Donnerstag, 24. August 2006

Memorabilia

Liebe Jäger und Sammler!

Im Laufe seines Lebens trägt der Mensch eine schier unglaubliche Zahl von verschiedensten Objekten zusammen, die nur eine einzige Sache verbindet: Man wirft sie ungern weg. Vielleicht landen sie in einem Bananenkarton, der im hintersten Winkel des Kellers über Jahre verstaubt, aber trotzdem werden sie aufgehoben.
Jeder kennt die Situation: Man sitzt vor einer Schachtel voll mit alten Sachen und möchte sich eigentlich von dem ganzen Krempel trennen. Um in die richtige Wegwerfstimmung zu kommen, beginnt man mit einem Stück, bei dem die Trennung nicht schwer fällt. Man greift also nach der alten Badehose mit Hawaii-Muster (grüne Palmen, rosa Blüten), die schon in den 80er Jahren peinlich war. Doch dann erinnert man sich plötzlich wieder an den einen Urlaub und legt sie, während man noch in nostalgischer Verklärung versunken ist, wieder in die Schachtel zurück. Nach ca. drei Stunden hat man dann fünf Notizzettel aus der 2. Klasse Gymnasium, zwei ausgetrocknete Textmarker und ein zerfleddertes Lesebuch aus der Volksschule aussortiert, worauf man besonders stolz ist, weil man Bücher ja sonst nicht wegwirft. Dann macht man den Deckel wieder zu und stellt die Schachtel zurück an ihren Platz.
Den Unentschlossenen unter uns wird oft geraten alte Kleidungsstücke, die man wahrscheinlich nie mehr anzieht, für einen Monat in eine Schachtel zu packen. Wenn sie einem in dieser Zeit nicht abgehen, sollte man das Paket ungeöffnet zur Caritas geben.

Wie unschwer zu erkennen ist, bin ich gerade dabei die Kultobjekte meiner früheren Leben zu erforschen, um sie dann in einem Akt der Selbstbefreiung wegzuwerfen. An den Wochenenden sitze ich, einem Archäologen gleich, in meinem ehemaligen Kinderzimmer oder im Keller der elterlichen Wohnung und lege Schichten von Ablagerungen frei, die Hinweise auf längst vergangene Kulturen geben. Mit viel Glück findet der Historiker schriftliche Aufzeichnungen, wie zum Beispiel Tagebücher, die es einem erlauben, den sozio-kulturellen Kontext einer bestimmten Epoche zu rekonstruieren.
In meinem konkreten Fall finde ich natürlich hunderte von Büchern, die Aufschluss über meine Lesephasen und Interessen geben. Da waren zuert einmal die Sagen, dann Wolfgang Eckes Ratekrimis für Kinder, John Christopher und der langsame Übergang zu Science Fiction und Fantasy, J.R.R. Tolkien und Frank Herbert, Star Trek, haufenweise Biologiebücher und Bildbände, und dann ein bisschen deutsche Literatur. Die letzte dieser Phasen, englische Literatur, lässt sich ganz leicht bei einem Besuch meiner Wohnung feststellen.
Die meisten dieser Bücher wandern zurück in Bananenkartons und werden seit einem Monat in unregelmäßigen Abständen auf dem Linzer Flohmarkt verscherbelt. Ich bin selbst erstaunt, wie wenig ich an Dingen hänge - besonders jene, die mich an früher erinnern. Ich habe meinen ersten Teddybären zwar aufgehoben, aber emotional hänge ich kaum noch an diesem alten Staubfänger. Die Nostalgie ist anscheinend nichts für mich. Selbst die alten Fotos liegen schon jahrelang in einer Schachtel und erblicken kaum das Licht der Welt.
Das liegt vor allem daran, dass ich immer schon mehr nach innen als nach außen gelebt habe, und somit das lateinische Sprichwort OMNIA MEA MECUM PORTO mehr als zutrifft. Ich bin sozusagen selbst der Träger meiner Erinnerungen, ein Aufzeichnungsgerät meiner Lebenserfahrungen. Ich komme also ganz gut ohne Gedächtnisstützen aus.
Daraus können nur zwei Dinge folgern: Entweder ich bin ein gefühlloser Vergangenheitsverdränger oder zehn Schritte weiter als alle anderen auf dem buddhistischen Weg der Erleuchtung, der eine Überwindung der materiellen Verstrickung des Menschen vorsieht. Natürlich trifft zweiteres zu.

