Samstag, 30. Oktober 2010

200 Jahre Obstgarten

Liebe Leser,

als ich am 19. Juli 2006 "100 Jahre Obstgarten" verkündete, brauchte ich nur ein gutes Jahr, um 100 Beiträge zu schreiben. Wie man sieht, waren vier weitere Jahre nötig, um die nächste Hundertergrenze zu erreichen. Diese Verzögerung erlaubt aber nun ein doppeltes Jubiläum: der Obstgarten feiert nicht nur sein fünfjähriges Bestehen sondern auch die Publikation von 200 Ausgaben.
Wie man unschwer an den Beiträgen erkennen kann, hat sich in dieser Zeit sehr viel getan. Aus dem friedlichen, leise spöttelnden Obi-Wan ist ein verärgerter und streitlustiger Wahn geworden, der viel lieber über seine politischen Überzeugungen schreibt als über die kleinen Absurditäten des Alltags. Die Geburtsväter meines neuerwachten, linksliberal-grünen Sendungsbewusstseins waren und sind nicht die Schwarz-Blauen, wie man vielleicht vermuten könnte, sondern diese Leichtmatrosen Gusenbauer und Faymann von der SPÖ, die immer nur parteipolitisch tätig waren und die Glaubwürdigkeit der Politik endgültig zerstört haben. Da war ja Kampfschweiger Schüssel mit seiner korrupten (Grasser) und teilweise völlig verblödeten (Gehrer) Ministertruppe und seinen Eurofightern immer noch ein Segen im Vergleich zu dieser Mickey-Mouse Stimme, diesem Faserschmeichler, diesem Umfaller Faymann, der im Seniorencafe den BINGO-Abend moderieren sollte als einen ganzen Staat an die Wand zu fahren.
Gerade jetzt wäre intelligente linke Politik mehr als gefragt, weil die Schwarz-Blauen mit ihrem Neoliberalismus mehr als Schiffbruch erlitten und das Vertrauen der Bevölkerung verspielt haben. Faymann hatte diesen Vertrauensvorschuss, aber der ist schon längst verspielt. In einer wirtschaftlichen Krisenzeit den Kreisky raushängen zu lassen ist nicht nur dumm, sondern gefährlich. In Deutschland profitieren die Grünen wie nie zuvor von der Ideenlosigkeit der Konservativen, aber dort sind auch Politiker am Ruder, denen man annähernd abnimmt, dass sie wissen, wovon sie reden. Faymann schielt nur auf Umfragewerte und was die Kronenzeitung will und dreht sich wie ein Blatt im Wind. Dass sich die Schwarzen in Österreich schützend vor die reichsten Mitbürger stellen und vor irgendwelchen finanziellen Belastungen schützen, ist ebenso pervers wie typisch für die Volkspartei. Aber es ist wenigstens konsequent. Faymann hat im Politiksumpf nur deshalb überlebt, weil er ein Aal ist und somit leicht durchschlüpft. Immer schön geschmeidig und nie irgendwo anecken.
Aber, was reg ich mich auf. Liebe, treue Leserschaft: ich fürchte ihr werdet in den nächsten Jahren noch viele Tiraden dieser Art über euch ergehen lassen müssen, aber ich kann ncht mehr locker lassen. So hoffe ich für uns alle, dass der Obstgarten trotzdem spannend bleibt und nicht in eine einzige Jammerei ausartet.

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Freitag, 29. Oktober 2010

Mit härteren Bandagen

Liebe Demonstranten,

auf der Homepage des Finanzminusteriums findet man eine interessante Aufstellung, was mit unseren Steuergeldern passiert: "Wohin fließt der Steuereuro?". Die Familie Muster zahlt in diesem Beispiel € 7853 Steuern pro Jahr. Davon werden folgende staatliche Ausgaben getätigt:

Pensionen, Soziales, und Gesundheit € 2453 (31%)
Infrastruktur (Energie, Industrie, Gewerbe) € 1149 (14%)
Ministerien und ähnliche höhere Staatsorgane € 926 (12 %)
Schulen und Kultur € 794 (10%)
Schuldenrückzahlung € 774 (10%)
Verkehr € 550 (7%)
Universitäten + Forschung € 388 (5%)
Polizei und Gerichte € 304 (4%)
Landesverteidigung € 211 (3%)
Land- und Forstwirschaft € 201 (2,5%)
Dienstleistungen (Tourismus) € 103 (1,5%)

