Freitag, 30. September 2005

Die Instant-Gesellschaft

Liebe Gehetzte!

"Das ist das Lebensgefühl einer 'Instant-Gesellschaft' [...]: Alle Probleme müssen auf der Stelle lösbar sein, wie Nescafe oder Suppenkonzentrat in heißem Wasser." So schrieb Jan Ross am 16. August 2001 in DIE ZEIT. Ich habe mir den Satz extra notiert, weil er erstens genial und zweitens selbst ein Konzentrat ist, das eine Vielzahl von Beobachtungen zusammenfasst, auf die ich jetzt gerne näher eingehen möchte.

Bleiben wir beim Thema Ernährung. Das eingedeutsche Wort "Instant" kommt eigentlich nur in Zusammensetzungen vor und da fast aussschließlich in Verbindung mit Kaffee. Das Prinzip ist sehr einfach: kein langes Warten - sofort konsumieren. Überlegt man es sich recht, dann müsste es in unserer Sprache vor "Instants" nur so wimmeln: Fast Food ist nichts anderes als Instantessen, Maggi, Knorr und Inzersdorfer bieten Instantsuppen an, Instanttomatensauce kennen wir als Sugo, Iglo vertreibt Instantgemüse, der Würstelmann hat Instantfleisch, Pommes Frites und Chips sind Instantkartoffeln, Instantfisch kommt aus der Dose und Instantsalat aus dem Glas. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Im Prinzip ist Instant ein einfacher Deal: Man nimmt qualitative und gesundheitliche Einbußen in Kauf, um einen zeitlichen Gewinn daraus zu ziehen. Jedenfalls haben das alle 5000 Befragten zu Protokoll gegeben. In Wirklichkeit scheint es mir aber um die sofortige Befriedigung eines Befürnisses zu gehen: Natürlich könnten wir uns die Zeit nehmen und etwas Nettes kochen (ohne mit anderen Dingen in Verzug zu kommen), aber der Hunger ist jetzt da und wir wollen nicht eine halbe Stunde warten. Es handelt sich also um die wachsende Unwilligkeit des Westeuropäers für die wichtigen Dinge im Leben ausreichend Energie, Zeit und Geld zu investieren. Vom Essen bis zur Partnerschaft hat das Instant-Lebensgefühl alle Bereiche unseres Daseins erobert.

Thema Bildung: Vom Instant-Sprachkurs (Lerne Spanisch in 10 Tagen) bis zum Instant-Studium wird Bildung immer mehr zu einem Modulsystem, dessen Einzelkomponenten man sich als .exe Dateien vorstellen kann, die man anklickt und die sich dann mehr oder weniger von selbst installieren. Wenn sich Neo in MATRIX Ju Jitsu in 10 Sekunden aneignet oder Trinity im Nu einen Helikopter zu fliegen lernt, dann finden wir das nicht lächerlich, sondern fasznierend. Schließlich handelt es sich ja auch um die Erfüllung unseres sehnlichsten Wunsches: die Befriedigung von Bedürfnissen oder Wünschen ohne Anstrengung. Der gesamte Bildungssektor wirbt auf völlig schizophrene Weise für die erfolgreiche Kombination aus Qualität und Tempo, die uns unter dem Zauberwort "Effizienz" verkauft wird. Entscheidend hierbei ist vor allem die Entwicklung weg von einem Bildungskonzept, das einen ganzheitlichen Anspruch hat, hin zu einem auf Fertigkeiten basierenden Bausteindenken, bei dem das Ganze weniger als die Summe seiner Teile ist.

Im zwischenmenschlichen Bereich ist das Instant-Denken wahrscheinlich am schlimmsten. Hier wird die Kombination aus Qualität und Tempo als "quality time" verkauft. Die gestressten Eltern können die tägliche Aufmerksamkeit für ihre Kinder stark reduzieren, wenn sie nur die 10 Minuten sinnvoll gestalten. As if.
Der Beginn einer Beziehung gehorcht mittlerweile ebenfalls den Regeln des Instants. Sofortiges Handeln ist erwünscht - Reden kann man immer noch später. Ich muss hier meinen Lieblingsautor Botho Strauß wieder zitieren, der in diesem Zusammenhang von Sex als der "Fortsetzung einer leichten Sympathie mit anderen Mitteln" oder einer "Willkommensgeste" spricht. "Und wieviel Wahnsinnstaten, wieviel Briefwechsel, wieviel Kosenamen und wieviel Gesetz sind einmal aufgewendet worden, um dieser Willkommensgeste biografische Bedeutung zu verleihen! Leidenschaft, Briefwechsel eventuell, Wahnsinnstaten gehören heute dem Ende allein, der Krise, der Trennung, dem Gehen." Wer den Wahnsinn am Beginn einer tragischen Liebe nachlesen möchte, dem sei Rudolf Borchardts "Vivian" wärmstens empfohlen. Diese Briefe sind 100 Jahre alt, aber noch immer sehr eindringlich in ihrer Konsequenz und Realitätsferne.

Und die Moral von der Geschicht'? Der Weg ist das Ziel. Wir hingegen wollen den Lottogewinn: wenig einsetzen und alles gewinnen, die großzügige finanzielle Belohnung für nie erbrachte Leistungen. Ich würde mir nur ein bisschen mehr Vertrauen erhoffen, dass längerfristige Investments und Entwicklungen nicht automatisch schlecht enden müssen. Manchmal ist der steinige Weg der einzig richtige zum Ziel.

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Donnerstag, 29. September 2005

Traumjob

Liebe Krone-Leser!

Seit vielen Jahren schon beneide ich einen Krone-Mitarbeiter ganz besonders. Viele werden wahrscheinlich jetzt auf Wolf Martin tippen, weil der so schön in den Wind reimen kann.

Der Martin reimt den ganzen Tag
Was Hans "Die Wahrheit" Dichand mag.
Franzosen, Türken und Kroaten -
Bei ihm sind alle Psychopathen.
Wer Dichands Wahrheit widerspricht,
mit dem geht Wolfi ins Gericht.
Am meisten hasst er Liberale,
den Fortschritt, die EU-Zentrale,
das linke Lager, Immigranten,
verbrecherische Asylanten,
und viele and're Dinge mehr.
Laut ihm g'hört Zucht und Ordnung her.
Ich glaub' in rechtsextremen Kreisen
Wird man den Martin sicher preisen.
Im Schutz der KRONE darf er hetzen
Und andersdenkende zerfetzen.
Die breite Masse glaubt der KRONE.
Was wäre Österreich auch ohne?

Nein, falsch geraten! Am meisten beneide ich den Mitarbeiter, der zu den eingelangten Fotos irgendwelche erklärenden Texte erfinden muss. Das betrifft nicht nur die halbnackten Tussis, sondern auch zahllose andere Bilder, die mit einem netten Satz versehen werden. Diese dienen dazu den knallharten Aufklärungsjournalismus mit ein paar bunten Elementen aufzulockern. An folgendem Bild möchte ich zeigen, wie so ein Text üblicherweise aussieht:


Mit ihren 23 Jahren ist die exotische Sitara eine wahre Naturschönheit. Wer kann da glauben, dass der schöne Schwan einmal ein häßliches Entlein war? Dabei hatte Sitara vor 2 Jahren noch 180 Kilo. Zur Erinnerung an alte Zeiten hat sie der Fotograf auf diesem Bild mit einem ihrer früheren Höschen abgebildet. Was für ein Unterschied!

Dieser Job ist doch durch nichts zu überbieten! Man darf sich den ganzen Tag durch Berge von Fotos wühlen und zu den besten kleine Geschichten erfinden. Zum Abschluss möchte ich noch demonstrieren, was ich mit einem ganz süßen Foto machen würde, auf dem natürlich Kinder und Hunde vorkommen müssen:


Quietschvergnügt plantschen Patrick und sein Rexi im kühlen Nass. Dabei haben die beiden gerade Entsetzliches durchgemacht. Vor zwei Tagen stürzte Patrick in den Pool und trieb bewußtlos im Wasser. Da sprang ihm sein treuer Gefährte nach und zog ihn behutsam aus den tödlichen Fluten. Waren Patrick und sein Lebensretter Rexi schon früher dicke Freunde, so sind der Bub und der Golden Retriever seit dem Unfall unzertrennlich.

