine Lüge im Bewußtsein des Gegenübers, die durch die Anhäufung von Scheinbeweisen immer mehr zur Gewissheit wird.
Ich spreche hier natürlich nicht aus eigener Erfahrung und warne jeden Leser davor, diese Dinge auszuprobieren. Meinem Volksbildungsauftrag gehorchend muss ich aber auch solche Themen anschneiden.

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Mittwoch, 4. Mai 2005

Kaffeeautomat

Liebe Freunde der schwarzen Bohne!

45 Cent kostet ein Kaffee aus dem Automaten. Das klingt nach nicht viel, ist aber in Retrogeld 6,15 Schilling und summiert sich trotzdem im Laufe einer Woche. Ich persönlich trinke ja lieber Earl Grey Royal aus Demmers Teehaus in Wien. Auf der Packung steht da geschrieben: "Erstklassiger Ceylon-Tee mit Bergamotte-Aroma und Jasminblüten. Die Krönung aller Earl Greys". Das ist zwar gelogen, aber ich bin trotzdem süchtig nach dem Zeug.
Da Jean Luc Picard auf der Enterprise auch nur Earl Grey zu sich nahm / nehmen wird (Star Wars spielt wenigstens "vor langer, langer Zeit", aber Star Trek ist gleichzeitig Vergangenheit und Zukunft. Für leidige zeitbezogene Debatten verweise ich hier lieber auf das Föderationsbüro für Temporale Investigation.), kann sich mein Geschmacksempfinden nicht fundamental irren. Sind dem guten Jean Luc durch den überzogenen Teekonsum eigentlich die Haare ausgefallen? Ich fürchte ich steuere mit diesem Blogeintrag auf eine klassische Themenverfehlung hin. Von Kaffee zu Tee zu Star Trek. Also zurück zum Anfang. Wie bei allen guten Drogen, wird auch hier nur in Gramm gedealt. 100 Gramm Earl Grey kosten 5 Euro. Wenn man sich von Twinings 50 Teebeutel zu je 2 Gramm kauft, zahlt man für dieselbe Menge mehr, dafür schmeckt der Tee schrecklich (disgusting, isn't it?). Apropos "disgusting": Ging's vor langer Zeit nicht mal um Automatenkaffee?
Ich hatte ja schon ein paar Mal das Vergnügen, den Kaffeeautomaten von innen bestaunen zu dürfen. Am ehesten sieht das wie das androide Innenleben von Bishop in den Alienfilmen aus: klebrige Plastikschläuche, durch die sich zähflüssige Brühen quälen. Oben ein paar Behälter mit Pulvermischungen, unten ein schwarzer Kübel, in dem alles zusammenläuft, das nicht den Weg in die kleinen Plastikbecher findet. Wie würde dieses Gebräu wohl schmecken? Wenn man nach der großen Party frühmorgens die Bar abschreitet, in ein leeres Glas ohne lange herumzufackeln alle Getränkereste kippt und sich mit Todesverachtung die Suppe reintrichtert, dann erlebt man vermutlich die selbe geschmackliche Explosion, eine Gaumenfreude, an die sich auch der Magen bis zu seinem Austritt erinnern wird.
Was die meisten Studenten natürlich nicht wissen ist, dass jeder Mitarbeiter mit Dienstantritt die geheimen Zahlenkombinationen für den Automaten erfährt. Während man als Assistent noch billigen Dallmayr Prodomo schlürfen muss, trinken die Professoren nur mehr handgepflückte kolumbianische Hochlandspezialmischungen. Damit sich die Fachbereiche dieses Service leisten können, werden die Studenten mit selbstgemachtem Kaffeepulver aus den NaWi-Labors vergiftet, für die sie auch noch heftig Geld einwerfen müssen. Damit das akademische Fussvolk nicht rebelliert, mischt man zur Sicherheit noch ein paar Tranquilizers rein. Das ist natürlich alles streng vertraulich und muss unter uns bleiben.

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Montag, 2. Mai 2005

Papa Joe

Liebe Christen!