Dienstag, 8. August 2006

Malen nach Zahlen

Liebe Ausführungsgehilfen!

Malbücher für Kinder sind voll von Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die die lieben Kleinen dann bunt anmalen dürfen. Das macht nicht nur Spaß, sondern schult auch Fingerfertigkeit (Präzision), Konzentration und das Einhalten von Grenzen. Denn die Umrisse sind ja vorgegeben und somit reduziert sich die kreative Eigenleistung des Kindes auf die Farbgebung. Diese scheint aber gar nicht so wichtig zu sein, denn die Eltern loben ohnehin nur die Fertigkeit des Kindes die vorgegebenen Grenzen zu respektieren und die Flächen möglichst gleichmäßig anzumalen.
Die verschärfte Variante dieser Tätigkeit nennt sich MALEN NACH ZAHLEN. Marktführer Ravensburger hat gerade das 30-jährige Bestehen dieses Hobbys mit einer Vernissage gewürdigt (November 2005), in der die 30 besten der 2487 eingereichten Arbeiten ausgestellt wurden. Hier zählt natürlich ausschließlich, ob der Teilnehmer bis ins kleinste Detail den Malanweisungen Folge geleistet hat. Im Gegensatz zu den Kindermalbüchern ist hier auch noch der exakte Farbton für jede Fläche vorgegeben. Es gewinnt also jener Ausführungsgehilfe, der blind die Vorgaben in die Tat umsetzt und um keinen Millimeter vom ursprünglichen Plan abweicht. Bei 50 Millionen verkauften Sets darf man ruhig von einer Erfolgsstory für den Verlag sprechen. Es soll hier auch gesagt sein, dass Modellbau oder Origami nach dem gleichen Muster funktioniert: Erfolgreich ist, wer die Regeln bis ins kleinste Detail befolgt.
Obwohl ich selber ein großer Origami-Fan bin und viel Spaß daran habe, bleibt mir doch nicht verborgen, dass all diese harmlosen und lustigen Hobbys auf leicht faschistischen Grundprinzipien basieren. Individualität und Kreativität werden komplett ausgeblendet, Imitation und Regelhörigkeit werden gelobt. Ich weiß natürlich, dass im Leben nichts ohne die Schulung von Fertigkeiten durch Nachahmung erlernt werden kann und Präzisionsarbeit sehr wichtig ist. Wenn die persönliche Entwicklung aber auf dieser Stufe steckenbleibt, dann wird es bedenklich.
Ich würde meine ganzen Überlegungen hier natürlich gleich als überzogene Reaktion abtun, wenn ich nicht das MALEN NACH ZAHLEN Prinzip in allen Lebensbereichen beobachten könnte. Unser ganzes Wirtschaftssystem beruht auf der massenhaften Herstellung und dem billigen Vertrieb von geklonten Produkten. In einer Werkstatt wird der Prototyp eines Produktes hergestellt und dann tausendfach industriell geklont. Das Hauptprinzip der Industrialisierung war die Anpassung der menschlichen Arbeit an mechanische und zeitlich exakt getaktete Vorgänge (Maschinen, Fließband etc.). Dieser Zwang zur Anpassung an äußere Umstände ist aber noch viel weiter verbreitet und wird in ehrenvoller Tätigkeit von den Müttern an die Kinder weitergegeben. Pflicht und Ordnung.
Man findet dann auch im Bekanntenkreis nicht wenige, die ein LEBEN NACH ZAHLEN betreiben. Besonders beliebt ist hier das Leben nach der Uhr. Die ganzen Stunden geben sozusagen Zeitflächen vor, die man dann möglichst präzise mit irgendwelchen Tätigkeiten füllen soll. Verschiebt sich diese wunderbare Fließbandarbeit des täglichen Lebens dann um fünf Minuten, bricht sofort die große Krise aus. Die große Maschinerie lässt sich auf keinen Fall anhalten, aber man kann ja hetzen und irgendwo noch Zeit sparen. Dann hat man am Ende des Tages wieder das Plansoll erfüllt.
Viele lassen sich ihr Leben auch im finanziellen Bereich von Zahlen diktieren. Ständig wird herumgerechnet und herumgetüftelt. Spart man nämlich im Kleinen, kann man im großen Stil das Geld zum Fenster rauswerfen. Versauere ich mir nämlich den Alltag mit der ständigen Rechnerei, dann kann ich mir später ein wirklich großes Auto und eine noch größere Wohnung leisten. Wenn ich jetzt verzichte, wird sich das sicherlich später einmal rentieren. Man muss eben immer in eine Zukunft investieren, die man dann wie den Horizont nie erreicht.
Ich möchte hier keineswegs für die totale Anarchie plädieren. Aber vielleicht lassen sich ja unsere Zwangsjacken ein bisschen lockern. Die wirklichen Fortschritte in allen menschlichen Bereichen (Kunst, Naturwissenschaften etc.) wurden immer durch Brüche mit der Tradition erzielt. Eine gute Bekannte hat ihren Schülern immer folgenden Spruch ins Stammbuch geschrieben: "Mach jeden Tag etwas Verrücktes." Daran sollten wir uns auch halten.