Jetzt wird sich wahrscheinlich jeder fragen, woher ich so gut Bescheid weiß, was die KRONE Leser erwarten. Da muss man nur seinen Horizont auf jenen der ATV+ Seher reduzieren und schon weiß man, was gut ankommt. Wenn jemand von euch Beziehungen zum KRONE Hauptquartier hat, dann möge er mir einen Vorstellungstermin verschaffen. In der Zwischenzeit werde ich fleißig weiterüben. Ja, Baby, du bist scharf! Ohh, was für ein süßer Pudel! Ich sehe es schon vor mir: Dein Frauchen hat dich vor dem sicheren Tod im Hundezwinger gerettet!

Mittwoch, 28. September 2005

Land der Zwerge

Liebe Nationalisten!

Die Bundeshymne ist natürlich wichtiger als alles andere auf der Welt. Deshalb verstehe ich auch die momentane Debatte über die mangelnde political correctness unseres identitätsstiftenden Landesliedes. Hier mein Beitrag zu einer zeitgemäßen Adaptierung:

Land der Zwerge, Land der Klone,
Land der Lecker, Land ganz ohne
Plan und Ziele, zugluftsreich!
Heimat bist du großer Töne,
Voll beknackt die Töchter, Söhne,
vielverblümtes Österreich.

Heiße Fetzen, wilde Schnitten
liegst der Vorstadt du inmitten,
einem großen Scherze gleich.
Hast seit frühen Mahnungstagen
großer Schulden Last getragen,
vielversieftes Österreich.

Schludrig in die neuen Zeiten,
geil und geizig sieh uns schreiten,
arschlochfroh und deppenreich.
Schleimig laß in Luderchören,
Vater, Land und Leut' betören,
vielgespieltes Österreich.

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Dienstag, 27. September 2005

Wirt des Jahres

Liebe Freunde der Hausmannskost!

Soeben ist Christoph Wagner und Klaus Egles "Wo isst Österreich? 2005/2006" bei Pichler erschienen. Dieses Standardwerk der österreichischen Kulinarik listet auf 640 Seiten die 1200 besten Wirtshäuser in Österreich, Friaul, Istrien, Slowenien, Südtirol und Ungarn.



Auf dem Coverfoto sieht man die Wirte des Jahres 2005 und somit Preisträger des Römertopfs 2005, der höchsten Auszeichnung dieses Führers. Die Geschwister Sonja und Richard Rauch (20) sind Sprößlinge der Fleischhauerdynastie Rauch in Trautmannsdorf (Südsteiermark). Onkel Johann Rauch, der Erfinder des weltberühmten Johann-Schinkens, ist nicht nur Schlächter und Verwurster, sondern auch Ernährungsberater. Auf seiner Homepage gibt er folgende Empfehlung ab:



"Unser Körper ist der Einzige, den wir haben. Deshalb sollten wir ihn nur mit qualitativ hochwertige Produkte verwöhnen. Mit Fleisch- und Wurstköstlichkeiten aus dem Hause Rauch." Diese werden natürlich nach strengsten EU-Richtlinien hergestellt. Hier sieht man, wie Johann der Kantwurst die Temperatur abnimmt:



Seines Bruders Kinder sind lebendige Zeugen dieser Lebensphilosophie. Das Schmalz ist hier noch Energie-, Wärme- und Trostspender - ein altösterreichisches Lebenselixir. Zwar schlägt sich der übermäßige Genuss auf das Hirn (insbesondere das Sprachzentrum), aber der ungezügelten Freude über die Auszeichnung tut dies keinen Abbruch:



Auf steiermark.orf.at äußert sich Richard über die möglichen Schattenseiten des Erfolges: "Wenn man sich einen Druck macht, dann ist das schon ein Druck; aber so kocht man einfach einen jeden Tag so dahin, und man köchelt so dahin, und die Gäste freuen sich." Seine Philosophie: "Bodenhaftung und Höhenflüge schließen einander nicht aus". Dass der Richard über Bodenhaftung verfügt, nimmt man ihm sofort ab. Seiner Kreativität lässt er dann in der Küche freien Lauf, wo er, in höheren Sphären schwebend, "Traditionelles ambitioniert verfeinert und kombiniert".

Auf der Heimatseite des "Steirawirts" (www.steirawirt.at) präsentiert sich das Gasthaus selbst und plaudert über seine Besitzer. Über seine Wirtin weiß es folgendes zu berichten:

"Sie ist ein echtes Kind der Steiermark, die Sonja Rauch. Aufgewachsen zwischen Brotbackofen, Bauerngarten, selbstgemachtem Topfen und Nusspotitze hat sie so viel Tradition eingeatmet, dass sie mit ihrer Heimat ebenso verwurzelt ist, wie ich, ihr Wirtshaus. Und dann noch die Tatsache, dass bereits der Großvater Fleischhauer war und der Vater, genauso wie heute der Bruder Johann ... Seit meine Wirtin denken kann, gehören Räucherkammer und Bauerngarten zu ihrem Leben, der Herd in Großmutters Küche war niemals kalt und jede Zeit brachte kulinarische Rituale mit sich, an die sie sich heute noch gerne erinnert. Wenn ein solchermaßen lustvolles Geschöpf sich als Wirtin verdingt, und wenn diese Wirtin die Herausforderung liebt, den Wein und den Genuß, dann ist das für ein leidenschaftliches Wirtshaus wie mich Grund zu großer Freude. Und für unsere Gäste hoffentlich auch."

"Lustvoll", "verdingen", "Wein", "Genuß", "leidenschaftlich" etc. Die Signalwörter sind alle da. Hier ist also eine Wirtin, die keine halben Sachen macht. Während sich die verwirrte Städterin im Fitnessstudio einen runterhampelt, zählen hier noch die alten Werte. Stolz berichtet uns das alte Gemäuer, dass sich bei der Sonja seit frühester Kindheit (seit sie denken kann!) alles nur ums Essen gedreht hat. "Der Herd in Großmutters Küche war niemals kalt." Hier wurde also rund um die Uhr gebacken, gebraten, gegart, gedünstet und gekocht. Während die kleine Sonja selig schlummerte - die feisten Ärmchen um Caroline Kant, die wohltemperierte Spielzeugwurst, geschlungen - zauberte die Omi schon wieder neue Köstlichkeiten.
Die Kinder wuchsen mitten im Brauchtum auf: Augenzeugen berichten, dass die kulinarischen Rituale der Familie Rauch dem Orgienmysterientheater in nichts nachstanden. Während die Kinder noch knietief im Blut wateten, gab es schon die ersten Leckerlis direkt aus dem noch warmen Tier. Auf der Heimatseite betont das Gasthaus auch besonders diese Unmittelbarkeit: "Denn was bei uns auf den Tisch kommt, kennt keine lange Anreise."
Während wir degenerierten Städter bald das Schicksal der Dinosaurier teilen werden, ist es für die Menschheit insgesamt noch nicht vorbei. Denn die Trautmannsdorfer verfügen über ein Zaubermittel, das sie vor allen Widrigkeiten des Lebens schützt: das Schmalz. Deshalb setze ich mich jetzt ins Auto, fahre in die Südsteiermark und mache meiner Sonja einen Heiratsantrag.


So fesch!

Samstag, 24. September 2005

Global Village People

Liebe Onliners!

Im dritten Teil der Bildungs-Misere (kurz für: Miniserie) geht es um sogenannte Laptopklassen. Dabei handelt es sich um einen Zweig in der Handelsakademie, in dem die Schüler in jedem Fach online sind und der Unterricht fortwährend auf Material aus dem Internet zurückgreift. "Coole Sache!" denken sich da viele, denn hier scheint die Schule endlich einmal am Puls der Zeit zu sein. Denkt man aber ein bisschen länger darüber nach, kommen schnell Zweifel auf.

Die meisten Firmen spionieren bereits ihren Angestellten hinterher, weil diese reihenweise den Versuchungen des Internets erliegen. Dabei muss es sich ja nicht gleich um "Lesbenpeitschinferno 9" handeln. Viele laden sich nur ihre Lieblingsmusik runter, gehen schnell mal bei Amazon einkaufen, lesen die neuesten Klatsch- und Tratschgeschichten oder beantworten private Mails. Während man also in der Privatwirtschaft den freien Internetzugang einschränkt oder den Missbrauch unter Strafe stellt, führt man ihn in der Schule als neues, supermodernes Unterrichtsmittel ein. Natürlich haben sich pubertierende Jugendliche in der Schule viel besser im Griff als Erwachsene im beruflichen Umfeld, aber sollten wir unsere kleinen Engel wirklich mit diesem Instrument des Teufels in Versuchung führen?