Ich habe am Wochenende Papst Benedikts des XVI (aka Kardinal Ratzinger oder Ein Bayer in Rom) letztes Buch "Werte in Zeiten des Umbruchs" (Herder, 2005) gelesen. Darin sind Reden und Vorträge aus den letzten 13 Jahren versammelt, wobei der Großteil jüngeren Datums ist. Vielleicht zuerst die frohe Botschaft: Der Papst scheint es mit der Ökumene tatsächlich ernst zu meinen. Das ganze Buch über spricht er von den Christen und die "heilige katholische Kirche", an die wir alle laut Glaubensbekenntnis glauben sollen und wollen, meint dann vermutlich nicht exklusiv uns Katholiken, sondern auch die Ketzer und Kirchenspalter, die des Nächtens junge Kätzchen strangulieren und des Nachbarn Brunnen vergiften (aka die Evangelischen, Protestanten, Freikirchler, Ostkirchler, Pfingstbewegten, Pfadfinder, Original Oberkrainer, Sandalenträger, Strohsternbastler, Maoisten, Jar-Jaristen, Kubisten, Organisten, Dadaisten und wie sie alle heißen). Kurz gesagt: Er relativiert den katholischen Totalanspruch. Die meisten Kommentare zur modernen Gesellschaft und zur Europapolitik kann man auch alle nachvollziehen.
Wo er mich aber argumentativ im Regen stehen läßt ist beim Gewissen. Er stellt völlig logisch dar, dass das eigene Gewissen nicht die höchste Instanz sein kann, weil jeder Mensch immer wieder aus vollster Überzeugung falsch handelt und erst nachher erkennt, was er für einen Mist gebaut hat. Man kann eben seiner eigenen Subjektivität nicht entfliehen. So weit, so gut. Als logische Konsequenz braucht man daher die katholische Kirche als guide, damit man die richtigen Entscheidungen treffen kann.
Besteht aber die katholische Kirche nicht auch aus lauter Individuen, die ihrer Subjektivität nicht entfliehen können? Woher nimmt der Papst oder irgendein anderer Kirchenvertreter die absolute Wahrheit? Haben all die Kirchenführer der letzten 2000 Jahre deshalb Recht, weil sie sich auf ein System geeinigt haben? Dabei sagt Ratzinger selbst, dass die Mehrheit in einer Demokratie nicht automatisch Recht hat. Woher weiß die katholische Kirche also, dass sie auf dem richtigen Weg ist?
Wo er sich auch auf Glatteis begibt ist beim gerechten Krieg, z.B. gegen Deutschland im zweiten Weltkrieg, wobei dieser Fall ja noch halbwegs einleuchtet. Wo zieht man aber die Grenze? War der Bombenkrieg gegen Zivilisten auch noch okay? Wer entscheidet, ob und unter welchen Umständen ein Krieg gerecht ist? Man darf hier nicht vergessen, dass die Kirche Abtreibung als Mord sieht. Warum sind abgetriebene Zellhaufen und Föten unverzeihlich, während im gerechten Krieg zwangsweise Opfer in Kauf genommen werden müssen?
Man darf sich also keine große Liberalisierung der Lehre erhoffen. Wenn er aber die Sache mit der Christian community hinbekommt, dann ist warscheinlich für seine Amtszeit schon genug geschehen.

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Sonntag, 1. Mai 2005

U-Markt

Liebe Freunde des Volksfestes!

Als letzten Verfechter des Brauchtums verschlug es mich wie selbstverständlich dieses Wochenende auf den Urfahraner Jahrmarkt. Damit ist eine traditionsreiche Gewerbemesse samt Rummel gemeint, die schon seit Jahrzehnten das Herz der Linzer höher schlagen läßt. Also näherte ich mich, von Nostalgie ergriffen, dem weitläufigen Areal am nördlichen Donauufer, wo diese wandernde Kleinstadt der gepflegten Unterhaltung zweimal jährlich ihr Zuhause findet. In der abendlichen Dämmerung bot sich mir ein Lichtermeer dar, das selbst einem abgeklärten Zyniker wieder das Staunen zu lehren vermag.
Alles ist Bewegung. Selbst aus der Ferne sieht man, wie die Krakenarme der Gerätschaften in buntem Tanz durch die Luft wirbeln. Tritt man nun endlich in diese Zauberwelt ein, wird man auch mit anderen Sinneseindrücken belohnt. Wie Duftlampen aromatisieren die Friteusen die laue Frühlingsluft und ziehen blumengleich eine reiche Zahl von Nachtschwärmern an. Gerne geht man im fröhlichen Geschiebe der Menschen auf und wird ein Teil eines größeren Ganzen. Die sanfte Woge der Freundschaft trägt einen von einer Attraktion zur nächsten. Dabei schweift der Blick beständig zwischen der unfassbaren Faszination der wirbelnden Elemente und den Besuchern in Abendgarderobe hin und her, die sich dem Anlass entsprechend in Schale geworfen haben. Während die Herren auf solide Tradition setzen, erkennt man bei den Damen stilistische Rafinesse. Hier wird kombiniert, exponiert und verführerisch angedeutet, dass es einem die Sprache verschlägt. Die Enge des um den Körper mühsam geschlungenen Stoffes wird durch die ausladende Farbenpracht der Teile mehr als abgefangen. Generell pflegt man ein Spiel mit Kontrasten: Die hohen Stiefel aus weißem Lack werden gekonnt mit kurzen schwarzen Röcken kombiniert. Trunken von der Vielfalt der Eindrücke zieht man sich in eines der zahlreichen Restaurants zurück, um in aller Ruhe eine Mahlzeit zu sich zu nehmen und den Tag ausklingen zu lassen. Wie schön kann doch Brauchtum sein, wenn es die Menschen zusammenführt und gemeinsam die Freuden des Lebens genießen läßt.