Hier ergeben sich natürlich interessante Beobachtungen. Da fast alle Regierungen der letzten Jahrzehnte unwillig waren das Staatsdefizit in den Griff zu bekommen, zahlen wir 10% des vorhandenen Budgets als Zinsen für unsere Schulden, nicht aber die Schulden selbst, die schon auf über 200 Milliarden Euro angestiegen sind. Wir geben also so viel Geld für unsere Schulden aus, wie für alle Schulen und kulturellen Einrichtungen zusammen und zwei mal so viel wie wir für Universitäten und Forschung aufbringen. Die Verwaltung auf höchster Ebene (Regierung, Ministerien, Parlament, Bundesrat etc.) ist der drittgrößte Budgetposten und kostet dreimal so viel wie etwa Forschung und Universitäten oder Polizei und Gerichte. Den größten Luxus, den wir uns leisten, sind Pensionen, das Gesundheitswesen und soziale Zuschüsse, wo jeder dritte Euro hinwandert. Wenn man einmal von den Förderungen für die Wirtschaft (14%) absieht, erkennt man relativ schnell, wo Reformbedarf besteht: Pensionen, Gesundheit, Beamte, Schulden, und ein ineffizientes Schulsystem, das sehr viel kostet (10%) und nur mittelmäßig arbeitet.

Okay, wo setzt nun die Regierung mit ihrem Sparpaket an? Bei Familien und Studenten. Denn die gehören zusammen mit den Arbeitslosen und Immigranten zu einer Gruppe, die keine Lobby hat. Wirtschaftstreibende, Pensionisten, Beamte und Ärzte sind hingegen hervorragend organisiert und da fällt das Kürzen von Förderungen natürlich viel schwerer. Also nimmt man denen, die sowieso nicht viel haben, auch noch den Rest weg.

Es wurde immer und überall schon kräftig von Arm auf Reich umverteilt, aber jetzt kommt noch der Transfer von Jung zu Alt hinzu. In Zukunft müssen Studenten sich das Studium selbst finanzieren (Kredit, Arbeit), in prekären Arbeitsverhältnissen viel für wenig Geld leisten, Kredite zurückzahlen, und die eigenen Kinder bis zum Studium durchfinanzieren. Und warum? Damit wir uns bei einer sinkenden Zahl von Berufstätigen eine immer größere Schar von Euromillionären und bestens versorgten Elitepensionisten leisten können, die fürs Nichtstun das Mehrfache dessen kassieren, was ein akademischer Berufseinsteiger verdient.

Ich glaube nicht, dass Studierende, deren Familien, und andere sozial benachteiligte Gruppen prinzipiell auf einen Generationen- oder Klassenkonflikt aus sind, auch wenn unsere Regierung unvermindert Öl ins Feuer gießt. Faymann und Konsorten hoffen einfach darauf, dass sich die Unruhe in der Bevölkerung schnell legt, denn der Österreicher ist harmoniesüchtig und scheut den Konflikt. Bei der gestrigen Demonstration sah man bereits, wie ernst es die meisten Studenten und Uni-Bediensteten mit ihrem Protest meinen: nämlich gar nicht. Es waren zwar einige, aber in Relation zur Gesamtzahl nur wenige. Warum soll man sich auch den Feierabend mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit versauen?

Einzig Herr Blecha zeigte sich sehr erfreut über die jüngsten Entwicklungen: er kann den anderen fetten Maden zurückmelden, dass der Speck gesichert ist.

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Mittwoch, 13. Oktober 2010

Europe's Promise

Liebe Europäer,

gestern war Steven Hill bei uns auf Besuch, der dieses Jahr mit Europe's Promise: Why the European Way is the Best Hope in an Insecure Age einen Vergleich zwischen dem US-amerikanischen und dem europäischen Wirtschafts- und Sozialsystem vorlegte, in dem er, wie der Titel schon verrät, Europa für die Lösung unserer globalen Probleme hält.
Diese Lobeshymnen erstaunen zunächst einmal den Österreicher in mir, für den nicht einmal annähernd eine Lösung unserer eigenen Probleme sichtbar wird und der die Bundesregierung zunehmend für das größte Übel im Land hält. Wie kommt dieser verrückte Amerikaner also auf die Idee, unseren Weg als großes Vorbild zu sehen?