Wie früher die Gruppenarbeit wird heute das Internet als Allheilmittel für den Unterricht gehandelt. Dabei wird immer übersehen, dass das Internet an sich ja gar nichts kann, außer wahllos Texte und Bilder zur Verfügung zu stellen, die irgendjemand aus oft unerfindlichen Gründen auf irgendeinem Server deponiert hat. Die Fehlerhäufigkeit ist riesengroß und so sollte auch das Misstrauen des einzelnen Users sein. Aber genau dieses russische Roulette der Wissensvermittlung halten unsere Bildungsverantwortlichen für das Non Plus Ultra im modernen Unterricht. Masse statt Klasse. Dabei besteht die Kunst des Unterrichtens doch gerade in der richtigen Auswahl und Dosierung.

Die Schlüsselfigur in diesem ganzen Spiel ist folglich immer noch der Lehrer. Dieser steht aber vor einem schwierigen Problem: Entweder er übt verstärkt Kontrolle aus und gibt die relevanten Internetseiten für eine Stunde einfach vor - dann könnte er sie gleich ausdrucken, kopieren und austeilen. Oder er läßt dem bunten Durcheinander freien Lauf und verbringt die ganze Stunde damit, die Spreu vom Weizen zu trennen. Wie bei allen anderen Neuerungen im Schulsystem kommt natürlich noch hinzu, dass der Lehrkörper nicht dafür geschult wird. Das beste Beispiel sind die Integrationsklassen. Würde ein Lehrer die Herausforderung wirklich annehmen, seinen ganzen Unterricht auf Internet und Computer aufzubauen, säße er wahrscheinlich jeden Tag stundenlang davor, um sich selbst halbwegs einen Überblick zu verschaffen und seinen Unterricht den sich ständig ändernden Bedingungen anzupassen. Denn nichts ist so unbeständig wie eine Internetseite.

Vielleicht ist ja jemand so nett und erklärt mir die Bedeutung des Computers für den Unterricht. Und wenn wir schon dabei sind: Wie verbessert der Taschenrechner eigentlich den Mathematikunterricht? Das habe ich nämlich auch noch nie kapiert.

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Freitag, 23. September 2005

Der Kampf gegen die Dummheit

Liebe Jungeltern!

"Der Kampf gegen die Dummheit hat gerade erst begonnen." Mit diesem Slogan warb DIE ZEIT früher einmal um neue Leser. Wer Kinder im schulreifen Alter hat, ist ja durchaus gewillt, den Kampf aufzunehmen. Schließlich will man für seine Bubsis nur das Beste. Da geht man also zum ersten Elterninformationstreffen und wird von der Direktorin, einer Lehrerin der alten Schule, folgendermaßen informiert: "Entweder sie geben die Kinder zu mir, das ist die Frontalklasse, oder zu meiner Kollegin, das ist die Montessori-Gruppe." Wie bitte? Gibt es zwischen Daumenschrauben und "Blowing in the Wind" keine Alternative? Leider kaum. In keinem anderen Schultyp ist die Wachablöse der Lehrergenerationen so dramatisch wie in der Volksschule. In den letzten Jahren sind die letzten der alten Garde in Pension gegangen und durch Junglehrerinnen ersetzt worden, die man in der Pädagogischen Akademie gnadenlos den Schwachsinnigkeiten der 'modernen' Theorien und Methoden aussetzte: partnerschaftlicher Unterricht, Spielecken, freie Zeiteinteilung, großangelegte Projekte etc. Seit die Kindergartenpädagogik den Volksschulsektor erobert hat, sind die drei Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen durch Spielen, Tanzen und Singen ersetzt worden. Man soll mich hier nicht falsch verstehen: Die Schule soll auch Spaß machen und kreative Selbsterfahrung ist sehr wichtig. Aber wenn ein Großteil der Volksschüler, die in die HS oder AHS wechseln, die einfachsten Dinge nicht können, dann läuft irgendetwas falsch.
Die Strickliesl hat uns vor Jahren Qualitätssicherung in der Grundschule versprochen. In Wirklichkeit entwickelt sich das System in eine ganz andere Richtung:
1) Die Mindestanforderungen für guten und ausgezeichneten Erfolg wurden nach unten gesetzt, damit unsere Kinder schlagartig - und statistisch nachweisbar! - klüger werden.
2) Die Zuordnung in Leistungsgruppen an der HS erfolgt nicht mehr nach einer Beobachtungsphase, sondern sofort auf Grund der geschenkten Noten im Abschlusszeugnis der Volksschule. Damit hat man nur mehr Schüler in der ersten Leistungsgruppe und ein paar mit Förderbedarf in der dritten. Die zweite hat sich damit praktisch aufgelöst. Und welcher Lehrer bzw. Direktor wagt es, reihenweise Kinder abzustufen, wenn der Landesschulrat prinzipiell immer den Eltern Recht gibt.
3) Das Sitzenbleiben wurde im Grundschulbereich praktisch abgeschafft und jeder Schüler erreicht automatisch Volksschul- bzw. Hauptschulniveau. Man soll hier nicht vergessen, dass es die Sonderschule de facto nicht mehr gibt und heutzutage Kinder einen Hauptschulabschluss bekommen, die früher in der Sonderschule ärgste Probleme gehabt hätten).
4) Kinder, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, werden ohne ausreichende Förder- und Integrationsmaßnahmen einfach in das System gesteckt.
Das waren jetzt nur die dramatischsten Entwicklungen. Im Detail könnte man die Liste seitenweise fortsetzen.
Man muss die Sache einmal so sehen, wie sie ist: Unsere Regierung ist im Moment dabei, aktiv die Grundschule zu ruinieren. Man wirkt der um sich greifenden Verblödung nicht entgegen, sondern adaptiert das System, um den Anschein zu wahren und die Katastrophe zu verwalten. Wahrscheinlich läuft im Bildungsministerium Xavier Naidoo auf heavy rotation: "Sie liegt am Boden um zu Sterben und ich lass sie sterben denn ich weiß so soll es sein."
Ist der Vorwurf der um sich greifenden Verblödung ein böses Vorurteil der älteren Generation? Nein. Macht einmal folgendes: Setzt euch mit einem x-beliebigen Lehrer um die 50 gemütlich an einem Nachmittag zu einer Tasse Kaffee und lasst euch berichten, was sich in den letzten 30 Jahren im Schulsystem getan hat. Kurz gesagt: Es ging kontinuierlich bergab. Unterrichtsvorbereitungen, die 10 Jahre alt sind, kann man in der heutigen Zeit nur noch kopfschüttelnd als Utopie verwerfen. Vielleicht kann man es so beschreiben: Im Vergleich zu vor 50 Jahren hat sich das Niveau der schwächeren Schüler um genau einen Schultyp verschlechtert. Heute bekommen Leute ein Maturazeugnis, die früher nur einen HS-Abschluss geschafft hätten. Viele Akademiker kommen kaum über das frühere Maturaniveau hinaus. An den Schnittstellen zwischen den Schultypen herrscht Heulen und Zähneknirschen. Das erste Jahr geht, dem jeweiligen Niveau entsprechend, meistens dafür drauf, dass die Schüler aufrecht gehen und bis drei zählen lernen. Natürlich existiert das alte System rudimentär weiter und es gibt noch immer hervorragende Leute. Aber der Virus ist da und die Inkubationszeit bald zu Ende.

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Donnerstag, 22. September 2005

Mit gutem Bleistift voran

Liebe Bildungshungrige!