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Mittwoch, 2. August 2006

www.heimat.ade

Liebe Landsleute!

Nach der letzten Volkszählung im Jahre 2001 ging mir ein Brief von Bürgermeister Heinz Schaden zu, in dem er Unverständnis darüber äußerte, dass ich Linz als Mittelpunkt meiner Lebensinteressen (Hauptwohnsitz) angegeben hatte und nicht Salzburg, wo ich studierte. Damals dachte ich mir noch, dass der Heinzi - übrigens ein gebürtiger Grazer, der erst zum Studieren nach Salzburg kam - seinem Namen mehr als gerecht wurde. Wie, in the name of all which does not suck, sollte Salzburg der Mittelpunkt meiner Lebensinteressen sein? Nachdem die ganze Stadt nur von Toten lebt, muss man doch erst seine nekrophile Seite entdecken, um hier glücklich zu werden. Also dachte ich mir: Wer den Schaden hat, hat auch den Spott. Ich verfasste also einen ganz bösen Brief, in dem ich unter anderem zu verstehen gab, dass Salzburg halbtot am Tropf der Touristengelder hinge und ich nie im Leben diese Nekropolis und unselige Kulissenstadt als meine Heimat akzeptieren könnte. Denn wie schrieb Thomas Bernhard so schön in DIE URSACHE - EINE ANDEUTUNG?
"Die Stadt ist für den, der sie und ihre Bewohner kennt, ein auf der Oberfläche schöner, aber unter der Oberfläche tatsächlich fürchterlicher Friedhof der Phantasien und Wünsche."
Nun denn: Dieses Jahr nahm ich das hervorragende Bürgerservice im Schloss Mirabell in Anspruch und beendete nach acht Jahren mein Ausländerdasein, indem ich meinen Hauptwohnsitz hier anmeldete. Mit diesem schändlichen Verrat an meiner geliebten Heimat Oberösterreich muss ich nun fortan leben. Worin bestehen eigentlich die wesentlichen Unterschiede zwischen Oberösterreichern und Salzburgern? Wie ist der Salzburger so an sich?
In erster Linie schizophren. Er will seine regionale Eigenständigkeit bewahren, indem er möglichst viele Touristen aus der ganzen Welt herholt. Er will für die Zukunft planen, indem er sich an der Vergangenheit orientiert. Er will modern sein, indem er an den alten Traditionen festhält. Er will in Ruhe gelassen werden und sucht das Rampenlicht der Medienöffentlichkeit. Er will das Tiefgründige, indem er die Oberfläche zelebriert. Er ist ein global denkender Spießbürger, der nur zu gerne die kostspielige Inszenierung mit dem wahren Leben verwechselt.
Bevor ich jetzt noch weiter aushole, möchte ich die Unterschiede an den beiden Landeshymnen festmachen.

