Montag, 22. Oktober 2007

sex in der freizeit

Liebe Sexperten!

Als ich vor einem Monat aus dem Urlaub zurückflog, verteilte die nette Flugbegleiterin neben vielen weiteren illustren Printwerken auch die Wochenendausgabe des KURIERs. Also gleich mal die Hand hoch und ein Exemplar abgestaubt. Als innerste Lage befand sich in diesem beachtlichen Papierberg ein beigelegtes und auf Hochglanz gestyltes Lifestyle-Magazin namens FREIZEIT (Nr. 930, 29. September 2007), welches unglaublich stylisch und stilsicher den Style des frühen 21. Jahrhunderts einfing. Da werben nämlich nicht irgendwelche Firmen, sondern Hermès, Lancome und Vichy. Von der Popnymphe Rihanna bis zum bösen Mädchen Amy Winehouse geben sich hier alle angesagten Superstars ein Stell-dich-ein. Nur der MERKUR stört das ansonsten ungetrübte und kosmopolitisch orientierte Lesevergnügen mit seiner vulgären Darstellung einheimischer Kürbisse, von IGLO Rotkraut, Hirschsalami und Wildschweinschinken. Pfui gack!
Beim Durchblättern der hippen Hochglanzseiten stieß ich auf Gabriele Kuhns Kolumne "sex in der freizeit" (S. 58). Was auf den ersten Blick wie "Sex in der Freizeit" aussieht, ist in Wirklichkeit die Sexkolumne in der FREIZEIT. Na, das doppelbödige Wortspiel schon gecheckt? Ich habe auch Tränen gelacht, weil bei so urlustigen Ideen muss ich mir fast immer in die Hose wischeln vor lauter Lachen.
In dieser Ausgabe beschäftigte sich die Gabi mit ...

Kommen. Karotten. Und Kredite.
Orgasmusprobleme? Kein Thema für die moderne Frau von heute! Also hopp, ins Bett.

Also, das war ja nun wirklich eine tolle Sache! Als langjähriger Abonnent von COSMOPOLITAN und eingeschworener Fan der dazupassenden Fernsehserie SEX IN THE CITY war ich natürlich schon mit allen Facetten des Themas bestens vertraut. Wie für jeden vernünftigen und aufgeschlossenen Menschen des 21. Jahrhunderts ist natürlich auch für mich Sex das wichtigste Thema überhaupt, über das überall und ununterbrochen geredet werden soll. Deshalb liest man doch die COSMO, damit man sextechnisch vorne mit dabei ist: Was tun, damit er nicht schon beim sechsten Mal schlapp macht? Welche Intimpiercings machen dich und ihn so richtig geil? Wie verführe ich den besten Freund meines Freundes? Welcher Sextyp ist mein Hund? Welcher Dildo passt zu meinem Make-up? etc.
Aber dass sich die Gabi da so mir nichts dir nichts an dieses Thema heranwagt? Schließlich sind Österreicher als kleinkarierte Spiesser bekannt! Dann dachte ich mir, dass der KURIER immerhin in Wien verlegt wird, einer absoluten Weltmetropole, und da kann eine Journalistin im superaufgeklärten 21. Jahrhundert ruhig einmal über Karotten schreiben.
Alle Achtung, Gabi, wie du dich - ohne dir ein Blatt vor den Mund zu nehmen - ganz frei über das "Vögeln", wie du es nennst, schreiben traust:

"Orgasmus meine Damen? Von wegen Probleme! Nur kein Raunzen, weil es ist ja eigentlich eh alles voll easy. Schluss mit der Jammerei, dass das nix wird mit dem Tiger-Feeling im Becken. Positiv denken, positiv vögeln - aber hurtig. Wird ja höchste Zeit in Zeiten maximaler Vereinfachung - simplify your life, simplify your Koitus. Und wer's nicht kann, schnappt sich einen Ratgeber. Oder einen Coach. Oder eine von hundert Lifestyle-Gazetten. Aus denen purzeln die praktischen Kommen! schneller! besser!-Rezepte wie Gummibären aus dem Haribo-Sackerl: ein bisserl ein Schaumbad, vier bunte Duftkerzen, ein brunftig duftendes Massageöl von rauer Männerhand an probaten Stellen appliziert. Was nicht schaden kann: Der eine oder andere kundige Griff an die "Hot Spots" der Weibsen: Schleckerli hier, Beißerli da. Am Ohr, am Hals, im Nacken, an den Brustwarzen. Und sonst: Zwei, drei Gläser Perlwein, schamlippenfreundlicher Sound aus dem Ipod-Lautsprecher, schmutziger Smalltalk - und schon schnurrt der Genitalbereich wie ein Lamborghini. Das wird schon, Mädels. Weil: So einfach ist das.
Genauso einfach wie unser süßes Frauenleben an sich. Während wir nämlich am optimierten Orgasmusverhalten werkeln (Eintrag im BlackBerry: Beckenbodentraining checken!), schaukeln wir unser Dasein im Multitasking-Verfahren. Der angetraute Möchtegern-Bescherer unserer multiplesten aller multiplen Höhepunkte findet seine mittelgraublauen Socken nicht. Wir helfen. Auch das tiefblaugraue Hemd scheint in Verlust geraten. Wir suchen mit. Im gleichen Augenblick pieselt das Kind mit dem Nutella-Goscherl auf das Designer-Sofa. Wir wischen oben, wir wischen unten. Das Hemd ist da, der Mann ist weg, das Kind ist trocken. Der Chef wartet, das Handy läutet. Die Kindergärtnerin will mit uns über die Rezeptur der Karottenmuffins für das Erntedankfest plauschen. Da raunzt der BlackBerry - E-Mail. Der eheliche Orgasmus-Bescherer fragt an - Dringlichkeitsstufe ampelrot - wie die Termine fürs Wochenende aussähen. Es gäbe da eine legere Einladung zum Golfturnier. Antwort jetzt. Das Kind will will nicht ins Karottenmuffin-Reich, sondern lieber aus unserem Businesskostüm Fäden ziehen. Der nächste Patient am Ende der Handyleitung braucht den 8000-Zeichen-Text heute noch. Sofort! Verstanden? Verstanden. Achja, was die Kindertante noch sagen wollte: Blöd, aber die Kopfläuse sind wieder da. In der Apotheke stehen vier andere Mütter vor uns. Eine telefoniert und klaubt gleichzeitig das Geld für vier Kopflaus-Artillerien aus ihrem Börsel. Die andere kauft Hustensaft für die zwei Kinder, die soeben den Hansaplast-Ständer zum Karussell umfunktionieren. Sie niest. Wir niesen. Wir haben Husten, Schnupfen und Kreditverhandlungen am Hals. Das Kind kommt mit Kopfläusen nach Hause. Die Gäste kommen auch, der Hund hat allerdings den Braten gerochen und leider schon gefressen. Wir organisieren mit dem Handy den Pizzaservice. Die Gäste lachen, wir starren ein Luftloch in den Abend.
Auszug aus dem Orgasmus-Ratgeber - Neun von zehn Frauen sagen: "Damit ich erregt werde, muss die Stimmung passen.""

Welch herbe Enttäuschung! Hinter dem Sexluder Gabi Kuhn verbirgt sich auch nur ein Uschi Fellner Klon, also noch eine gefrustete Edelhausfrau, die um unser Mitleid winselt. Das Schicksal meint es auch wirklich hart mit manchen unter uns: Einfamilienhaus, Dinnerparties, Golfturniere am Wochenende, ein ganzes Kind, ein Hund, BlackBerry, Businesskostüme, etc. Wenn sie ein Spendenkonto hätte, würde ich sofort eine erhebliche Summe einzahlen. Arme Sau!

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