Mittels einer dringlichen Anfrage erzwangen diese fiesen Grünen am Mittwoch Nachmittag eine Sondersitzung des Parlaments, in der sie unsere allseits geliebte Strickliesl als inkompetente, verwirrte Oma hinstellten, die von Bildungspolitik keine Ahnung habe. Dabei sind die Grünen nur eifersüchtig, weil ihnen die ÖVP als Integrationspartei den Rang abläuft. Okay, die Ökos haben mit Theresia Haidlmayr eine Rollstuhlfahrerin im Rennen, aber die hat ja alle Tassen im Schrank. Den Schwarzen hingegen gelang mit Gehrer in puncto Integration ein Meisterstück. Das Bildungsressort ist in Österreich traditionell ein Parkplatz für jene Parteidiener, die man gerade nicht vernünftig irgendwo anders unterbringen kann. Deshalb erwartet sich der Österreicher auch nicht viel von seinen fachfremden Bildungsministern. Aber mit Elisabeth Gehrer hat die ÖVP bewiesen, dass der American Dream nirgendwo so wahr werden kann, wie in der Alpenrepublik. Aus den Bereichen Musik und Sport wissen wir ja schon, dass jeder Sepp zum Superstar werden kann. Jetzt hat sich eben die Politik als Betätigungsfeld für die Unberechenbaren noch dazugesellt. Wir wollen aber nicht unfair sein und lieber Fakten für sich sprechen lassen.
Elisabeth Gehrer wurde am 11. Mai 1942 geboren und ist somit 63 Jahre alt. Während andere in ihrem Alter in Hochsicherheitsaltersheimen vor der Glotze hängen und Barbara Karlich schauen, ist sie noch immer mit der Löwingerbühne auf Tour und bringt das Publikum mit ihren selbstgeschriebenen Schwänken jeden Tag zum Weinen und zum Lachen. Die kleine Lisi besuchte von 1948-1952 die Volksschule in Wien und Innsbruck und verbrachte ganze vier Jahre im Gymnasium von 1952 bis 1956. Dann wechselte sie in die Lehrerbildungsanstalt in Innsbruck, wo sie von 1956 bis 1961 blieb. Während man heutzutage die Kindergärtnerinnenausbildung mit der Matura kombinieren kann, konnte das die Lisi in den späten 50ern noch mit der Volksschullehrerausbildung machen. Das dauerte fünf Jahre, aber dafür wurde man mit 19 schon auf die lieben Kleinen losgelassen. Das tat sie auch von 1961 bis 1966. Danach war sie 14 Jahre lang Hausfrau und Mutter (1966–1980), um mit 38 ihre Karriere als Politikerin zu starten. Seit 1980 hat sie sich in den Reihen der ÖVP von der Stadträtin zur Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur hochgedient. Eine furchtbare Schmach für die Grünen, die nur Leute ins Parlament lassen, die von ihrem Fach etwas verstehen, und die spießbürgerlichen Durchschnittsösterreicher knallhart diskrimieren. Nicht so bei den Schwarzen und Orangen: Dort bekommt offensichtlich jeder eine Chance.
Ich habe mir die Mühe gemacht und alle Kurzbiografien unserer Regierungsmannschaft gelesen, weil ich wissen wollte, was die wichtigsten Politiker unseres Landes im Zivilberuf waren. Es ist schon erstaunlich, was man da so findet. Wahrscheinlich wird es nicht verwundern, aber es gibt keine Geisteswissenschaftler unter unseren Topleuten. Keiner, der sich im Rahmen seiner Ausbildung mit Sprachen, Philosophie, Geschichte oder Kulturkunde auseinandergesetzt hätte. Auch keine Gesellschaftswissenschaftler: keine Soziologen, Psychologen, Politikwissenschaftler oder Journalisten. Aber wer braucht das schon. Es gibt ja immerhin ein Drittel Juristen (Schüssel, Plassnik, Gastinger, Finz, Mainoni, Winkler) unter den 19 Regierungsmitgliedern und ein Viertel Lehrer. Gehrer ist nicht die einzige: da gibt es noch die Kochlehrerin Ursula Haubner, die HS-Lehrerin Rauch-Kallat, die Sportlehrer Prokop und Schweitzer. Danach folgen als drittstärkste Gruppe die Maturanten: Gorbach hat die HAK abgeschlossen, Platter die Gendarmerieschule und Morak die Schauspielakademie. Keine Ahnung welche Zettel man dafür bekommt. Dann ein paar Einzelkämpfer: zwei Wirtschaftsmagister (Grasser und Kukacka), ein Chemiker (Bartenstein), ein Agrarexperte (Pröll) und ein Werkzeugmacher (Dolinschek).
Den werten Lesern mag sich der Verdacht aufdrängen, dass der Autor dieser Zeilen die Geisteswissenschaften für entscheidender hält als Rechts-, Wirtschafts- oder Naturwissenschaften. Das mag daran liegen, dass er das tut. Während bei uns Anomalien, Grauzonen und Widersprüche die akademische Arbeit bereichern, werden sie im anderen Lager als lästige Störungen im perfekten System gesehen, die möglichst schnell ausgemerzt gehören. Während wir ganz gut mit dem Chaos leben können, wird dort die Ordnung als goldenes Kalb verehrt. Es tut mir wahnsinnig leid, aber ich kann keiner Regierung zu 100% trauen, in der Leute von meiner Sorte gar nicht vertreten sind. Der Papst ist wenigstens Theologe und musste sich in seiner Studienzeit mit Sprachen, Philosophie, Geistesgeschichte und Kulturkunde beschäftigen. Unsere Politiker hingegen kommen offensichtlich ganz gut ohne aus. Alles Technik und Zahlen. Wir Geisteswissenschaftler werden immer als soft scientists verhöhnt, weil sich nicht alles in mathematischer Perfektion auflösen lässt. Da kann ich nur entgegenhalten: Was muss man für ein Kleingeist sein, wenn man sich an der Empirie wie am letzten Strohhalm festklammert.

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Mittwoch, 21. September 2005

13 going on 30

Liebe Twenty- und Thirtysomethings!

Der Grund für die nun folgenden Meditationen über das Alt- bzw. Älterwerden ist leicht erklärt: In etwa drei Wochen treffe ich mich mit meinen ehemaligen Klassenkameraden in Linz, um 15 Jahre nach der Matura über unsere unterschiedlichen Lebensentscheidungen und Erfahrungen zu plaudern.
Natürlich wird wieder jemand die alten Geschichten aufwärmen: Könnt ihr euch noch daran erinnern, wie wir damals diesen Film am Ende der siebten Klasse gedreht haben? (alles in chronologischer Reihenfolge, weil keiner wußte, wie man so ein Ding schneidet) Oder wie Julia mit Klausis Moped in die Donau gefahren ist? Oder die Maturareise? Oder wie wir den Kasten vor die Klassentür stellten, damit Erwin "Erv" Roth, unser geliebter Physiklehrer, nicht reinkonnte? Oder Julias saublöde Antworten in Geografie? Tausende Geschichten. Und natürlich die alten Namen: Michi, Opi, Rothi, Goldi etc.
Funktioniert Nostalgie nach 15 Jahren immer noch? Oder schon wieder? Nachdem wir jetzt doppelt so lange von der Schule weg sind, als wir dort waren: Wollen wir wirklich hören, wer auf der Südtirolwoche wann wohin gekotzt hat oder wer während Kitzis Geburtstagsfeier um Mitternacht im Freibad nackt baden war? Okay, diese Geschichte kann man sich vielleicht nochmals anhören. Mir bleiben vor allem die Wochenenden bei Wolfgang in bester Erinnerung. Das war immer eine Flucht aus dem grauen Alltag in eine andere Welt: Fantasy III auf dem Amiga 500 spielen, Nazi Referate vorbereiten oder einfach nur herumhängen.
Was ist in den 20 Jahren passiert? Da ich für niemand anderen sprechen kann und auch für diesen Eintrag nichts Privates erzählen werde, bleibt mir nur eine Möglichkeit: "13 going on 30" als Brainstorming über eine Zeit, in der sich vieles verändert - aber auch gleichbleibt.
Erwachsen werden definiere ich immer so: Man lernt mit den eigenen Fehlern und jenen der anderen besser umzugehen. Was lügt man nicht in dieser Zeit allen anderen, aber vor allem sich selbst vor! Wahrscheinlich liegt das daran, dass man damit auch durchkommt. Nicht einmal in der Kindheit übt die Oberfläche eine so große Faszination aus, wie in der Schul- und vielleicht auch noch in der Studentenzeit. Da denkt man noch bequem in Extremen und Superlativen und lässt sich gerne vom Anschein täuschen. Die anderen haben ein so total super Leben und man selbst fühlt sich ständig nur wie der letzte Dreck. Eifersucht und Neid werden natürlich geschickt mit moralischer Überlegenheit kompensiert. Es dauert oft Jahre bis man erkennt, dass jeder von uns ein, zwei substantielle Probleme mit sich herumträgt, die man nicht, oder nur sehr schwer aus der Welt schaffen kann. Man wird, wenn ich grob verallgemeinern darf, bescheidener, realistischer und ehrlicher - zumindest in seinem unmittelbaren Umfeld. Andere mögen das als Desillusionierung sehen, was es ja streng genommen auch ist, aber ich halte es dennoch für eine Grundvoraussetzung, um angemessen weiterleben zu können. Less pretending, more living! Die Resonanz ist auch überwältigend positiv. Selbst mit Thirtysomethings, die man nicht so gut kennt, kann man relativ schnell vernünftig reden. Die besten Freunde haben oft wirklich gute Ratschläge. Schließlich sprechen die auch alle aus eigener Erfahrung und testen nicht irgendwelche Hirngespinste an dir aus.
Bevor jetzt jeder möglichst schnell 30 werden will, kommen hier noch die ernüchternden Tatsachen. Während man als Twentysomething noch bequem im Transit leben kann ("nix is fix"), muss man irgendwann einmal sein Leben so akzeptieren, wie es ist. Da zieht man nicht mehr schnell nach Mexiko um und lernt total viele nette Leute kennen. Da muss man dann, wie Botho Strauß so schön sagt, "Fortschritte machen beim Sichern der eigenen Begrenzung." Für viele Dinge ist es einfach zu spät. Mit jeder Weichenstellung entscheidet man sich immer gegen hundert andere Dinge und viele von diesen sind für immer verloren. Zeit und Energie beginnen endgültig in ein paar wenige Richtungen zu fließen. Wie ein Fluss gräbt man sich in die Landschaft seines sozialen Umfelds ein. Ein bisschen mäandern ist immer möglich, aber wer noch immer mit der Gießkanne unterwegs ist, wird es schwer haben. Dem geht es dann wie einem Glas Wasser, das man auf einer Tischplatte ausschüttet: ganz viel Oberfläche ohne Tiefgang und ständig am Verdunsten.
Sobald man emotional involviert ist, reagiert man leider mit 30 immer noch wie mit 13 bzw. 3 - im Positiven, wie im Negativen. Während man sich oft wahnsinnig blöd vorkommt und sich dafür schämt, wenn man wieder einmal seine Kindergartenspielchen abzieht, hindert das einen kaum daran bei nächster Gelegenheit wieder einen beachtlichen Niveausturz in Kauf zu nehmen: "Aber du warst noch viel gemeiner zu mir als ich zu dir." Oder: "So, jetzt mag ich dich nicht mehr, weil du immer so böse zu mir bist." Oder: "Jetzt rufe ich sie erst recht nicht an. Soll sie sich melden." Man möchte ja vernünftig und erwachsen sein, aber was soll man denn tun, wenn man im Recht ist. Wer ist denn so blöd und lässt sich eine Chance entgehen richtig sauer sein zu dürfen?
Meine Nostalgie wird sich beim Klassentreffen in Grenzen halten. Bevor ich mir stundenlang Geschichten anhöre, die ich schon (fast) alle kenne, möchte ich doch lieber erfahren, wie es beim BKA, in der TU, als Zahnarzt, Chirurg oder Kunsttstofftechniker ist. Sorry, Rothi, aber vielleicht kann ich deine leidenschaftliche Beziehung zu Plastik doch nicht teilen!