Die Oberösterreichische Landeshymne:

HOAMATLAND
Franz Stelzhamer (1802-1874)
Wanderer, Schauspieler und Mundartdichter

1.
Hoamatland, Hoamatland,
di han i so gern,
wiar a Kinderl sein Muader,
a Hünderl sein Herrn.

2.
Duri's Tal bin i g'laffn,
af'n Höcherl bin i glegn,
und dein Sunn hat mi trückat,
wann mi gnetzt hat dein Regn.

3.
Dahoam is dahoam,
wannst net fort muaßt, so bleib,
denn die Hoamat is ehnta
da zweit' Muatterleib.

Diese weinselige und erdige Heimatliebe macht dem Franzi so schnell keiner nach. Man kann sich richtig gut vorstellen, wie er fernab der vertrauten Wälder und Felder nach dem 15. Gspritztn wehmütig melancholisch in sein Glaserl lallt und voller Nostalgie in Kindheitserinnerungen schwelgt. Das ist oberösterreichisches Lebensgefühl. Hier nun aber die Salzburger Landeshymne:

LAND UNS'RER VÄTER
Anton Pichler (1874-1943)
Priester, Religionslehrer und Heimatdichter

Land uns'rer Väter, lass' jubelnd dich grüßen,
Garten behütet von ew'gem Schnee,
dunkelnden Wäldern träumend zu Füßen
friedliche Dörfer am sonnigen See.
Ob an der Esse die Hämmer sich regen
oder am Pfluge die nervige Hand,
|: Land unsrer Väter, dir jauchzt es entgegen:
Salzburg, o Salzburg, du Heimatland! :|

Wie aus des Ringes goldenem Reifen
funkelt der Demant, der Wunderstein,
grüßt aus der Hügel grünendem Streifen
Salzburg, die Feste im Morgenschein.
Und wenn die Glocken den Reigen beginnen
rings von den Türmen vergangener Zeit,
|: schreitet durch einsamer Straßen-Sinnen
Mozart und seine Unsterblichkeit. :|

Sollten die Länder der Welt wir durchwallen,
keins kann, o Heimat, dir werden gleich.
Mutter und Wiege bist du nur uns allen,
Salzburg, du Kleinod von Österreich.
Scholle der Väter, hör' an, wir geloben,
treu dich zu hüten den Kindern zum Pfand!
|: Du, der in ewigen Höhen da droben,
breite die Hände und schirme dies Land! :|

Was sagt man dazu? Zuerst konnte ich es nicht recht glauben und überprüfte auf der offiziellen Seite der Salzburger Landesregierung ein paar Mal, ob der Text überhaupt so stimmt. Tatsache! Am 24. Mai 1928 (!) beschloss der Salzburger Landtag einstimmig, diesem programmatischen und zukunftsweisenden Wunderwerk die höheren Weihen zu verleihen. Selbst wenn der Toni einem gelegentlichen Schlückchen Messwein nicht abgeneigt war, erklärt das noch lange nicht, wie der ew'ge Schnee den Garten behütet, die nervige Hand sich am Pflug regt, oder Mozart und seine Unsterblichkeit durch einsame Straßen-Sinnen (whatever that is) schreiten kann. Da muss ich eher an Hans Söllner und den MARIHUANABAM denken: "Und wiara zua woa wia a Nosn im Winta ...". Was sind die Eckpfeiler der Salzburger Identität? Natur, Heimat, Tradition, Burgen, Türme und natürlich Mozart. Hauptsache der Blick ist stets nach hinten gewandt. Wer soll sich denn damit identifizieren? Volkstümelnde Neo-Nazis? Die Erzkonservativen im rechten Lager? Die Burschenschaften? Die Orginal Bumsfidelen Pinzgauer Blunznstricker? Wer ruft denn die "Scholle der Väter" an, um bei dieser dem Vaterland ewige Treue zu schwören? In der Bundeshymne heißt es wenigstens noch "Mutig in die neuen Zeiten", aber hier wird der ewige Stillstand zelebriert. Wenn Salzburg tatsächlich so ein wertvolles Schmuckstück ist, wie der Text versichert, dann ist es wahrscheinlich auch zu kostbar, um im Alltag getragen zu werden. Lieber lässt man es in einem Safe verstauben, wo es wenigstens sicher ist. Diese Landeshymne ist nur ein Symptom einer Krankheit, an der diese Stadt nach wir vor leidet.
Vielleicht wird es ja schon besser, wenn die Verkäuferin in der Fleischhauerei nicht mehr "Frau Doktor" zu jener Tippse sagt, die sich vor dreißig Jahren einen Arzt geangelt hat. Aber selbst davon sind wir noch weit entfernt.

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