Zunächst fällt einmal auf, dass die außereuropäischen Staaten Europa schon viel mehr als eine Einheit wahrnehmen als wir selbst. Das europäische Projekt ist eine der großartigsten politischen Leistungen des 20. Jahrhunderts, auf die wir alle sehr stolz sein müssten. Leider sind aber unsere Politiker zu verschlagen, unsere Medien zu zynisch und sensationsgeil, und viele Europäer zu beschränkt, um das zu verinnerlichen, gebührend zu würdigen, und so nach außen zu tragen. Stattdessen verwenden die Politiker die EU als Feindbild, um selbst besser dazustehen, verbreiten die Zeitungen Horrormeldungen über Gurkenkrümmungsvorschriften, um die Auflage nach oben zu treiben, und schimpfen die Durchschnittsösterreich unisono mit den Meinungsbildnern, weil sie intellektuell und geographisch zu beschränkt sind, um die größeren Zusammenhänge zu sehen. Wenn in Europa überhaupt irgendetwas politisch funktioniert, dann ist das am ehesten noch Brüssel. Wer sonst sollte den ganzen nationalen Dummschwätzern auf die Finger hauen, wenn nicht die übergeordneten EU-Gremien? Diese Mischung aus national gewählten Staatsdienern und übergeordneter Aufsichtsbehörde ist ein absoluter Glücksfall. So werden wir Griechenland wieder auf Kurs bringen, Sarkozy in Schranken halten, und hoffentlich die Einwanderungsproblematik lösen.

Steven Hill sieht aber auch in unserer Sozialpolitik eine große Stärke. Während die Vereinigten Staaten immer noch tiefer in die Katastrophe schlittern, haben wir Europäer die Krise relativ gut überstanden. Das hat vor allem mit unserer sozialen Absicherung zu tun. Während die Amerikaner wenig Steuern zahlen und dann privat viel in die soziale Absicherung buttern müssen, zahlen wir relativ viel an den Staat, sind dafür aber auch rundumversorgt. Rechnet man das durch, steigen wir wesentlich besser aus als die US-Amerikaner, die z.B. ihre Altersvorsorge gerade im Immobiliencrash verloren haben und später mit 30% ihres Lohns als Pension auskommen müssen. Dazu kommt noch, dass die Industrie bei uns demokratischer ist, da über Gewerkschaften die Arbeiter viel mehr mitreden können.

Was Hill wegläßt ist der Umstand, dass unsere nationalen Regierungen genau dieses System aufs Spiel setzen, weil sie zu dumm und ängstlich sind, um es wieder auf solide Beine zu stellen. Denn im Moment läuft es völlig aus dem Ruder. Es gibt fast keinen Bereich mehr, der halbwegs funktioniert: Pensionen, Gesundheit, Infrastruktur, Bildung, Landesverteidigung, Zuwanderung, Justiz, etc. Diese Bereiche werden entweder finanziell ausgehungert (Bildung, Zuwanderung, Landesverteidigung) oder mit Milliardenbeträgen überfüttert (Infrastruktur, Pensionen, Gesundheit). Deshalb rechne ich stark damit, dass sich der allgemeine Konsens in Österreich in den nächsten Jahren verflüchtigen und vieles auf der Straße ausgetragen werden wird. Ich hoffe sogar, dass die Jugend wesentlich radikaler wird und auf ihre Rechte besteht.

Denn im Moment haben wir keinen Transfer von Reich zu Arm, sondern von Jung zu Alt. Die Jungen müssen um wenig oder kein Geld immer mehr arbeiten, damit wir eine riesige Zahl von Sozialhilfeempfängern durchfüttern können und nicht auf das Vermögen der Besserverdienenden zurückgreifen müssen. Das kann so nicht weitergehen. Die reichen Pensionisten sollen die ärmeren mitfinanzieren, die gesundheitlichen Risikogruppen sollen mehr Beiträge zahlen (zB. Rauchen, Übergewicht), jeder geht mit 65 in Pension und muss davor massive Kürzungen in Kauf nehmen, und die Höchstpension wird mit 5000 Euro festgesetzt. Aber das geht alles nicht, denn die Alten sind wichtige Wähler und die Politiker würden sich selbst schaden, weil sie zu den Profiteuren dieser Umverteilung gehören.

Ich glaube, dass die Probleme schon zu lösen sind, aber der Kampf darum wird mit viel härteren Bandagen zu führen sein. Steven Hill hat völlig Recht, dass unser System gerechter und, langfrsitig gesehen, erfolgreicher ist, aber wir dürfen uns es nicht selbst kaputt machen.

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