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Sonntag, 18. September 2005

Zwiebelfisch

Liebe Puristen und Stylepolizisten!

Vielleicht renne ich mit diesem Eintrag wieder offene Türen ein, aber es schadet ja nicht, wenn man die werte Leserschaft an eine kleine Sensation in der deutschsprachigen Internetszene erinnert. Bastian Sick hat sich vom kleinen Spiegel Online Kolumnisten zum Guru der deutschen Sprache gemausert. In seiner Kolumne "Zwiebelfisch" nimmt er sich der grey areas unserer geliebten Muttersprache an, wo selbst diejenigen unter uns, die in der Schule noch Deutsch hatten, schnell mal in puncto Orthografie oder Grammatik in Verlegenheit kommen.

http://www.spiegel.de/zwiebelfisch

Die erste Auswahl seiner Texte, Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, ging alleine in Deutschland fünf Milliarden Mal über die Ladentische.



Im August ist bei KiWi der zweie Band erschienen und hält sich, wie sein Vorgänger vor einem Jahr, seit Wochen in den Top Ten aller Sachbuchcharts. Während einige Bastian Sick als oberlehrerhaften Dudenverfechter und Sprachpuristen kritisieren, steht meiner Meinung nach das Schmunzeln über eigene und fremde Fehler im Vordergrund. Ich möchte nur ein paar Beispiele anführen, die ich für besonders lustig halte:

1) Die Rheinische Verlaufsform

"Es gibt in der deutschen Sprache so manches, was es offiziell gar nicht gibt. Die sogenannte Rheinische Verlaufsform zum Beispiel. Die hat weniger mit dem Verlauf des Rheins zu tun, dafür umso mehr mit Grammatik. Vater ist das Auto am Reparieren, Mutter ist die Stube am Saugen. Und der Papst war wochenlang im Sterben am Liegen."

2) Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod

"Der Genitiv gerät zusehends aus der Mode. Viele sind ihn überdrüssig. Dennoch hat er in unserer Sprache seinen Platz und seine Berechtigung. Es kann daher nicht schaden, sich seinem korrekten Gebrauch zu erinnern. Sonst wird man dem Problem irgendwann nicht mehr Herr und kann dem zweiten Fall nur noch wehmütig gedenken."

3) Die Sauna ist angeschalten!

"Es gibt Dinge, die gibt's einfach nicht. Zum Beispiel Verbformen, die völlig sonderbar klingen. Man meint, sich verhören zu haben, und muss erkennen: Man hat richtig gehört! Da ist von Kindern die Rede, die genaschen haben, und von Häusern, die angemalen worden sind. Unsere Sprache wird täglich neu gestalten."

4) Das Ultra-Perfekt

"Da wühlt sich Erika durch Berge von Unterwäsche, zaubert einen XXXL-Herrenschlüpfer hervor und sagt zu ihrer Freundin: "Guck mal, Heidi, ist das nicht was für deinen Werner?" - "Lass mal", sagt Heidi, "Unterhosen hab ich schon im Katalog bestellt gehabt." - "Ach ja", sagt Erika, "das hab ich mir fast schon gedacht gehabt." [...] Gedacht gehabt, gesagt gehabt - erst das Ultra-Perfekt macht das Perfekt wirklich perfekt."

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Sonntag, 11. September 2005

Wundern auf See

Liebe Kreuzfahrer!

Wie viele andere ist auch dieser Eintrag meinem Bruder zu verdanken, der wie ein Trüffelschwein im Morast der Medienöffentlichkeit wühlt, um in regelmäßigen Abständen ein Leckerli aus dem Dreck zu ziehen, das sich der kritische Beobachter genüßlich auf der Zunge zergehen lassen kann. Erst vorgestern teilte er mir freudestrahlend mit, dass Barbara Karlich, dieses Powerhorse der österreichischen Fernsehunterhaltung, mit ihren troysten Fans auf Kreuzfahrt geht, um auf einem Mittelmeercruiser ihre volksbildende Aufklärungssendung aufzuzeichnen. Als Wissenschaftler konnte ich mich natürlich nicht auf Gerüchte verlassen und wühlte mich alsdann durch einen Berg Altpapier. Doch wie Gandalf in Minas Tirith wurde auch ich nach extensiver Suche fündig. In den Oberösterreichischen Nachrichten, diesem bunten, wenn auch etwas rauhen, Klopapier für den kleinen Geldbeutel, leistete sich der Veranstalter RUEFA REISEN Wels eine ganzseitige Anzeige (Mittwoch, 7. September 2005, S. 19). Auch im Internet findet man einen Hinweis auf dieses Jahrhundertereignis:

Kreuzfahrt mit "Barbara Karlich-Show" auf der MSC ARMONIA

Reiseroute: Venedig - Dubrovnik - Korfu - Katanien - Neapel - Genua

Lassen Sie sich von den Wundern auf See begeistern und erleben Sie das Abenteuer, dahin zu entfliehen, wo das Leben eine andere Bedeutung hat. Begleitet wird diese Kreuzfahrt von Barbara Karlich, bekannt aus TV und Werbung. AUSFLUGSPAKET GRATIS! Termin(e): 30.10.2005 bis 04.11.2005

Ich erspare mir das "Wundern auf See" indem ich mich gleich zu Hause wundere. Besonders wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang das Versprechen zu sein dorthin entfliehen zu können, "wo das Leben eine andere Bedeutung hat". Wohlgemerkt versprechen sie nicht, dass das Leben im Karlich Universum eine größere Bedeutung als im grauen Alltag zu Hause hat. Eben anders. Vielleicht meinen sie damit die "bis zu 6 Mahlzeiten täglich", die mir die Anzeige verspricht. Unter Leistungen sind auch sogenannte "Sicherheitsgebühren" angeführt. Nachdem in dieser Rubrik sonst nur Dinge stehen, die man als Gegenleistung für den Pauschalpreis bekommt, kann es sich um keine zusätzliche Belastung für den Kreuzfahrer handeln. Also zahlt RUEFA REISEN als Leistung für den Kunden "Sicherheitsgebühren" an eine dritte Partei. Wer könnte das denn sein? Vielleicht an Barbara Karlich, dass sie nach der Show gleich in die Kabine geht und nicht auch noch singt? Oder Schutzgeld an die Mafia? Keiner weiß es.

Barbara Karlich und ich sind ja eigentlich Kollegen, denn wir arbeiten beide im Bereich der Volksaufklärung. Um dem Bildungsauftrag gerecht zu werden, habe ich mir natürlich auch Karlichs Biografie auf www.orf.at angesehen. Das Erstaunliche daran ist, dass sie sich streckenweise wie eine Parodie liest. Hier ein Originalzitat:

In ihrer Freizeit erprobt Barbara Karlich gerne ihre schauspielerischen Fähigkeiten: Zum Beispiel im Rahmen einer Laientheatergruppe im Burgenland, die sie selbst leitet und wo sie unter anderem die Katharina in Shakespeares "Widerspenstigen Zähmung" in kroatischer Sprache gab.

Ihren Durchbruch schaffte sie übrigens beim Radiosender RTL Wien, wo sie "durch die tägliche Morgenshow "Barbarella und die Morgencrew" bekannt wurde". Sie hat auch "das Studium der Publizistik, Psychologie und Theaterwissenschaft an der Uni Wien" absolviert. Sind das nicht drei unabhängige Vollstudien? Wie macht man das alles nebeneinander? Ich will hier aber nicht Karlichs akademische Qualifikation in den Schmutz ziehen, denn die Frau wird bald schon Doktor. Sie schreibt nämlich gerade ihre Diss an der Soziologie Wien über die "Barbara Karlich Show". Wie ihr alle merkt, bin ich eigentlich nur eifersüchtig. Deshalb werde ich sofort uminskribieren und zur Soziologie wechseln, wo ich dann meine Diss über "Obi-Wan's Obstgarten" verfassen werde. Da bin ich dann wenigstens kurz vor Weihnachten fertig.

Samstag, 10. September 2005

Neo-Biedermeier

Liebe Spießbürger!

Bevor ich jetzt erkläre, was ich mit Neo-Biedermeier meine, sollte ich vielleicht zuerst kurz definieren, was der Biedermeier ursprünglich war. Unser geliebtes Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur stellt in seiner Online-Enzyklopädie www.aeiou.at folgendes über diese Periode zwischen 1815 (Wiener Kongress) und 1848 (Märzrevolution) fest:

Wichtig für das Entstehen des Biedermeier war die Enttäuschung nach der politischen Restauration 1815 und die beinahe völlige Abkehr vom öffentlich-politischen Leben. Nach der Epoche des feierlichen Barock und des gezierten (Quasi-)Rokoko stellt das Biedermeier eine Flucht in eine behagliche Genussfreudigkeit, in eine "heimliche" Weltgeborgenheit, dar. Da das Bürgertum, das zu Geld und Ansehen gelangt war, im Metternichschen Polizeistaat von jeder Einflussnahme auf die Staatsgeschäfte fern gehalten wurde, traten die persönlichen, rein privaten Interessen in den Vordergrund. Wichtiges Anliegen wurde die Gestaltung der Freizeit. Man suchte Vergnügen und Unterhaltung auf der Landpartie, beim Heurigen, im Prater, in Tanzlokalen, im Kaffeehaus und im Theater - nicht zuletzt als Ablenkung vom harten Alltag, der tristen sozialen Lage und der unsicheren politischen Situation.

Bei de.wikipedia.org erfährt man dann noch, dass der Begriff erst in den Revolutionsjahren um die Jahrhundertmitte entstand und den uns heute bekannten negativen Beigeschmack bekam:

Der Mensch des Biedermeier wird als entpolitisierter, von naiv-obrigkeitstreuen Bestrebungen und Harmoniesüchteleien getriebener Kleinbürger karikiert.

Dieses Klischee ist ein hervorragender Ausgangspunkt für den eigentlichen Inhalt dieses Eintrags: den Neo-Biedermeier. Damit meine ich eine Entwicklungstendenz in unserer Gesellschaft, die in den letzten Jahren immer augenfälliger wird und besonders im studentischen Umfeld wie ein Virus um sich greift. Dazu eine kleine Anekdote: Als eine Mitstudentin vor ein paar Jahren im Spanischkurs gefragt wurde, womit sie ihre Freizeit verbringt, antwortete sie: Meine Freundinnen und ich laden uns gegenseitig zum Essen oder zu Kaffee und Muffins ein und dann quatschen wir stundenlang. "Moment mal!", dachte ich mir, "Ist die liebe Bettina nicht gerade mal 20 Jahre alt? Was macht sie denn, wenn sie 40 ist? Tauben füttern im Park?"
Damals hielt ich das noch für einen Einzelfall, aber mittlerweile weiß ich, dass das der Normalfall ist, besonders hier in Salzburg. Man blendet einfach die Welt da draussen aus und lebt in der eigenen virtuellen Wirklichkeit. Im Gegensatz zum Biedermeier des 19. Jahrhunderts handelt es sich auch nicht um einen resignierten Rückzug aus der öffentlichen Sphäre ins Privatleben: Da man weder Zeitung liest noch sonst irgendwie informiert oder involviert ist, könnte man in der öffentlichen Diskussion auch gar nicht mitmischen. Deshalb diskutiert man lieber die wirklich wichtigen Dinge im Leben: warum der Stefan mit der Karin Schluss gemacht hat; warum der böse Sommer heuer nur so kurz war; warum die Paris Hilton so doof ist. Nur mit Widerwillen verlässt man die eigenen vier Wände: Wer zwei Stunden auf die Uni muss oder Einkaufen geht, darf sich dafür den Rest des Tages erholen. Rausgehen ist aber auch so furchtbar anstrengend! Viel lieber flüchtet man sich in die virtuelle Welt von Sunnydale oder Stars Hollow, wo sich das richtige Leben abspielt. Die einzige verbleibende Ambition ist die größtmögliche Ruhe: Suppenfaktor 10.
Ich weiß ja nicht, ob uns die Regierung Tranquilizer ins Trinkwasser mischt, aber die Gelassenheit, mit der man damit das Leben an sich vorbeiziehen lässt, erstaunt mich nicht wenig.

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Donnerstag, 8. September 2005

Magie und Aberglaube

Liebe Esoteriker!

Das Aufklärungsprojekt ist gescheitert. Ich spreche hier nicht vom berühmt-berüchtigten Sexkoffer, sondern von den Idealen der Aufklärung, die man zeitlich im 18. Jahrhundert ansiedeln kann. Federführend waren die Franzosen, dicht gefolgt von den Deutschen und Engländern. Österreich war damals ein Teil von Albanien und hatte für die Aufklärung keine Zeit. In den blutigen Gulaschkriegen rang man lieber den Ungarn ein Rezept nach dem anderen ab und versaute dann erst wieder die als Suppe gedachte Speise mit Sauerkraut und zu viel Einbrenn.

Damals glaubten die Philosophen-Hoschis, wie z.B. Montesquieu, Voltaire und Rousseau in Frankreich oder Leibniz und Kant in Deutschland, dass der einzelne Mensch von den Fesseln der Kirche, des autoritären Staates und vor allem des Aberglaubens befreit werden müsse. Für die fortschrittlichen Protestanten waren Katholizismus und Aberglaube sowieso Synonyme. Diese Ermächtigung des Bürgers zum Entscheidungsträger in allen weltlichen, geistigen und geistlichen Angelegenheiten bedingte natürlich eine gewaltige Bildungsoffensive, die erst im Laufe der nächsten zwei Jahrhunderte schön langsam zu greifen begann. Im Zuge technisch-wissenschaftlicher Erneuerungen erhoffte man sich eine rein rationale Durchdringung und umfassende Erkenntnis der Welt, die man damals noch für ein präzises Uhrwerk hielt. Was ist aus den Träumen von damals geworden?

Blickt man hinter die Kulissen unserer ach so fortschrittlichen Zeit, fühlt man sich oft ins finsterste Mittelalter zurückversetzt. Horrorskope und ähnliche Spielereien sind ja noch irgendwie witzig, aber der Postrationalismus treibt noch ganz andere Blüten. Während man Wissenschaft und Technik vor zweihundert Jahren noch für die Speerspitzen der Bildungsreform hielt, sind es heute genau diese zwei Bereiche, die für den Normalbürger zunehmend in den Bereich der Magie abgleiten. Man fühlt sich geradezu entmündigt, wenn man für jeden Blödsinn einen Spezialisten braucht. Dieser undurchschaubaren Technik begegnen deshalb die meisten heutzutage mit magischen Ritualen. Wer von uns hat noch nicht versucht, den gestörten Fernseher dadurch zu kurieren, dass man ihm die heilenden Hände auflegt oder einen präzise ausgeführten Schlag versetzt? Wer von uns hat noch nicht sein Handy repariert, indem man es ordentlich schüttelt? Wer von uns verflucht nicht wütend seinen Computer, wenn der Geist der Maschine nicht auf flehentliche Bitten reagieren will?

Die moderne Technik hat auch dafür gesorgt, dass die mündliche Kommunikation wieder die Oberhand gewinnt. Während in der Aufklärung Verschriftlichung und Buchdruck als Allheilmittel gesehen wurden (Gutenbergtechnologie, um Mashall McLuhans Begriff zu verwenden - siehe Blogeintrag vom 15. Juni 2005), dominiert jetzt eindeutig das Mündliche: Radio, Fernsehen, (Video)telefonie, SMS, E-Mail - selbst die modernen schriftlichen Formate haben eine mündliche Qualität. Worin besteht der wesentliche Unterschied? Durch die Verschriftlichung werden Inhalte aus dem unmittelbaren (emotionalen) Kontext gelöst, ausgiebig reflektiert und sachlich wesentlich korrekter wiedergegeben. Deshalb will man auch heute noch viele Dinge zuerst "Schwarz auf Weiß" sehen. Die Vermündlichung unserer Gesellschaft hat zur Folge, dass man im Falle eines Wissensdefizits nicht mehr ein Buch zur Hand nimmt oder einen Spezialisten kontaktiert, sondern sich lieber auf das soziale Umfeld verlässt. Die beste Freundin wird schon wissen, wo der komische Ausschlag herkommt. Das Misstrauen gegenüber hergebrachtem Wissen wird merklich größer. Somit geben sich viele Zeitgenossen mit Gerüchten und Halbwahrheiten ab und bevorzugen diese spezielle Form des Aberglaubens gegenüber sachlich korrekten Informationen. Bei Jugendlichen ist dieses Phänomen ganz besonders stark ausgeprägt. Bevor man einem Erwachsenen traut, glaubt man lieber den Lügen des halbschwachsinnigen Nachbarbubens.

Die Sehnsucht nach dem Glauben ist ja riesengroß. Nur weil die Kirchen unfähig sind, die richtigen Antworten zu geben, heißt das noch lange nicht, dass die prinzipielle Bereitschaft dafür nicht gegeben ist. In Wahrheit wurde noch nie an so viel Schwachsinn geglaubt, wie in der heutigen Zeit. Besonders diejenigen, die sich von der Buchkultur völlig entfernt haben, sind den Gerüchten und Falschmeldungen der globalen Medienöffentlichkeit hilflos ausgeliefert. Diese ewig Suchenden klammern sich dann an irgendwelche Strohhalme, die sich natürlich nur als Modeerscheinungen herausstellen.

Warum haben Sekten keine Buchkultur? Warum läuft in manchen Koranschulen heute noch der Unterricht nur über das gesprochene Wort? Weil die Manipulation des Menschen über das Mündlich-Emotionale hervorragend funktioniert und Bücher mit ihrer Pluralität der Ideen und Inhalte gefährlich werden können. Warum haben sich denn die Kirche und der Adel auch bei uns jahrhundertelang gegen die Bildung der Masse gewehrt? Lesen ist und bleibt die subversivste Beschäftigung, die man sich nur vorstellen kann. Leider begreifen das nur die wenigsten.

Und wenn mir ein guter Bekannter wieder einmal die 12 Weisheiten des Dalai Lama schickt, die ich an 10 Freunde weiterschicken soll, weil ich sonst das Glück dieser Botschaft nie erfahren werde, dann glaube ich manchmal, dass über 2000 Jahre westlicher Kulturgeschichte für den Arsch waren.

Mittwoch, 7. September 2005

Europark

Liebe Shopaholics!

Während die Linzer ihren Samstag in der Plus City zubringen, zieht es die Salzburger allwöchentlich in den Europark. Dort verbringt man dann gemütlich den ganzen Tag mit Kind und Kegel. Nachdem man sich ausgiebig einen Überblick über die neuen Warenlieferungen verschafft hat, gönnt man sich zu Mittag ein paar Leckerlis beim Schachtelwirt. Andere mögen es nicht so gediegen und ziehen sich lieber schnell eine Pizzaschnitte beim serbischen Italiener rein. Dann wird am Nachmittag nach Herzenslust beäugt, probiert und gekauft.
Shopping ist ja längst von der Pflicht zur Kür geworden und die Schnäppchenjagd hat sich als anerkanntes Hobby etabliert. Man weiß ja nicht nur über Produkte bestens Bescheid, die man in nächster Zeit auch anschaffen möchte, sondern verfolgt mit großem Interesse auch die neuesten Entwicklungen in einer ganzen Reihe von anderen Produktgruppen. Das liegt vor allem auch daran, dass der Austausch von Produktinformationen die klassischen Themen wie Politik und Kultur im öffentlichen Gespräch abgelöst hat. In einer posthumanistischen Gesellschaft kann man ja auch nicht erwarten, dass die Freunde aus der Wirtschaft über etwas anderes reden können als den Audi A8 oder die neueste Handygeneration.
Als ich also neulich durch die heiligen Hallen des Europarks schlenderte, traf ich zufällig eine Bekannte, die am Informationsschalter saß und gestressten Eltern Plastikautos vermietete, in denen diese ihre Kinder durch die langen Gänge schieben konnten. Sie wäre furchtbar entnervt, meinte sie, weil noch niemals so viel los gewesen wäre wie diesen Sommer. "Wenn sie nicht baden können, gehen sie alle einkaufen." Ich konnte zuerst nicht ganz glauben, dass der schlechte Sommer den Geschäften einen solch unerwarteten Zustrom bescherte, aber man musste sich nur umsehen: Es war an einem Wochentag Anfang August und im Europark wimmelte es wie sonst nur an einem Einkaufssamstag vor Weihnachten. Gab es außer Sonnen und Schoppen wirklich keine Alternativen?
Dabei ist das Angebot an Geschäften und Waren ja nicht einmal erwähnenswert. In dem Riesenbetonklotz sind erstaunlich viele kleine Geschäfte versteckt, deren Verkaufsflächen eher an die Innenstadt als an ein Einkaufszentrum erinnern. Diese Innenstadt ist ja auch das eigentliche Problem. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine sinnlosere Anhäufung von Ramschgeschäften - wenn man Mariazell und den Urfahraner Markt nicht mitberücksichtigt. Da wundert es einen auch nicht mehr, dass den Salzburgern der Europark als grenzgeniale Alternative vorkommt. Denn dort draußen tummeln sich nicht nur die Leute, die den McDonald's für ein Restaurant, den H&M für ein Bekleidungsgeschäft und den Morawa für eine Buchhandlung halten.
Es ist ja die große Errungenschaft des 20. Jahrhunderts, dass sich die Freizeitgestaltung der westlichen Gesellschaft auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner eingependelt hat: Sport, Fernsehen, Kino, Schoppen, Saufen - nirgendwo ist die Demokratisierung der Gesellschaft so weit fortgeschritten wie am Freizeitsektor. Im Fitnessstudio und Kinosessel sind eben alle Menschen gleich. Deshalb pilgern ja auch wir alle jeden Samstag in diese Wahlfahrtskathedrale des schlechten Geschmacks.

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Samstag, 3. September 2005

Dillo or no Dillo

Liebe Fendrich-Fans!

Gestern habe ich mir zur Strafe für mein sinnloses Herumtrödeln gleich noch das Sinnloseste angetan, dass das Fernsehen um diese Zeit zu bieten hatte: "Deal or no Deal".

Lobet und preiset ihr ORF-Fritzen nun dieses Kleinod der österreichischen Fernsehunterhaltung:
"Sie ist die große ORF-Sommershow, wird von Rainhard Fendrich moderiert, lockt mit Gewinnen bis zu 250.000 Euro - und startete am 17. Juni 2005 in ORF 1: "Deal or No Deal - Die Lotto-Show", das spannende neue Spielformat von ORF und Österreichische Lotterien. "Deal or No Deal - Die Lotto-Show" ist ab diesem Tag der Auftakt zur "Showtime am Freitag" - um 20.15 Uhr in ORF 1."

Was hier als "spannendes, neues Spielformat" für die Unterhaltungsschiene des ORF am Freitag Abend promotet wird, ist in Wirklichkeit eine ganz traurige Angelegenheit. Fendrich moderierte am 16. April 2005 die Retroshow "50 Jahre Fernsehen" und hat sich offensichtlich davon nicht mehr erholt. "Deal or no Deal" erinnert an die Anfänge der Fersehunterhaltung, so als würde man jetzt "Dalli Dalli" oder "Einer wird gewinnen" als neue Shows ausstrahlen. Das macht aber nix, denn die Zielgruppe ist sowieso das Krampfaderngeschwader, das damals schon live dabei war und jetzt Wolfram Pirchner bei "Willkommen Österreich" anhimmelt.
Da sitzen also der Reini und ein Reprotechniker aus Brunzlechen am Furzkogel in einer Deko, die jedem drittklassigen Ausstatter die Tränen in die Augen treibt. Wie heißt es in Bachs Matthäuspassion so schön: "O Schmerz, hier zittert das gequälte Herz". Kanditat und Moderator beäugen dabei nun 26 junge Damen, die alle grüne Kleider, blonde Perücken und goldene Koffer tragen. Mr Repro sucht sich einen Koffer aus, der auf dem Tisch landet. Dann nennt er eine Zahl nach der anderen und die blonden Tussis machen ihre Koffer auf: "Das wäre ihr Preis gewesen." Am Schluss bleibt sein eigener Koffer über und Mr Repro bekommt die Kohle. Dazwischen bietet ihm die "Bank" Geld, damit er schon früher aussteigt. Und das ist das ganze Spiel!! 40 Minuten lang!! Natürlich ist man superkorrekt und total antisexistisch und nennt zu jeder Zahl den Namen des Mädchens. Man braucht die Tussis ja auch wie einen Bissen Brot. Man stelle sich nur vor, die 26 Koffer würden einfach im Studio herumstehen, anstatt von Frauenhänden gehalten zu werden. Der Schnarchfaktor der Sendung ist trotzdem so gigantisch groß, dass man vor Lähmung nicht einmal mehr zur Fernbedienung greifen kann, um umzuschalten.
Fendrich selbst ist für mich einfach ein trauriger, alter Zwerg. Damit möchte ich auch an das Motto dieses Blogs erinnern (siehe oben). Seit genau 15 Jahren ("I am from Austria") ist der Ofen eigentlich schon aus, aber der Reini kapiert einfach nicht, dass er schön langsam zum Johannes Heesters der österreichischen Unterhaltungsszene wird. Da jammert er herum, weil Christl Stürmer so einen Zulauf hat, und bietet in "Deal or no Deal" eine drittklassige Imitation von Armin Assinger. Wenn er konsequent wäre, würde er sich ins Altersheim zurückziehen und die Show gleich vor Ort moderieren. Da könnte man sich den ganzen technischen Aufwand ersparen.

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Donnerstag, 1. September 2005

A la recherche de temps perdu

Liebe Zeitreisende!

In diesem Eintrag muss ich den Bogen von Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (1913-27) über Michael Endes Momo (1973) bis hin zum verlorenen Jahr (aka Sitzenbleiben) spannen, um mich der Frage nach dem Wesen der Zeit zu nähern.



Die verlorene Zeit ist bei Proust die eigene Vergangenheit (hier die Zeit vor dem 1. Weltkrieg), insbesondere die Kindheit, mit ihren liebgewonnenen Kontinuitäten und Eigenheiten. Obwohl man noch immer am selben Ort lebt (hier Paris), führt der gesellschaftliche und technische Fortschritt aber zu einer immer rasanteren und radikaleren Veränderung der Lebensumstände. Der Mensch scheint in seiner linearen Existenz gefangen zu sein. Proust setzt dieser betrüblichen Gefangenschaft in der Zeit die Kraft der Erinnerung entgegen. Ich zitiere aus der Beschreibung des Romans in Kindlers neuem Literaturlexikon: "Wenn das Vergangene die Fähigkeit hat, im Gedächtnis wiederaufzuleben - und zwar in freier Abfolge und in vielschichtigen Überlagerungen -, so entzieht es sich unserem geläufigen, mathematisch fixierten Zeitbegriff. Die spontan rückerinnerte Vergangenheit strömt in die Gegenwart herein; fast immer ist es ein unwillkürlicher Gedächtnisakt - mémoire involuntaire -, der das erinnerte, frühere Ich zurückbringt. Nicht die äußere, chronometrisch meßbare Zeit hat Bedeutung, ausschlaggebend ist allein die seelische Wirklichkeit, die innere Zeit, die dureé réelle." Der Mensch hat also die Fähigkeit, in seinem Leben zum Zeitreisenden zu werden und sein eigenes früheres Ich zu besuchen, oder, in ganz seltenen Fällen, wieder eins mit ihm zu werden. Der sich erinnerende Mensch gewinnt also, wenn auch nur für Augenblicke, die verlorene Zeit zurück.
Im Pilotfilm der Serie Deep Space Nine, "Der Abgesandte", geht es übrigens um eine interessante Variation dieses Themas. Hier ist Ben Sisko Gefangener eines einzigen Moments seiner Vergangenheit, nämlich den Verlust seiner Frau, den er immer und immer wieder erlebt. Während Proust diese Fähigkeit zur Verschmelzung mit einem früheren Ich als höchstes Gut und lang ersehnte Flucht aus dem Hier und Jetzt begreift, wird sie bei Sisko zum Fluch. Erst der Wiedereintritt in die lineare Zeit bedeutet Erlösung.



In Michael Endes Momo wird die Begrenztheit der menschlichen Existenz auf eine gänzlich andere Weise überwunden. Statt der nostalgischen Erinnerung wirkt hier die Fantasie als befreiende Kraft, die den Menschen aus dem räumlichen und zeitlichen Korsett schlüpfen lässt und Erfahrungsräume jenseits des grauen Alltags eröffnet. Momo, die einfach so in den Tag hineinlebt und ihre Energie und Lebensfreude aus Geschichten und Spielen gewinnt, ist sozusagen die Verkörperung dieser Macht. Ihre Widersacher sind die grauen Herren der Zeitsparkasse, die plötzlich in der Stadt auftauchen und den ahnungslosen Bürgern vorrechnen, wie viel Zeit sie eigentlich mit nutzlosen Dingen verschwenden. Die Degradierung der Zeit zu einer Ware, bzw. zu einem Zahlungsmittel, wird hier zum großen Übel der modernen Gesellschaft. Während die armen Menschen immer gehetzter werden, konsumieren die grauen Herren die gesparte Zeit ihrer Opfer in Form von Zigarren, die sie aus den Blättern der konservierten Zeitblumen herstellen. Michael Endes Buch ist ein einziges Plädoyer für den verschwenderischen Umgang mit Zeit - vorausgesetzt es handelt sich um soziale Kontakte und die Welt der Fantasie.

In unserer Gesellschaft wird auch viel von verlorener und verschwendeter Zeit geredet. Wer in der Schule sitzen bleibt oder an der Uni ein paar Semester länger braucht, verliert oft schon mal ein ganzes Jahr. Dabei sollte doch jeder wissen: Zeit ist Geld und Geld ist bekanntlich heilig. Also gilt die Zeit, gleich nach dem Geld, als höchstes Gut und damit hat man gefälligst sorgsam umzugehen. Zeit ist Geld bedeutet ja auch, dass man Zeit sparen und investieren kann. Wie in der Finanzwelt geht unsere Instantgesellschaft zunehmend von längerfristigen Anlageformen weg und konzentriert sich auf die Spekulation mit Risikokapital. Wie beim Roulette oder Lotto träumt man davon, mit möglichst wenig Einsatz möglichst viel Gewinn zu erzielen. Das gilt beim Lernen ebenso, wie im Umgang mit anderen Menschen.
Im Job spart man Zeit, indem man ein Höchstmaß an Selbstorganisation und Professionalität an den Tag legt (Effizienz), im Privatleben, indem man die paar wenigen Augenblicke zusammen besonders intensiv erlebt (Quality Time). Was machen wir aber eigentlich mit dieser ganzen gesparten Zeit, die durch technische Neuerungen immer noch mehr wird? Wir konsumieren sie beim Internetsurfen, beim Zappen, beim Herumlungern, beim Trödeln, beim Einkaufen, beim Unentschlossen sein, beim Jammern, beim Versinken in Selbstmitleid, und beim Ertragen des Weltschmerzes. Dafür wenden wir jede Woche viele, viele Stunden auf. Deshalb bleibt uns auch so wenig Zeit für die Dinge, die wir eigentlich so gerne machen würden. Es ist aber nicht der Stress, der uns daran hindert, sondern die Sinnlosigkeit der oben aufgezählten Dinge, die schlapp und teilnahmslos macht. Wir brauchen keine grauen Herren, die uns die Zeit wegrauchen: das machen wir schon ganz gut alleine.

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